Ben Jackson / Robert Saunders (eds.): Making Thatcher's Britain, Cambridge: Cambridge University Press 2012, XIII + 353 S., ISBN 978-1-1076-8337-2, GBP 19,99
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David Cameron scheint allmählich in die Fußstapfen John Majors zu treten. Dieser war nach seinem überraschenden Wahlsieg 1992 in den Mahlstrom einer Rebellion geraten, die - von den Hinterbänklern seiner eigenen Partei entfacht - den Konservativen 1997 eine verheerende Niederlage bescherte. Zwei Themen waren es, die Major das Leben schwer und ihn selbst nach 1997 zur persona non grata der Tories machten: Europa und der boom and bust der Konjunktur. Camerons halbherzige Europapolitik ist Wasser auf die Mühlen derer, die das Ausscheiden aus der EU mittlerweile zu einer Frage der nationalen Ehre stilisieren. Und die fortwährende Malaise der britischen Wirtschaft und Staatsfinanzen, deren Genesung in weite Ferne gerückt ist, hat ihre Wurzeln nicht zuletzt in der Abhängigkeit von Finanzinstitutionen, die einst der Stolz der Londoner City waren, nun aber als teure Kostgänger der Steuerzahler ein volkswirtschaftliches Comeback Britanniens hintertreiben.
Sucht man nach den Ursachen dieser Entwicklung, so wird man in den achtziger Jahren fündig. In der Ära Margaret Thatcher wurde die Finanzwelt in jenem inzwischen berüchtigten bonfire of regulations von zahlreichen Hemmnissen befreit, was ohne Zweifel der Globalisierung auf die Sprünge half, aber zugleich die Volatilität der Märkte zu einem Menetekel für die Stabilität ganzer Gesellschaften machte. Und Thatchers zunehmend erratische, am Ende durchweg feindselige Haltung gegenüber der europäischen Integration ist ein Erbe, das keiner ihrer Nachfolger ignorieren konnte und das politische Klima in Großbritannien nachhaltig vergiftet hat. Der von Ben Jackson und Robert Saunders herausgegebene Sammelband sichtet das Vermächtnis Thatchers in verschiedenen Politikfeldern und fragt dabei insbesondere nach dem Verhältnis zwischen Bruch und Kontinuität in Thatchers Regierungsbilanz. Denn allein die Tatsache, dass die Eiserne Lady nach dem Scheitern der Regierung Heath 1974 zusehends Gefallen an "eschatological politics" (30) fand, genügt den Autorinnen und Autoren nicht, um das ausgiebig diskutierte Ende des britischen Nachkriegskonsenses für bare Münze zu nehmen. So seien zwar die Auswirkungen der monetaristischen Schocktherapie - die Schrumpfung der Industrie, der Anstieg der Arbeitslosigkeit - "seismic" (5) gewesen, doch der Wohlfahrtstaat, dem der besondere Ingrimm der Neuen Rechten galt, blieb weitgehend unangetastet. Andererseits leistete der Verkauf der Sozialwohnungen dem possessiven Individualismus Vorschub, während die Entfesselung der Marktkräfte die Ungleichheit zwischen den Gewinnern und Verlierern des Thatcherismus merklich verschärfte. Thatcher selbst hielt sich dabei nie beim ökonometrischen Feinschliff auf. Vielmehr deutete sie die Krise Britanniens psychologisch-moralisch handfest als Kapitulation vor den Fliehkräften einer Moderne, die Individuen entmündige, indem sie diese aus der Verantwortung für die eigene Existenz entlasse. Als Agenten dieser schleichenden Selbstentfremdung der mündigen Bürger galten ihr die Gewerkschaften.
