Julius H. Schoeps: David Friedländer. Freund und Schüler Moses Mendelssohns (= Deutsch-jüdische Geschichte durch drei Jahrhunderte. Ausgewählte Schriften in zehn Bänden; Bd. 6), Hildesheim: Olms 2012, 471 S., ISBN 978-3-487-13960-9, EUR 22,80
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Moses Mendelssohn, Friedländers Lehrer, gilt heute als strahlende Lichtgestalt der europäischen Aufklärung. Gleichauf mit Lessing und Kant wird er als eine Art deutscher Sokrates verehrt und von nicht wenigen sogar zu einem Heiligen der Geistesgeschichte erhoben. Nicht vergessen darf man aber, dass er zu Lebzeiten äußerst umstritten gewesen ist, vor allem innerhalb der jüdischen Gemeinschaft.
Dies gilt in noch viel stärkerem Maße für seinen wichtigsten Schüler, den Berliner Aufklärer David Friedländer (1750-1834), und so ist es bis heute geblieben. Wenn Friedländer nicht gleich ganz ausgeblendet worden ist, dann schieden sich an ihm sofort die Geister. Man kann geradezu den Eindruck haben, dass das Problem Friedländer von einem Schweigegebot umgeben sei. Tatsächlich ist es schwer, den richtigen Ansatzpunkt für eine gerechte und angemessene Einschätzung zu finden. In der Regel wird Friedländer als radikaler Modernisierer gesehen, der seinerzeit, unter zeitweise sehr verheißungsvollen Umständen, dem deutschen Judentum auf dessen Weg zur gesellschaftlichen und kulturellen Integration irgendwie vorangeleuchtet habe. Aber worin sein Beitrag bestanden hat und ob der Preis, der mit seinen religionspolitischen Forderungen verbunden war, nicht doch viel zu hoch gewesen wäre, ja ob er nicht überhaupt die Identität der jüdischen Religion letztlich mehr gefährdet als gestärkt hat, das lässt man gerne dahingestellt sein.
Nicht so Julius H. Schoeps. Der vielfach als Fachmann für die jüdische Aufklärung, die Haskala, ausgewiesene Leiter des Moses Mendelssohn Zentrums für europäisch-jüdische Studien an der Universität Potsdam geht mit seinem Buch ein Wagnis ein.
Friedländers historische Bedeutung ist eng an das Preußische Emanzipationsedikt geknüpft, mit dem am 11. März 1812 die Rechtsstellung der jüdischen Bewohner Preußens endlich der der christlichen Einwohnerschaft in wesentlichen Punkten angeglichen wurde. Friedländer, einer der "Väter", konnte - auch wenn das Edikt keine völlige rechtliche Gleichstellung brachte und seine Gültigkeit nicht lange anhielt - mit einer gewissen Zufriedenheit auf diesen epochalen Rechtstext blicken. Überhaupt muss er 1812 von einer Welle der Zuversicht getragen worden sein, denn in diesem Jahr legte er seine religionspolitisch brisanteste Schrift vor: "Ueber die durch die neue Organisation der Judenschaften in den preußischen Staaten nothwendig gewordene Umbildung 1) ihres Gottesdienstes in den Synagogen, 2) ihrer Unterrichts-Anstalten und deren Lehrgegenstände und 3) ihres Erziehungswesens überhaupt".
In den zentralen Partien seines Buches verfolgt Schoeps den schwierigen Weg, den Friedländer bis zu dem Punkt hatte gehen müssen, als er in der bürgerlichen Welt (als Seidenfabrikant, Publizist und Stadtrat) und in der Religionsgesellschaft (als Gemeindeältester) ein etablierter Mann war. Fortan konnte er ein gutes und unabhängiges Leben führen, erfüllt von den großen Ideen der Emanzipationsphilosophie. Schoeps erwirbt sich dadurch, dass er sich auch auf diese elementaren biographischen Sachverhalte einlässt, ein großes Verdienst.
