Thomas Woelki: Lodovico Pontano (ca. 1409-1439). Eine Juristenkarriere an Universität, Fürstenhof, Kurie und Konzil (= Education and Society in the Middle Ages and Renaissance; Vol. 38), Leiden / Boston: Brill 2011, XI + 936 S., ISBN 978-90-04-19471-7, EUR 232,00
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Lodovico Pontano gehört zu den großen Juristen des 15. Jahrhunderts, die trotz ihrer zeitgenössischen Bedeutung in der modernen Forschung nur wenig Beachtung finden. Die wegweisende Biographie Thomas Woelkis wird das zweifellos ändern, zeichnet sie doch nicht nur den singulären Karriereweg Pontanos nach, sondern vermittelt eine Fülle neuer Einsichten in viele Bereiche der spätmittelalterlichen Sozial- und Bildungsgeschichte.
Der erste Teil der Studie ist weitgehend chronologisch aufgebaut und beginnt mit Ausführungen zu Pontanos Herkunft aus einer umbrisch-römischen Gelehrtenfamilie. Nach einer Darstellung der methodischen Grundlagen und der zur Verfügung stehenden Quellen widmet sich Woelki dem Bildungsgang seines Protagonisten. Schon bei Pontanos Promotion in Zivilrecht, die 1427/28 in Bologna stattfand, zeigt sich das Außergewöhnliche seiner Karriere: Obwohl er lediglich das examen privatum absolviert hatte, also Lizentiat war, wurde er sofort in das Doktorenkolleg der Universität von Bologna aufgenommen und begann seine Lehrtätigkeit. Pontano war damals noch sehr jung, auch wenn er eher etwas über als unter 20 Jahre alt gewesen sein dürfte, wie Woelki schlüssig erörtert (51f.). Bald war Pontano ein gefragter Gutachter und verfasste consilia zu Streitfällen des Erb-, Zunft-, Kredit- und Bündnisrechts. Von Bologna führte sein Weg weiter an die Universität von Florenz. An langfristigen Bindungen war dem ehrgeizigen Juristen aber weniger gelegen, weshalb er bald Berufungsverhandlungen mit anderen Universitäten aufnahm.
Erfolgreich war schließlich Papst Eugen IV., der ihn im Jahr 1431 für die römische Universität gewinnen konnte. Außerdem wurde er zum Richter an der Rota Romana, dem Gerichtshof der päpstlichen Kurie, ernannt. Belege dafür, dass Pontano das vorgeschriebene Prüfungsverfahren durchlaufen hat, haben sich nicht erhalten. Anders als Woelki annimmt, muss das aber vielleicht nicht gleich bedeuten, dass dieses unter Eugen IV. gar nicht mehr zur Anwendung gekommen ist (98f.). Schließlich war im Einzelfall stets ein Dispens von derartigen normativen Regelungen möglich. Durch ein Gutachten stärkte Pontano jedenfalls in der Folgezeit die Position der Rotarichter als Korporation. Er selbst war vor allem mit Benefizienstreitigkeiten befasst, äußerte sich aber als Konsistorialadvokat in Gutachten auch zu bedeutenden Rechtsfällen. Im Jahr 1433 gelang es der Universität von Siena, Pontano zu berufen. Während seiner Zeit an der toskanischen Hochschule stellte er unter anderem die "Singularia" zusammen, eine didaktische Sammlung, die sich wegen ihrer Praxisnähe und eingestreuter humoristischer Passagen bald großer Beliebtheit erfreute. Wieder zeigt sich Pontanos geringe Loyalität zu seinem Dienstherren. Obwohl die Stadt ihn als Professor fürstlich bezahlte, trat er als Anwalt auch in einem Prozess gegen sie auf. Ein Verbot für Universitätsdozenten von 1435, Prozesse gegen die Stadt zu führen, geht möglicherweise auf diesen Präzedenzfall zurück.
Durch die Vermittlung des Humanisten Antonio Beccadelli erklomm Lodovico Pontano eine weitere Stufe auf der Karriereleiter. Im Jahr 1435 trat er in die Dienste König Alfons V. von Aragón, der sich auch auf juristischem Weg darum bemühte, seine Ansprüche auf das Königreich Neapel durchzusetzen. Da Papst Eugen IV. die Belehnung verweigerte, wandte sich Alfons V. dem Basler Konzil zu und schickte Pontano im Jahr 1436 dorthin als Gesandten. Aus diesem Abschnitt seines Lebenslaufs haben sich zahlreiche Reden erhalten und damit Quellen, deren Interpretation stets besondere Probleme bereitet. Thomas Woelki klärt diese in einem aufschlussreichen methodischen Exkurs zur Gattung der "Traktatrede", ihrer spezifischen "Persuasivität" und "Performativität". Er plädiert überzeugend dafür, die Ansprachen stets im Hinblick auf ihre persuasive Zielsetzung und Gestaltung zu analysieren, aber auch die performative Umsetzung in einem stark zeremoniell oder rituell reglementierten Kontext zu berücksichtigen.
