Ute Gerhard: Frauenbewegung und Feminismus. Eine Geschichte seit 1789 (= C.H. Beck Wissen; 2463), München: C.H.Beck 2009, 125 S., ISBN 978-3-406-56263-1, EUR 8,95
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Die Soziologin Ute Gerhard stellt eine kleine Geschichte der deutschen Frauenbewegung vor, die sie von der Französischen Revolution bis zu einem Ausblick ins 21. Jahrhundert chronologisch zusammenzufassen versucht. In der Einleitung arbeitet sie die Bedeutungen der Begriffe "Frauenbewegung" und "Feminismus" heraus. Eine kurze Diskussion der unterschiedlichen Ansätze und politischen Theorien zur Frauenbewegung verdeutlicht, dass diese im Laufe der letzten zweihundert Jahren verschiedenen Strömungen und "Wellen" unterlag, welche im Buch vorgestellt und diskutiert werden. Gerhard versteht die Geschichte der Frauenbewegung seit 1789 als eine "Epoche", die noch nicht abgeschlossen ist (9). Nur kurz verweist die Autorin auf die gegenwärtige sozialwissenschaftliche Forschung, ohne diese in ihren unterschiedlichen Zugängen und Ansätzen zu diskutieren. Literaturhinweise, die der Leserin und dem Leser eine Orientierung in der Forschungslandschaft geben könnten, sucht man dabei vergebens.
Die Einleitung und das erste Kapitel lassen den Leser und die Leserin erwarten, dass das Buch die wichtigsten Entwicklungslinien einer transnationalen Frauenbewegung fokussiert. Das zweite und die folgenden Kapitel beschreiben jedoch nur die deutsche Frauenbewegung. Auf andere Länder wird nur vereinzelt verwiesen.
Beginnend mit der Französischen Revolution als "Wendepunkt" auch in der Frauengeschichte, zeigt Gerhard, dass der sogenannte "Geschlechterstreit" zu dem Zeitpunkt eine schon vierhundert Jahre alte Vorgeschichte hat. Gerhard diskutiert die wichtigsten Aufklärungsphilosophen, vor allem Jean-Jacques Rousseau und sein Werk Emile oder Über die Erziehung (1792), und stellt die französischen Frauenclubs und die "Pionierinnen" vor, die während der Revolution für Frauenrechte kämpften, wobei Olympe de Gouges und ihre Erklärung der Rechte der Frau und Bürgerin (1791) im Zentrum der Ausführungen stehen.
In diesem Kapitel streift Gerhard kurz auch die Entwicklungen in England und geht auf die Debatten in Deutschland ein. Erst in diesem Zusammenhang wird klar, worum es der Autorin überhaupt geht, nämlich um die Beziehung der Diskurse über Menschenrechte und Feminismus in der Geschichte der Frauenbewegung, die seit ihren Anfängen zusammengehören und als "international" anzusehen sind. Im Abschluss des Kapitels erwähnt Gerhard das Dilemma von Gleichstellung und Gleichberechtigung im Feminismus, das bis heute andauere. Weil sie dieses Dilemma vorher nicht konkret aufdeckt, bleibt ihre Interpretation allerdings wenig überzeugend.
Gerhard unterlässt es auch, den Begriff der "Wende" für diesen Zusammenhang zur Diskussion zu stellen. Da sie selbst argumentiert, dass nach der Revolution der "mittelalterliche Patriarchalismus" (27) im Code Civil verfestigt worden sei, fragen sich der Leser und die Leserin, inwiefern 1789 überhaupt eine "Wende" in der Geschlechterordnung darstellt. Umso mehr als die neuere Forschung in sozialen, politischen und religiösen Bereichen gerade die Kontinuitäten über die Französische Revolution hinaus betont. [1]
Die zweite Wende in der Geschichte der Frauenbewegung sieht die Autorin in der 1848er Revolution in Deutschland, die eine Mobilisierung der Frauen aus allen sozialen Schichten ausgelöst habe. Die Ausführungen in diesem Kapitel begleiten Schilderungen über die Frauenbewegung in anderen Ländern (Frankreich, England, Vereinigte Staaten), was das Nachvollziehen der Gedankengänge der Autorin erschwert. Gerhard verweist kurz auf die internationalen Verbindungen, wobei sie aber die Rolle der Übersetzungen von feministischen Veröffentlichungen für die Bildung des feministischen Bewusstseins ignoriert.
Im dritten Kapitel charakterisiert Gerhard die Entwicklungen im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert als die "hohe Zeit" der Bewegung und als Phase der Differenzierung und des Aufschwungs. Hier legt sie den Fokus stärker auf den Bund Deutscher Vereine. Kurz erwähnt sie auch die Weltfrauenkonferenz des International Council of Women, an der zum ersten Mal auch eine schwarze Amerikanerin teilnahm, und die International Women's Alliance. In diesem Zusammenhang unterlässt es die Autorin, auf Probleme der Intersektionalität und der Hierarchien in der internationalen Frauenbewegung einzugehen. Den konservativ-reaktionären Frauenvereinen des 19. Jahrhunderts räumt Gerhard nur sehr wenig Platz ein und übersieht, dass auch diese Organisationsformen das Handlungsfeld der Frauen erweiterten und ihre Mitwirkung an der Gestaltung des bürgerlich-liberalen Staates ermöglichten.