Die prägende Gestalt in Friedländers Leben war Mendelssohn. Gleich zu Beginn seiner Berliner Zeit, zwanzig Jahre alt, schloss er sich dem Philosophen an und wurde, neben Marcus Herz und Salomon Maimon, zu seinem Jünger. Schon jetzt aber machte sich eine Eigenart bemerkbar, die Schoeps klar herausarbeitet: Der enorm ausgeprägte Drang nach Anerkennung von Seiten der nichtjüdischen Elite. Friedländer knüpft Verbindungen zu Gelehrten, Literaten und Künstlern wo er nur kann und arbeitet intensiv am Ausbau seiner gesellschaftlichen Stellung. Gleichzeitig setzt er erhebliche Mittel zur Förderung des jüdischen Lebens und der Gemeindeeinrichtungen ein. So war das Projekt der "Freyschule" (Chevrat Chinuch Nearim) ein wahrhaft aufklärerisches Unternehmen, das auch nach heutigen Vorstellungen ein modernes, freiheitliches Lern- und Unterrichtskonzept verfolgte. Dass Friedländer hier mit ganzer Seele dabei war, zeigt auch das von ihm mitverfasste "Lesebuch für Jüdische Kinder" (1779), das erste jüdische Schulbuch im deutschen Sprachraum überhaupt, wie er denn auch in einem Sendschreiben von 1788 forderte, auf den Gebrauch des Jiddischen in der Schule zu verzichten und den Mädchen ebenfalls Anteil an der Erziehung zu geben, um sie "Kopf und Herz" bilden zu lassen.
Ein Hauptanliegen von Schoeps ist es, zu zeigen, wie Friedländer mit seinem Reformeifer über das pädagogische Gebiet - wo man ihn gewähren ließ - hinausdrang. Die Befreiung von rechtlichen Einschränkungen sollte einhergehen mit einer Umgestaltung und Entlastung auch der religiösen Gegebenheiten. Der scharfe Gegensatz zur traditionalistischen Rabbinerschaft war unausweichlich. Besonders in den Auseinandersetzungen um die Mendelssohnsche Bibelübersetzung tat sich eine Kluft auf, die in den 1780er und neunziger Jahren zu einer unüberbrückbaren Entfremdung von den geistlichen Autoritäten führte. Von hier aus ist dann auch der Weg in jenen Radikalismus gebahnt worden, der ihn schließlich zu seinem fatalen "Versuch einer Glaubensvereinigung" von Judentum und Protestantismus verleitete. Dieser "Versuch" ist es, der wie ein untilgbarer Makel bis heute das Ansehen Friedländers stark beeinträchtigt.
Und rückt er sich durch ihn nicht tatsächlich in ein arges Zwielicht? Schoeps lässt sich nicht beirren, und gerade diese souveräne Haltung nimmt sehr für sein Buch ein. Er stellt das Fragwürdige und Inakzeptable als solches, mit guten Gründen, klar heraus. Doch sieht er auch, dass Friedländers Stellung in der Geschichte des neueren deutschsprachigen Judentums dadurch nun nicht ihrerseits unrichtig wahrgenommen werden darf. Es geht Schoeps um eine gerechte Beurteilung.
Friedländers Geistesart wird, wie Schoeps zeigt, in seiner Stellung Mendelssohn gegenüber deutlich. Gemeinhin als enger Weggefährte des Philosophen betrachtet, zeigt die genauere Betrachtung aber, dass er sich gerade in den religionspolitischen Positionen von der vorsichtigen Haltung des Lehrers weit entfernt hat und einen völlig anderen Typus des jüdischen Emanzipationsstreiters repräsentiert. Das ist nun sicherlich keine neue Erkenntnis, aber die Art und Weise, wie Schoeps die Differenzen offenlegt und in ihrer Tragweite analysiert, geht doch über den bisherigen Kenntnisstand deutlich hinaus.
Überhaupt profitiert der Leser von einer ungeheuren Fülle an Informationen. Wenn es sich aber nicht allein um ein lehrreiches, sondern auch um ein faszinierendes Buch handelt, dann liegt das an dem Schillernden, das den Protagonisten umgibt. Mit Zurechtweisungen arbeitet Schoeps nicht; auch hat er es nicht nötig, das Fragile von Friedländers Positionen dauernd zu betonen. Er urteilt aus der Warte des Historikers. In all dem erfüllt das Buch den höchsten Anspruch, den man an eine Biographie stellen kann: Das einzelne Leben leuchtet auf in Wollen und Sein, eingebettet in den Zusammenhang von Zeit und Geschichte.
Matthias Wolfes