Zunächst waren Pontanos Reden auf dem Konzil von juristischen Persuasionsstrategien geprägt. Selbst als er eine Predigt zum Festtag des heiligen Thomas von Aquin hielt, bezog er sich überwiegend auf kanonistische Texte. Woelki zeichnet auch die weiteren Aktivitäten Pontanos in Basel nach, wo er die offene Konfrontation mit Papst Eugen IV. zunächst vermied und vor allem den Kontakt zu den päpstlichen Gesandten suchte - eine rasche Rückkehr in den lukrativen Kuriendienst stand durchaus zur Debatte. Erst im Sommer 1437 schlug er sich öffentlich auf Seiten der Papstgegner. Pontano übernahm auf dem Konzil Aufgaben als Richter, bezog in Gutachten zu juristischen Problemen und Streitfällen Position und wirkte in Kommissionen mit. In den erhaltenen Schriften zeigt er sich als professioneller Jurist, der zunächst Argumente für die päpstliche Superiorität fand, bald aber die Souveränität des Konzils verteidigte. In einem im Frühjahr 1438 entstandenen Traktat plädierte er schließlich streng formaljuristisch für die Einberufung eines neuen Konzils durch den Kaiser. Dem von Theologen im Umfeld des Konstanzer Konzils entwickelten Ansatz, die Berufungsfrage in einer Notlage nicht auf Basis des positiven Rechts zu lösen, folgte er nicht.
Da Pontanos weiterer Karriereweg nun stärker vom Wohlwollen der Konzilsväter abhing, näherte er seine öffentlichen Ansprachen allmählich ihrem mehrheitlich theologisch geprägten Diskussionsstil an. Besonders deutlich wird dies in seiner bekanntesten Rede mit dem Incipit "Dixerit forte quisquam" von Januar/März 1438. Der gelehrte Jurist plädierte für die Superiorität des Konzils und bezog sich dabei im Wesentlichen auf Bibelstellen, welche die Inspiration der Versammlung durch den Heiligen Geist belegen, nicht aber auf korporationsrechtliche Argumente. Auch bei anderen Gelegenheiten trug Pontano diese Rede vor, die Woelki treffend als ein "Erfolgsmodell konziliaristischer Oratorik" (376) charakterisiert. Wiederholt redete und predigte Pontano nun offiziell im Auftrag des Konzils, gerade auch im Rahmen von Gesandtschaften. Die Frage nach performativen Aspekten führt zu spannenden Erkenntnissen über die Einbindung der Reden in das diplomatische Zeremoniell. Sie konnten, wie bei einem Vortrag am Hof des Kölner Erzbischofs, durchaus dazu dienen, die zur Debatte stehenden Sachfragen anzusprechen. Es konnte aber auch passieren, dass sie, wie am burgundischen Hof, bereits vorab geprüft und als nicht passend abgelehnt wurden - obwohl Pontano für diesen Auftritt seine wohl eleganteste Rede verfasst und versucht hatte, "ein rhetorisches Kunstwerk zu schaffen" (475).
Schon Ende des Jahres 1438 änderte sich allerdings die Lage, da der König von Aragón nun zunehmend auf einen Ausgleich mit Papst Eugen IV. hinarbeitete. Auch für seinen Konzilsgesandten Pontano war gesorgt. Obwohl dieser in öffentlichen Redeauftritten gegen den Papst Partei ergriffen hatte, sollte er nun seine Tätigkeit an der Kurie wieder aufnehmen und hoch dotierte Pfründen erhalten. Doch ehe es dazu kam, verstarb er in Basel an der Pest. Seine juristischen Fachpublikationen wurden weiterhin abgeschrieben, gerade die "Singularia" fanden eine breite Rezeption bis in die Frühe Neuzeit. Über die Verbreitung und Überlieferung dieser und weiterer Arbeiten Pontanos gibt das Werkverzeichnis im Anhang umfassend Auskunft. Thomas Woelki hat außerdem eine Auswahl an (Traktat-)Reden vorbildlich ediert, wobei er Varianten, Zitate und gelegentliche Randglossen im kritischen Apparat anführt. Für die weitere Beschäftigung mit der Redekultur des 15. Jahrhunderts, die erst in letzter Zeit verstärkt Aufmerksamkeit erfährt, leistet die Studie schon dadurch einen wichtigen Beitrag. Zu weiterführenden Überlegungen regt sie durch bisweilen provokante Thesenbildung ein. So wäre es beispielsweise reizvoll, die Behauptung, dass der wiederholte Loyalitätsbruch geradezu ein "Rezept" (514) für eine derartig steile Karriere gewesen sei, anhand anderer Lebensläufe von Spitzenjuristen der Zeit zu überprüfen. Für weitere Forschungen im Bereich der spätmittelalterlichen Gelehrtengeschichte hält die vorliegende Monographie also vieles bereit. Sie setzt zudem durch außergewöhnlich fundierte Quellenarbeit und ein herausragendes methodisches Reflexionsniveau neue Maßstäbe.
Georg Strack