Horst Bredekamp: Leibniz und die Revolution der Gartenkunst. Herrenhausen, Versailles und die Philosophie der Blätter, Berlin: Wagenbach 2012, 166 S., 95 Farbabb., ISBN 978-3-8031-5183-4, EUR 29,90
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Die Erforschung der Entstehungsgeschichte des Landschaftsgartens hat in den letzten Jahrzehnten erstaunliche Fortschritte gemacht und dabei den Blick auch auf formale (geometrische / architektonische) Gärten gelenkt. Gerade erlebt das vor 27 Jahren edierte Buch von John Dixon Hunt Garden and Grove. The Italian Renaissance Garden in the English Imagination 1600-1750 eine Wiederentdeckung. Folglich diskutiert die jüngere Forschung, inwieweit auch die "designed landscapes" im England des ausgehenden 17. Jahrhunderts, die durchgestalteten Tiergärten oder das Marly-Boskett Ludwigs XIV., der Irrhain des Pegnesischen Blumenordens (1676-78) oder Parkteile von Schloss Hellbrunn (1613-16) landschaftliche Formen vorausnehmen. Überhaupt haben sich in der Forschung mittlerweile ebenso fruchtbare Ansätze herausgebildet, die den Einfluss der Sozial- und Wirtschaftsgeschichte auf den Landschaftsgarten betonten (z.B. Tom Williamson: Polite Landscapes, 1995) oder neue Leitwissenschaften wie die Botanik und die Agrarwirtschaft in den Vordergrund stellen (z.B. Douglas Chambers: Planters of the English Landscape Garden, 1993) und dabei deutlich machen, dass die britische und die kontinentale Gartengeschichtsschreibung nicht selten getrennte Wege gehen. Umfassende politische und philosophische Erklärungsmuster, die allein mit Begriffen wie Freiheit und Individualität operieren und vor allem von deutschen Wissenschaftlern bis heute mit Vorliebe bedient werden, sind verengend und müssen angesichts des internationalen Diskurses als veraltet gelten.
Dennoch zieht Horst Bredekamp nochmals gegen diesen längst nicht mehr aktuellen Ansatz mit seinem Buch Leibniz und die Revolution der Gartenkunst ins Feld. Seine Hauptthese ist, dass der Landschaftsgarten das erste Mal unter dem Einfluss Georg Wilhelm Leibniz im Garten von Hannover-Herrenhausen antizipiert wurde, bzw. dass dort alle Begrifflichkeiten vorgedacht waren, die man dem Landschaftsgarten zuschreibt, wobei die Freiheit, Entgrenzung, Natürlichkeit als Paradigmata bestimmend seien.
Im Kapitel "Der große Garten von Herrenhausen" (13-41) sowie dem folgenden "Leibniz' Aktivitäten in Herrenhausen" (43-72) gibt das Buch eine höchst erfreuliche Tour d'horizon durch die bisher zu Herrenhausen geleisteten Forschungen.
Im Mittelpunkt steht der Universalgelehrte, Berater, Gesprächspartner, Genealoge, Ingenieur und Bibliothekar des Kurfürstenpaares, und sein Fontänenprojekt, das parallel zum Ausbau des Großen Gartens in Herrenhausen 1695/95 und 1706 diskutiert, jedoch erst 1721 mit riesigem Erfolg, allerdings unabhängig von Leibniz, realisiert wurde. [1] In Leibniz' Ausführungen, die mittlerweile in einer hervorragend edierten und kommentierten (Internet-)Ausgabe zugänglich sind, werden technische Fragen, Vorschläge zur Wasserversorgung und Gondelfahrten diskutiert. Für Leibniz bedeutete es die Chance auf ein auch für ihn prestigeträchtiges Experiment.
Im dritten Kapitel des Buches, "Leibniz' Herrenhäuser Philosophie", bespricht Bredekamp das von Leibniz aufgebrachte Indiszernibilienprinzip (73-77), die im Versailler Garten und in Hannover seiner Ansicht nach rezipierte "intrinsische Unendlichkeit" (77-85) und versucht den in seinen Achsen ca. 5% verzerrten Herrenhausener Garten durch "Die Kunst der Abweichung" (85-91) zu erklären. Im anschließenden Kapitel "Die gezeichnete Monade" (91-111) steht ein undefiniertes, skizziertes Schema im Mittelpunkt, das Leibniz vermutlich zufällig (da mit anderer Tinte ausgeführt) unter ein Briefkonzept zum Fontänenprojekt vom 21. Juli 1696 setzte. Bredekamp regt diese bislang nur als Nebensächlichkeit verstandene Skizze an, und er überträgt sie in einer Simulation auf eine andere, schematische Ansicht des Fontänenprojekts von Leibniz' (Abb. 77). Sofort lassen sich seiner Interpretation zufolge die typische Form der damals bekannten "Gärtner-Ellipse" assoziieren, genauso wie eine "Performanz des Lichts" (u.a. Feuerwerke, Tschirnhaus' Brennspiegel), um dann über das "Tentamen anagogicum" im Philosophischen eine Erklärung zu vermuten: "Hierin zeigt sich Leibniz' assoziativer Dynamismus als Fähigkeit der augenblicklichen Zusammenziehung an sich unvereinbarer Sphären" (110).