Im vierten Kapitel sieht die Autorin mit der Einführung des Frauenstimmrechts in Deutschland im Jahre 1918 einen Meilenstein in der Geschichte der deutschen Frauenbewegung. Sie schildert deren Beteiligung in der internationalen Friedenspolitik und der deutschen Sozialpolitik, ihre Verdrängung beziehungsweise Auflösung unter dem nationalsozialistischen Regime und die Sogwirkung des Ost-West-Konflikts der Nachkriegszeit auf die Frauenpolitik. Gerhard zitiert dabei viele Quellen und lässt auf diese Weise die Entwicklung konkret sichtbar werden.
Das letzte Kapitel widmet die Autorin der sogenannten "neuen" Frauenbewegung. Sie führt das Kapitel mit der "Normalisierung" der Lebensverhältnisse in den 1950er Jahren ein, welche auch die Wiederherstellung traditioneller Geschlechterrollen bedeutete. Im Bericht der Commission on the Status of Women von 1963 in den USA sieht Gerhard den Anlass zum Aufbruch der Frauenbewegung, verlegt ihn dann aber in den Kontext der 68er-Bewegung. Inwiefern hier ein Zusammenhang besteht, wird nicht erläutert. Auch die Ausführungen über die Institutionalisierung und Professionalisierung der Geschlechterforschung sind wenig präzise, und die Paradigmenwechsel der Geschlechterforschung werden nicht thematisiert. [2]
Die letzten beiden Kapitel, in denen Gerhard auch auf die ostdeutsche Frauenbewegung eingeht und 1989 als weitere Zäsur beschreibt, bleiben insgesamt unklar. Dass sich die ostdeutsche Frauenbewegung als "nichtstaatliche Frauenbewegung" (118) verstanden und dass die Wiedervereinigungspolitik die Frauenfrage um drei Schritte zurückgeworfen habe (119), sind rätselhafte Aussagen.
Gerhard beschliesst ihr Buch mit einem Ausblick ins 21. Jahrhundert, den Debatten um die Jahrtausendwende und danach. Sie schreibt über die mögliche dritte Welle des Feminismus, an der auch Frauen aus der Dritten Welt beteiligt sind, und über die Kampagne des Center for Women´s Global Leadership unter dem Motto "Frauenrechte als Menschenrechte". Damit ist der Bogen zum Beginn ihrer Ausführungen - zur Erklärung der Menschenrechte auch als Frauenrechte durch Olympe de Gouges 1791 - geschlagen. Gerhard betont die Überzeugungskraft des Menschenrechte-Ansatzes als Orientierung für die Frauenbewegungen seit ihren Anfängen. Sie zeigt diese Beziehung jedoch in den einzelnen Kapiteln nicht konsequent auf. Ausserdem blendet sie aus, dass auch Frauen aus dem Mittleren und Fernen Osten und aus Lateinamerika schon in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts an internationalen Konferenzen teilnahmen und sich somit an der ersten Welle der Frauenbewegung beteiligten. [3]
Gerhard gelingt es, die Entwicklungslinien der (deutschen) Frauenbewegung an konkretem Material aufzeigen. Relevante Detailinformationen, übersetzte Quellenzitate und Hintergrundinformationen zu den einzelnen Personen stützen die Argumente der Autorin. Die Stärke des Buches besteht in der Darstellung der Quellen, die übersetzt und in Beziehung zueinander gesetzt sind. Der in der Forschungsliteratur meistens trocken vermittelte Stoff wird auf diese Weise als lebendige Geschichte bestehend aus Aktion und Reaktion präsentiert. Als Synthese der bisherigen Ergebnisse der Geschlechterforschung konzipiert, bringt das Buch allerdings keine neuen Perspektiven auf die Frauengeschichte.
Als Einstieg in die Frauengeschichtsforschung eignet es sich aufgrund der fehlenden Auseinandersetzung mit der Forschungsliteratur und einer zu knappen Bibliographie nicht. Ebenso ungeeignet ist das Werk für Laien, da die vom publizistischen Format geforderte knappe Darstellung auf nur 120 Seiten vieles unklar und unpräzise zusammenfasst und viele Ausführungen ohne Hintergrundwissen nicht zu erschliessen sind.
Anmerkungen:
[1] Vgl. Ivo Jens Engels: Kontinuitäten, Brüche, Traditionen. Die Französische Revolution von 1789, in: Historische Wendeprozesse: Ideen, die Geschichte machten, hg. von Klaus Müller, Freiburg i. Br. [u.a.] 2003, 204-230 u. 314-316.
[2] Vgl. Brigit Riegraf: "Soziologische Geschlechterforschung: Umrisse eines Forschungsprogramms", in: Soziologische Geschlechterforschung. Eine Einführung, hgg. von Brigitte Aulenacher u.a., Wiesbaden 2010, 15-32; Sabine Hark: Dissidente Partizipation: Eine Diskursgeschichte des Feminismus, Frankfurt a. M. 2005.
[3] Vgl. Leila Rupp: Worlds of Women. The Making of an International Women's Movement, Princeton 1997.
Elife Biçer-Deveci