Rezension über:

Jan Foitzik (Hg.): Sowjetische Interessenpolitik in Deutschland 1944-1954. Dokumente (= Texte und Materialien zur Zeitgeschichte; Bd. 18), München: Oldenbourg 2012, V + 629 S., ISBN 978-3-486-71452-4, EUR 74,80
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Rezension von:
Jochen Laufer
Zentrum für Zeithistorische Forschung, Potsdam
Redaktionelle Betreuung:
Peter Helmberger
Empfohlene Zitierweise:
Jochen Laufer: Rezension von: Jan Foitzik (Hg.): Sowjetische Interessenpolitik in Deutschland 1944-1954. Dokumente, München: Oldenbourg 2012, in: sehepunkte 13 (2013), Nr. 1 [15.01.2013], URL: https://www.sehepunkte.de
/2013/01/22770.html


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Jan Foitzik (Hg.): Sowjetische Interessenpolitik in Deutschland 1944-1954

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Wie werden im Jahr 23 nach der Wiederherstellung der deutschen Einheit Quellen veröffentlicht, die Überlegungen und Vorgänge beinhalten, welche wesentlich zur deutschen Teilung beigetragen haben? Dieser Frage lässt sich bei der Vorstellung einer Edition nachgehen, die Jan Foitzik in der Schriftenreihe "Texte und Materialien zur Zeitgeschichte" des renommierten Münchner Instituts für Zeitgeschichte veröffentlicht hat. Es handelt sich dabei um die deutsche Ausgabe der von Foitzik ein Jahr zuvor unter Mitarbeit von Andrej Doronin in Moskau herausgegebenen Quellensammlung zum selben Thema. [1] Beide Ausgaben sind weitgehend identisch, unterscheiden sich aber in der Betitelung und Nummerierung der Dokumente, da zusätzlich aufgenommene Dokumente deren chronologische Anordnung verändern.

Die Edition vereint bereits veröffentlichte mit bisher unveröffentlichten Dokumenten. Letztere übertreffen die Ersteren um mehr als das Doppelte. Die nochmals abgedruckten Dokumente sind von zentraler Bedeutung. Sie entstammen zum größten Teil einer inzwischen sechsbändigen, aber dennoch nicht abgeschlossenen russischen Edition, die das russische Staatsarchiv (GA RF) mit der University of North Carolina at Chapel Hill und dem Zentrum für Zeithistorische Forschung seit 2004 herausgibt. Die meisten der erstmals veröffentlichten Dokumente kommen aus dem Russischen Staatsarchiv für soziale und politische Geschichte, dem früheren zentralen Parteiarchiv der UdSSR. In diesem Archiv waren für die hier vorzustellende Edition besonders zwei Bestände ertragreich: der des früheren sowjetischen Außenministers Molotov und der des Politbüros des ZK der Allunionspartei der Kommunisten, der VKP (b), seit 1951 Kommunistischen Partei der Sowjetunion (KPSS). Der letztere Bestand enthält die bis in die neunziger Jahre in Sondermappen aufbewahrten und strengster Geheimhaltung unterliegenden Texte und Anlagen zu geheimen Beschlüssen dieses Parteigremiums. Bei der Auswahl aus diesem Bestand der obersten sowjetischen Entscheidungsebene strebte Jan Foitzik völlig zu Recht Vollständigkeit in Bezug auf die Deutschland betreffenden Beschlüsse an. Annähernd die Hälfte der in dieser Edition abgedruckten 141 Dokumente stellte das russische Staatsarchiv zur Verfügung. In diesem Archiv werden die Unterlagen der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland (SMAD) aufbewahrt, die bis 1949 die oberste Gewalt in der SBZ ausübte. Aus diesem Bestand finden sich zahlreiche Quellenstücke in der Edition, die nicht bzw. noch nicht Eingang in die bereits erwähnte Gemeinschaftsedition gefunden haben. Noch interessanter sind aber die erstmals veröffentlichten Ministerratsbeschlüsse zu Fragen der sowjetischen Besatzungszone aus diesem Archiv. Durch die Einbeziehung weiterer unveröffentlichter Dokumente aus dem Archiv für Außenpolitik (AVP RF) und dem Wirtschaftsarchiv der Russischen Föderation (RGAĖ) bietet der Band einen repräsentativen Überblick über die bisher zugänglichen sowjetischen Quellen zur Deutschlandpolitik der UdSSR. Zwei Dokumente aus deutschen Archiven runden die Edition ab.

