Alan Cameron: The Last Pagans of Rome, Oxford: Oxford University Press 2011, XI + 878 S., 18 s/w-Abb., ISBN 978-0-19-974727-6, GBP 80,00
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Es werden nur noch wenige Bücher publiziert, die etablierte Forschungsmeinungen radikal und grundsätzlich infrage stellen. Alan Camerons Monographie über die letzten Heiden Roms stellt ein solches Werk dar. Der Autor zieht die Summe aus einer jahrzehntelangen Beschäftigung mit dem Verhältnis von Christen und Altgläubigen im 4. Jahrhundert n.Chr. und entwirft ein völlig neues Gesamtpanorama insbesondere für die Jahre um 400. Die Kernaussagen des Buches zielen vor allem auf zwei Thesen:
(1) Die scharfen religiösen Konflikte, die bisher als Signum des ausgehenden 4. Jahrhunderts angesehen wurden, haben nie existiert, sondern sind das Resultat einer selektiven Quellenwahrnehmung, von Fehlinterpretationen, methodisch fragwürdigen Verallgemeinerungen, Missverständnissen und nicht zuletzt Zirkelschlüssen. Denn das Heidentum "died a natural death, and was already mortally ill before Theodosius embarked on his final campaign" (131).
(2) Das angebliche 'Aufbäumen' der Altgläubigen gegen die zunehmende Christianisierung des Imperium Romanum, versinnbildlicht etwa im so genannten Streit um den Victoria-Altar, im Kampf des Usurpators Eugenius und seiner vermeintlich paganen Unterstützer gegen den christlichen Kaiser Theodosius oder in einer 'programmatischen' Hinwendung römischer Aristokraten zur 'klassischen' Literatur, stellt ein Konstrukt dar, das die Forschung zwar über Jahrzehnte hin lieb gewonnen hat, das aber auf einer höchst fragwürdigen bzw. wackeligen Quellenbasis beruht. Die Altgläubigen hätten um 400 bereits keine wirklich einflussreiche Gruppe innerhalb der römischen Elite mehr dargestellt, seit den 390er Jahren habe sich das Heidentum in einem erkennbaren, zunehmend beschleunigten Niedergangsprozess befunden. Stattdessen hätten sich die Protagonisten entsprechender angeblicher Konflikte nahtlos in eine sich allmählich christianisierende Aristokratie eingefügt; Anhänger traditioneller Kulte, die aus ihrer religiösen Haltung heraus programmatisch gehandelt hätten, seien schlichtweg kaum nachweisbar. Camerons Buch stellt unter diesem Gesichtspunkt, dem ein großer Teil seiner Argumentation gewidmet ist, letztlich auch eine groß angelegte Analyse der spätrömischen Aristokratie dar; dementsprechend arbeitet der Verfasser in verschiedenen Kapiteln mit prosopographischen Methoden.
Cameron setzt zunächst einigen Aufwand daran, seine Terminologie zu begründen: Entgegen möglichen Einwänden möchte er an der Bezeichnung "pagans" festhalten, sich also nicht vermeintlich weniger wertende Termini wie "polytheists" u.a. aneignen; angesichts der Wortgeschichte von paganus sieht er gute Gründe, diesen Ausdruck weiterhin zu verwenden, insbesondere da "I can find no unmistakable indication that the word was felt to be pejorative in and of itself" (19). Aus der zeitgenössischen Perspektive müsse man sich vergegenwärtigen, dass "paganus was simply the most natural term for any Latin-speaking community to apply outsiders. To use a contemporary idiom, paganus represented 'the other' in any group or community, in this case (of course) the other in a now Christian world" (24). Den Terminus "polytheists" für die 'objektivere' Ausdrucksvariante zu halten, sei schlichtweg naiv.
Das nachfolgende Kapitel "From Constantius to Theodosius" bietet einen Abriss der historischen Entwicklungen vornehmlich in der 2. Hälfte des 4. Jahrhunderts aus der Perspektive der Christen-Heiden-Thematik. Cameron entwickelt hier seine zentralen Thesen, die dann in den anschließenden Abschnitten im Einzelnen begründet werden, indem jeweils auf Ereignisse, Konstellationen und Akteure geblickt wird sowie insbesondere umfassende und differenzierte Quelleninterpretationen erfolgen, deren Resultat schließlich eine in den meisten Punkten radikale Umdeutung des Materials darstellt.
Grundsätzlich geht der Verfasser von der Leitperspektive aus, dass man von einem Kaiser des 4. Jahrhunderts gar keine entschiedene Politik gegenüber Christen oder Altgläubigen erwarten könne, weil die Herrscher stets zu Kompromissen gezwungen gewesen seien - ganz unabhängig von ihrer eigenen Haltung (38). Vor diesem Hintergrund gerät der Streit um den Victoria-Altar zu einer Marginalie, an der sich keinesfalls ein prinzipieller religiöser Konflikt festmachen lasse. Im Hintergrund der Intervention des Symmachus hätten vielmehr ökonomische Interessen gestanden; es sei um die öffentlichen Mittel zur Pflege und Restauration der Tempel gegangen; und auch diese seien weniger aufgrund einer strikt antiheidnischen Politik der Kaiser immer weiter verfallen, sondern als Folge der Vernachlässigung durch die paganen Eliten selbst, die sich anderen Handlungsfeldern zugewandt hätten. Angezweifelt wird auch die Niederlegung des pontifex maximus-Titels durch Gratian sowie die bisher stets als unbestreitbare Tatsache hingenommene Ansicht, dass Theodosius I. diesen Titel überhaupt nicht mehr angenommen habe. Gleichermaßen werden die so genannten antiheidnischen Maßnahmen dieses Kaisers durch eine neue Kontextualisierung relativiert, wobei insbesondere der vermeintlich maßgebliche Einfluss des Ambrosius auf Theodosius bestritten wird (63f.). Vor diesem Hintergrund verwundert es schließlich kaum, dass auch die angeblich heidenfreundliche Politik des Eugenius und seiner 'Hintermänner' (unter denen Cameron kaum 'programmatische' Altgläubige zu erkennen vermag) radikal infrage gestellt wird - dies im Einklang mit neueren Arbeiten zu diesem Usurpator.