Im vierten Kapitel beschreibt der Autor "die Modernität des Barockgartens" indem er die "Paradoxien des Landschaftsgartens" (115-118) aufzulösen versucht. Zu Recht relativiert er an britischen Beispielen die Begrifflichkeiten wie Freiheit und Entgrenzung als soziale Utopie und verweist auf die seiner Meinung nach allgemeine Zugänglichkeit des Barockgartens, um dann auf die Kritik an dem frühen deutschen (nicht unbedingt am zeitgleichen englischen!) Landschaftsgarten zu kommen, der als Topos sich vom zitierten Caspar-David-Friedrich-Kritiker Basilius von Ramdohr bis hin zu Goethes Wahlverwandtschaften als nationaler Topos herausgebildet hat. Das Pro-und-contra zwischen formalem und landschaftlichen Garten wird im Verweis auf die Abbildung Herrenhausens im Stichwerk "Détail des nouveaux jardins à la mode" (1775-1790) des ausgerechnet in Hannover gebürtigen Georges-Louis Le Rouge festgemacht, der jedoch auch andere formale, nicht von Leibniz bestimmte Gärten abbildet (Karlsruhe, Zeist, Marly, Bessungen...), um seine konservativen Kunden nicht vor den Kopf zu stoßen. [2]
Auf das letzte Unterkapitel "Die Wolken des Lukrez" (123-128) sei hier vertiefend beispielhaft eingegangen: In dem auch anderenorts [3] zu findenden Horizont aus Bergen und Wolken (Kupferstich von Herrenhausen in der Frontklappe, 1708) erblickt Bredekamp etwas Bedeutungsvolles, denn auch das Frontispiz von Bernard le Bovier de Fontenelles Buch Entretiens sur la Pluralité des Mondes (1701, Abb. 90), das Leibniz nicht sehr geschätzt hat (s. Anmerkungen in seiner 1687er Erstausgabe) zeigt mit seiner fiktiven Firmament- (hier allerdings Nacht!) und Gartendarstellung eine "Korrespondenz zwischen Himmel und Erde". Die Wolkenformation, die der unbekannte Herrenhausen-Stecher als Schatten auch auf den Garten legt, trennt nicht nur optisch den vorderen (Parterre) vom hinteren Gartenbereich (Boskett), sondern vermittelt Lebendigkeit. Bredekamp sieht hierin aber auch "die Grenzüberschreitung des Landschaftsgartens [Verf.: Barockgarten?]", denn "der Himmel schickt auch jenes amoenische Prinzip, das mit dem Landschaftsgarten identifiziert werden wird" (125). Dass Wolken bzw. Naturstudien tatsächlich einen Einfluss auf Landschaftsmalerei und -gestaltung haben können, wies Werner Busch anhand Alexander Cozens' Naturstudien nach. [4] Im Unterschied zu Leibniz, für den Lukrez kein Bezugspunkt war, führt Bredekamp jedoch den Leser lieber zu dessen Werk De rerum natura, in dem in schönen Versen über die Entstehung der Wolken berichtet wird. Da sich vornehmlich die Renaissance an Lukrez orientierte, werden im Text die Wolkenformationen in Andrea Mantegnas Pallas Athene vertreibt die Laster aus dem Garten der Tugend genauer betrachtet, was vor allem dadurch verblüfft, dass dieses Werk nach einem bereits nachgestellten Gemälde ("einem gemalten tableau vivant") entstanden sein soll. In den dort abgebildeten Wolken ("Metamorphosen") wird nicht nur ein "Angriff der Formenmetamorphosen auf die gefügte Norm" konstatiert, sondern erkannt, dass ihnen eine "dynamis" innewohnt, gleich wie den Wolken auf der Landschaftsdarstellung eines unbekannten Hercules-Seghers-Nachfolgers, das wegen seltsamer Übergänge zunächst Fragen nach Fähigkeiten des Malers und des Erhaltungszustandes eröffnet (Abb. 93, 94). Am Ende wird konstatiert, dass Wolken und Schatten im Barockgarten Motive von Lukrez' Ausführungen zur Wolkenbildung (hier "Spieltheorie" genannt) widerspiegeln, wobei sie "Leibniz... auf ähnliche Weise genutzt und in distanzierter Parallele entwickelt" haben soll (128)...
Der Essay ist an gedanklicher Virtuosität kaum zu übertreffen und wäre, wenn er nicht mit einem wissenschaftlichen Apparat ausgestattet wäre, als kunsthistorische Skizze interessant. Dann würde man auch die Verkürzungen, Gedankensprünge und Überinterpretationen allesamt als originell und vielleicht sogar anregend bezeichnen können. Angesichts des bisherigen und hier größtenteils ausgeblendeten Forschungsdiskurses beschleicht einen jedoch das Gefühl, dass es sich hier (auch angesichts der beneidenswerten Rezeption dieses Werkes in der Tagespresse) eher um eine Parabel auf des Kaisers neue Kleider handelt.
Anmerkungen:
[1] Der wesentliche Beitrag hierzu: Carol Fry: Spanning the Political Divide, in: Garden History 31/2, 2003, 180-192, nicht bei Bredekamp.
[2] Der wesentliche Beitrag hierzu: Carol Fry: Spanning the Political Divide, in: Garden History 31/2, 2003, 180-192, nicht bei Bredekamp.
[3] Vgl. die in der gleichen Werkstatt vor 1700 gefertigten anonymen Kupferstiche niederländischer Residenzen, aber auch Michaela Völkel: Das Bild vom Schloss, München / Berlin 2001.
[4] Werner Busch: Das sentimentalische Bild, München 1993, 329-380. Die Naturstudien beziehen sich in erster Linie auf Wolken und geologische Formationen. Letzte spielen bei der Landschaftsgestaltung in Kassel-Wilhelmshöhe (u.a. durch Tischbein) eine entscheidende Rolle.
Marcus Köhler