Inhaltlich betreffen die in der Edition abgedruckten Dokumente mit wenigen Ausnahmen, auf die noch einzugehen sein wird, die wesentlichen sowjetischen Aktivitäten in und gegenüber Deutschland bzw. der dortigen sowjetischen Besatzungszone, die sich prinzipiell zwei Richtungen zuordnen lassen: zum einen den Maßnahmen, die auf die maximale Ausnutzung und zugleich Sicherung der sowjetischen Herrschaft innerhalb der sowjetischen Besatzungszone zielten (Demontagen, Reparationsentnahmen aus der laufenden Produktion, Entnazifizierung und Verfolgung von potentiellen und realen Gegnern der sowjetischen Besatzungsmacht), zum anderen die sowjetische Friedensvertragspolitik, die - scheinbar entgegengesetzt - gesamtdeutsche Ziele verfolgte. Gut dokumentiert ist in diesem Band auch die sowjetische Politik gegenüber den deutschen Kriegsgefangenen. Die von Jan Foitzik vorgelegte Quellenauswahl ist da besonders aufschlussreich, wo sie die Früchte seiner eigenen jahrzehntelangen Forschung zur sowjetischen Deutschlandpolitik darbietet. Die zeitliche Dokumentenverteilung zeigt, dass der Herausgeber in der Zeit der SMAD zu Hause ist: Von den ausgewählten Dokumenten entstanden neunzig 1944-1949, in dem nachfolgenden Jahrfünft dagegen nur einundfünfzig. Die Dokumentenauswahl lässt erkennen, mit welchen Feldern der sowjetischen Politik sich der Herausgeber in seinen früheren Arbeiten am intensivsten beschäftigt hat: Es dominieren normative Dokumente (Befehle, Beschlüsse und Direktiven) der SMAD, des Politbüros der VKP (b)/KPSS und des Ministerrats der UdSSR. Warum auch "Auszüge aus Entwürfen von Direktiven der Europäischen Beratenden Kommission zur Besatzungspolitik in Deutschland", die 1944 ohne Beteiligung der UdSSR entstanden, als erstes Dokument in die Edition aufgenommen wurden, bleibt ohne überzeugende Erklärung. Ein Hinweis auf den Abdruck der englischen Originale in einer gut zugänglichen Quellensammlung zur Arbeit dieser Kommission fehlt. [2] Einzelne Lücken der Auswahl, die die Tätigkeit der Sowjetischen Kontrollkommission und die Jahre 1949-1954 betreffen, sind dem Stand der Deklassifizierung in den betreffenden Archiven geschuldet oder wurden, was die größte sowjetische Wirtschaftsaktivität in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg, die SAG Wismut, betrifft, möglicherweise bewusst zugelassen, weil dazu seit 2011 eine von Rainer Karlsch herausgegebene Spezialedition vorliegt. [3] Auffallend ist dagegen der Mangel an Gesprächsaufzeichnungen zwischen sowjetischen Besatzungsfunktionären und deutschen oder westlichen Akteuren. Spannungen und Konflikte zwischen den grundverschiedenen Siegern des Zweiten Weltkriegs - wie etwa die erste Berlin-Krise - sind in dieser Edition nicht dokumentiert. Die sowjetische Beteiligung an der langfristigen Herausbildung des ostdeutschen Staats - also an der Teilung Deutschlands - bildete kein Auswahlkriterium.

Während die Dokumente vorbildlich bearbeitet sind - alle auf den Vorlagen sichtbaren Änderungen und Ergänzungen wurden akribisch in die Druckfassung übertragen -, beschränkt sich deren Kommentierung weitgehend auf biographische Angaben zu den in ihnen genannten Akteuren. Es fehlt durchgehend der Nachweis der in den Dokumenten angegebenen Quellen. Die Kommentierung stellt keinen Zusammenhang zur Arbeit der KPD/SED bzw. den ostzonalen Verwaltungen, zu den Entwicklungen in den übrigen Zonen bzw. der Bundesrepublik und zur Politik der Westmächte her. So werden zwar die vom Moskauer Politbüro bestätigten Telegramme an die sowjetischen Vertreter in der DDR oder in der UN-Vollversammlung vollständig abgedruckt, es wird jedoch nicht erklärt, wo und aus welchem Anlass diese Telegramme entstanden und inwieweit Stalin sowie die zuständige Abteilung und Spezialisten des ZK der VKP (b) oder gar die SED bzw. sowjetische Institutionen in Deutschland darauf Einfluss nahmen. Foitzik fragt niemals nach äußeren und inneren Wirkungsbedingungen der sowjetischen Politik in Deutschland. Die Westmächte und die politischen Kräfte in Deutschland, die sich freiwillig der sowjetischen Politik unterordneten, kommen nicht vor. Die sowjetische Politik und deren Quellenüberlieferung werden ganz selbstverständlich ausgehend von den Werten und Maßstäben des Herausgebers kritisiert, ohne diese zu hinterfragen.