Die Dekonstruktion des Frigidus-Mythos als letzte große Auseinandersetzung zwischen Christen und Heiden bildet den Gegenstand eines eigenen Kapitels, in dem insbesondere der Bericht des Rufinus kritisch durchleuchtet wird: "None of the sources closest to the event treats the Frigidus as the final confrontation between paganism and Christianity in the West. This perspective first appears in Rufinus" (124).
Die nachfolgenden Kapitel unterziehen in ähnlicher Weise geläufige Selbstverständlichkeiten einer radikalen Revision: Der berühmte Symmachus-Kreis, der insbesondere aus Macrobius' Saturnalia extrapoliert wurde, hat Cameron zufolge nie existiert - jedenfalls nicht unter dem Gesichtspunkt einer religiösen Programmatik; wahrscheinlich war sogar Macrobius selbst Christ, sein Werk verweise nicht auf religiös determinierte Konfliktlinien, sondern auf ein allgemeines, vielfach antiquarisch angeleitetes Interesse an 'klassischer' Kultur, Bildung und Geschichte innerhalb der römischen Oberschicht, das Altgläubige und Christen gleichermaßen teilten und das sie in einen lebhaften Austausch brachte (z.B. Symmachus). Auch die Historia Augusta scheidet für Cameron als Quelle für Auseinandersetzungen zwischen Christen und Heiden aus: "My own answer would be that the HA really is as trivial a product as everyone used to think. Its author was just not interested in heresy, Julian, Germans, or Constantinople. His political views, if they deserve to be so described, were utopian fantasies such as good emperors respecting the senate and choosing the best men to succeed them. The author of the HA was a frivolous, ignorant person with no agenda worthy of the name at all" (781).
Vor dem Hintergrund derartiger Ergebnisse entlarvt Cameron die bisher vorherrschende Ansicht, es sei im späteren 4. Jahrhundert zu einer Art "pagan revival" gekommen, als "romantic myth" (3), von dem es Abschied zu nehmen gelte: "Roman paganism petered out with a whimper rather than a bang" (12). Die Transformation vom paganen zum christlichen Imperium habe sich weit weniger krachend und konfliktträchtig vollzogen, als zumeist vermutet. Die Radikalität, mit der dabei bisher fest zementierte Urteile infrage gestellt werden, zeigt sich insbesondere an Camerons Auseinandersetzung mit den nicht erhaltenen Annalen des Nicomachus Flavianus, die vielen bisher als ein Schlüsselprodukt spätantiker Historiographie galten, verfasst aus einer ebenso strikten wie programmatischen heidnischen Perspektive und Grundlage für zahlreiche Bezugnahmen späterer Autoren, mithin "the most important and influential pagan history of the late fourth-century West" (627). Cameron vertritt demgegenüber einen konträren Standpunkt: Seiner Ansicht nach handelte es sich bei den Annalen um "a hastily executed and derivative imperial commission of which Flavian himself was not especially proud" (634), mithin "a trivial epitome, whatever period it covered offering little or nothing not available in earlier epitomes [...]. If it really dealt with the empire and continued Eutropius, then it was superseded within less than a decade by the Epitome de Caesaribus. Not surprisingly, it vanished without trace, forgotten by everyone except family members" (690). Dieses harsche Urteil über Nicomachus Flavianus' Annalen wird in ausführlicher Auseinandersetzung mit den Arbeiten Bruno Bleckmanns und Francois Paschouds entwickelt und basiert auf Überlegungen zur Datierung des Werks (nach Cameron um 390) und insbesondere zur Frage, wie es in Byzanz durch Zonaras rezipiert werden konnte (an dessen Werk Bleckmann den Rückgriff auf Nicomachus Flavianus festmacht). Man wird abwarten müssen, wie Bleckmann und Paschoud auf Camerons Einwände reagieren werden. Die Diskussion erscheint mir jedenfalls keineswegs bereits abgeschlossen.
Letzteres gilt für alle Fragen, die der Verfasser in seinem ausgesprochen thesenfreudigen, mutigen, mitunter auch provokativen Buch neu aufwirft und diskutiert. Es ist dem Autor hoch anzurechnen, dass er trotz der Fundamentalkritik, die mitunter an den Forschungsergebnissen anderer geäußert wird, niemals in blanke Polemik verfällt. Stets werden Argumente dargeboten, und eine Reihe der zahlreichen Exkurse, die das Buch durchziehen, erklärt sich aus dem Bemühen, den Argumenten der Kollegen gerecht zu werden. Ausdiskutiert ist die Heiden-Christen-Thematik für das spätere 4. und frühe 5. Jahrhundert damit, wie angedeutet, noch nicht (und vielfach - etwa in der stärkeren Betonung von Kontinuitäten gegenüber scharfen Zäsuren - fügen sich die dargebotenen Überlegungen durchaus auch in neuere Forschungstrends ein). Aber Camerons Radikalkritik hat den Boden für grundsätzliche Revisionen bereitet. Die intellektuelle Schärfe und gedankliche Präzision, mit der dies geschieht, verdient Hochachtung.
Mischa Meier