Besondere Kritik verdient die Einleitung. Sie beansprucht etwa ein Viertel des Bandes, trägt aber wenig zur Vorstellung und zum Verstehen der Dokumente bei. In keiner Weise werden in ihr die Kriterien der Dokumentenauswahl offengelegt. Im Gegenteil: Es scheint, als schreibe der Herausgeber mit diesem Text gegen seine eigene Auswahl an. Dazu legt der in der Berliner Außenstelle des Münchener Instituts für Zeitgeschichte forschende Historiker nicht nur all sein angesammeltes Wissen, sondern auch seine Zweifel in diese Einleitung. In dem "Methodologische Misere" betitelten ersten Abschnitt dieser Einleitung skizziert er vielfältige Beobachtungen zu sowjetischen Quellen und deren Verarbeitung. Das Unwohlsein des Herausgebers mit dem Editionsgegenstand drückt sich in seiner Charakterisierung der sowjetischen Quellen aus, die er einmal als "archiviertes Altpapier" (27) und an anderer Stelle als "Datenmüll" (63) bezeichnet. Es scheint, als übertrage er seine gewachsene Ablehnung des sowjetischen Regimes auf die von dessen Funktionären hinterlassenen Schriftstücke. Unverständlich bleibt sein Versuch, die innere Widersprüchlichkeit der sowjetischen Deutschlandpolitik zur erklären: "Abstrakt lässt sich die Eigendynamik der innersystemischen Diffusion in einem Modell bannen, in dem das komplexe Verfahren in Verbindung mit der arbeitsteiligen Auffächerung und der differenzierten hierarchischen Tiefenstruktur des Gesamtsystems als Element der Effizienzsteigerung interpretiert werden kann. Vor dem Hintergrund der heterogenen und zudem komplex miteinander vernetzten Interessenlagen der tendenziell autonom handelnden Fachressorts ermöglichte es [sic] insgesamt ein administrativ, sachlich und zeitlich gestaffeltes integrales geopolitisches Handeln. Die sowjetische Deutschlandpolitik war damit in der Lage, gleichzeitig mehrere und sogar scheinbar miteinander konfligierende Ziele zu verfolgen." (36) Will uns der Autor damit sagen, dass es auch in der UdSSR eine Eigendynamik "tendenziell autonom handelnder Fachressorts" gab, die zu einer Effizienzsteigerung des "geopolitischen Handelns" der UdSSR beitrug, aber die UdSSR dennoch gleichzeitig die Gründung bzw. Festigung der DDR förderte, ohne vor deren Preisgabe zurückzuschrecken? Die Einschätzungen, zu denen er später kommt, räumen Zweifel an der Erklärungskraft des von ihm errichteten Modells nicht aus: "Aus wirtschaftspolitischer Sicht folgte insoweit sowohl die Hineingründung der DDR in den RGW als auch die Betonung der 'Einheit Deutschlands' rationalen Kalkülen. Zweifel stellen sich lediglich ein hinsichtlich der Kollationierung dieser Interessen in ihrer komplexen Detailfülle im vorgegebenen systemischen Rahmen, dem verfahrensspezifischen wie dem ideologischen." (56). Auch in der Einleitung thematisiert Foitzik die Teilung nicht und weicht damit der Suche nach deren Ursachen aus.

Für eine so gestandene und streitbewährte Persönlichkeit wie Jan Foitzik kommt das Eingeständnis überraschend: "Eine intensive Auseinandersetzung mit dem Forschungsstand ist nicht nur wegen der immensen Literaturfülle und der ungebremsten Flucht der deutschen Geschichtsschreibung in 'Theorien' nicht möglich, sondern auch deshalb, weil sie den Leser nur irritieren würde." (38) Dies hindert ihn nicht zu erklären: "Der 'Kalte Krieg' als narrative Darstellungsfabel wirkt wie ein Papierkorb." (33). Diesen kryptischen Gedanken entwickelt er an anderer Stelle weiter: "Der Vorhang des 'Kalten Krieges' verbirgt viele 'stories' über konkrete Auseinandersetzungen zwischen den beiden Weltmächten und verfremdet dadurch seine chronologisch-genetische Struktur." (41) In diesen Äußerungen drücken sich die Schwierigkeiten des Autors aus, Forschungsleistungen anderer, aber auch die Leistungen der von ihm abgelehnten historischen Akteure anzuerkennen. Dies findet leider auch seinen Niederschlag in der editorischen Praxis des Herausgebers. Wiederholt druckt er Dokumente ab, ohne die Erstveröffentlichung zu benennen. Dies ist bei zwei Dokumenten der Fall, die bereits 1998 in dem von Ralf Possekel eingeleiteten und bearbeiteten Band "Sowjetische Speziallager in Deutschland 1945 bis 1950" erschienen sind. [4] Wahrscheinlich aus dem gleichen Grund verzichtet Jan Foitzik vollständig auf den Abdruck von Dokumenten, die in den ersten drei Bänden der Edition "Die UdSSR und die deutsche Frage" enthalten sind. Auf diese Reihe bezieht er sich zwar hin und wieder in der Einleitung, nicht aber bei der Kommentierung der Dokumente. Dies ist insbesondere bei deutschlandpolitischen Dokumenten nachteilig, denn die Entwicklung der sowjetischen Deutschlandpolitik bleibt dadurch unkenntlich. Auch bleibt unklar, was die von Foitzik mit dem Anspruch auf Vollständigkeit abgedruckten Beschlüsse des Politbüros des ZK der VKP (b) zur deutschen Frage Neues gegenüber den bereits veröffentlichten Vorlagen des sowjetischen Außenministeriums bieten.

Das Besondere der Dokumentenauswahl, die Einbringung der osteuropäischen Perspektive auf die sowjetische Deutschlandpolitik, geht in der Einleitung leider unter. Eigene Erkenntnisse nutzt der Herausgeber dort zu Vorwürfen gegenüber Kollegen: "Durchgeführt wurde die Besatzungspolitik durch Fachdienste, deren separate Tätigkeit oft aus dem Blickwinkel gerät, weil sie geschichtspolitisch nicht 'ins Schaufenster gestellt' und deshalb von der Geschichtsschreibung übersehen wurde." (51) An anderer Stelle wirft der Herausgeber den Historikern vor, dass bei ihnen "der Einfluß 'harter' Faktoren auf die sowjetische Deutschlandpolitik ... meistens außer acht" bleibe und sie "allzu oft dem bequemen verengten Blickwinkel der Aktenbildner" folgten. (56) Die Erarbeitung der Edition frei von Kontakt, Austausch und Kritik führte zu einem Fehler, auf den abschließend hingewiesen werden muss. Das Dokument 83, den Politbürobeschluss betr. die "fehlerhaften Korrekturen Molotows am Entwurf der Verfassung der DDR", datiert Foitzik falsch auf den 22. Oktober 1949, also vierzehn Tage, nachdem die Provisorische Volkskammer der DDR diese längst veröffentlichte Verfassung in Kraft gesetzt hatte. Tatsächlich fasste das sowjetische Politbüro diesen Beschluss jedoch bereits ein Jahr zuvor. [5]

Gerade mit ihren unverkennbaren Stärken, aber auch Schwächen könnte die von Jan Foitzik vorgelegte Sammlung von Dokumenten Nachdenken darüber provozieren, wie sowjetische Dokumente eingeleitet und kommentiert werden sollten. Eine zentrale Rolle müsste dabei die vorbehaltlose Anerkennung der Handlungen der sowjetischen und deutschen Akteure als eines unabänderlichen Teils der historischen Wirklichkeit spielen. Diese gilt es in ihren Wirkungszusammenhängen zu verstehen, was nicht mit billigen gleichzusetzen ist. Ein solches Vorhaben erfordert die allseitige Berücksichtigung der Aktivitäten ihrer inneren und äußeren Kontrahenten ebenso wie die Offenlegung der sowjetischen Quellen. Aber auch die Berücksichtigung der vielfältigen (und damit auch widersprüchlichen) Ergebnisse der historischen Forschung bleibt für die Edition sowjetischer Dokumente unabdingbar.


Anmerkungen:

[1] Sovetskaja politika v otnošenii Germanii 1944-1954. Dokumenty, Moskva 2011.

[2] Dokumente zur Deutschlandpolitik I/5, München 2003, Dok. 200A, 867-950, hier 867-868, 870, 872-875, 889-892, 908-914, 943-945.

[3] Rudolf Boch / Rainer Karlsch (Hgg.): Uranbergbau im Kalten Krieg. Die Wismut im sowjetischen Atomkomplex, Band 2: Dokumente, Berlin 2011.

[4] Ralf Possekel (Bearb.): Sowjetische Dokumente zur Lagerpolitik. Band 2 der Reihe "Sowjetische Speziallager in Deutschland 1945 bis 1950". Hgg. von Sergej Mironenko / Lutz Niethammer / Alexander von Plato (Koordination) in Verbindung mit Volkhard Knigge und Günter Morsch. Berlin 1998.

[5] Vgl. Jochen P. Laufer / Georgij P. Kynin unter Mitarbeit von Kathrin König und Reinhard Preuß: Die UdSSR und die deutsche Frage 1948-1949, Band 4, Berlin 2012, Dok. 47, S. 147-148, vgl. dazu auch das dortige Dok. 48 und die Anm. 138.

Jochen Laufer