Das Narrativ des britischen Niedergangs, das den politisch-ökonomischen Diskurs seit den späten fünfziger Jahren zu dominieren begann, verhalf Thatcher - neben dem Mehrheitswahlrecht und der Selbstzerfleischung von Labour - zu drei Wahlsiegen. Jackson macht deutlich, wie vehement neoliberale Think Tanks die mediale Landschaft umzupflügen versuchten, um die öffentliche Meinung auf den Monetarismus einzuschwören, der sich, so Jim Tomlinson, die Inflationsbekämpfung auf die Fahnen schrieb, um die Verantwortung für die Arbeitslosigkeit an die Tarifpartner zu delegieren. Matthew Grimley legt den Finger in die Wunde der moralischen Wende. Denn anders als die Rhetorik Thatchers vermuten ließ, stieg die Verschuldung der Privathaushalte rapide an, was die Abhängigkeit vom Staat durch die von Banken ersetzte. Außerdem habe der blanke Materialismus, den die Tories inaugurierten, wenig mit dem gern beschworenen christlichen Erbe Großbritanniens zu tun. Hatten Spötter die Wahl Thatchers zur Tory-Chefin 1975 noch als Transformation der Konservativen in eine "rump party of suburban protest" (133) bagatellisiert, so zeigte sich alsbald, dass Thatcher nichts weniger als einen veritablen Kulturkampf mit dem Ziel des "reverse social engineering" (143) führte.
Richard Finlay attestiert Thatcher wenig Fingerspitzengefühl im Umgang mit dem Celtic fringe. Schotten und Waliser hätten den Rückbau staatlicher Schutzvorkehrungen als Angriff auf ihre Landesteile gesehen, in denen die Tories bis heute marginalisiert sind. Eine Unabhängigkeit Schottlands würde deshalb vor allem die Wahlaussichten der Konservativen verbessern. Ganz anders verfuhr Thatcher indes mit Blick auf Nordirland. Immer wieder charakterisieren die Autoren des Bands den bedingungslosen Unionisten Enoch Powell als alter ego Thatchers. Doch gerade die irischen Querelen hätten gezeigt, so Marc Mulholland in seinem instruktiven Beitrag, dass Thatcher bereit war, über ihren Schatten zu springen, wenn es galt, einen Krisenherd zu bereinigen, der von vordringlicheren Aufgaben ablenkte. Mit dem anglo-irischen Abkommen von 1985 gestand Großbritannien ein, dass seine Souveränität in Nordirland eine Pflicht sei, die aber in Konkurrenz stehe zu der gesamtirischen Souveränität als Recht, das sich je nach den demographischen Gegebenheiten auf der irischen Insel ausforme. Der Kalte Krieg und das "post-imperial twilight" (218) boten Thatcher wenig Gelegenheit, den Konsens der britischen Außenpolitik in Frage zu stellen. Andrew Gamble veranschaulicht, wie die Premierministerin aber allmählich von der EG als Motor der ökonomischen Erneuerung abrückte und sich stattdessen als Jeanne d'Arc britischer Selbstbestimmung gerierte. Stephen Howe beschreibt Thatcher als "almost uniquely insular and 'a-imperial'" (237), weshalb der Abschied vom Empire Thatcher nie in Nostalgie versinken ließ. Ihr nüchternes Verhältnis zum Commonwealth brachte sie sogar in Frontstellung zur Königin. Zu Recht betont Howe, dass es sich beim Falklandkrieg 1982 keineswegs um ein verzweifeltes Aufbegehren gegen eine postimperiale Katerstimmung handelte, sondern um einen Kampf für unveräußerliche Positionen des Völkerrechts. Das Empire war für Thatcher also eine Facette jenes Establishments, das sie für den Niedergang Großbritanniens verantwortlich machte.
Die Beiträge resümieren den Forschungsstand, ohne ihm Wesentliches hinzuzufügen. Sie gewinnen ihren Reiz aus der Identifizierung von Kontinuitätslinien, die den Thatcherismus mit der Gegenwart verbinden. Tony Blair war als Premierminister peinlich darauf bedacht, den von Thatcher etablierten Konsens in der Wirtschaftspolitik und im Verhältnis zu den Gewerkschaften zu respektieren, um nicht von den publizistischen Bataillonen des Thatcherismus zur Strecke gebracht zu werden. David Cameron wiederum musste die Flucht nach vorne antreten und ein Referendum über Europa avisieren, um nicht von den Wiedergängern Thatchers in der eigenen Partei weiter in die Enge getrieben zu werden. Auch gut zwei Jahrzehnte nach Thatchers Rücktritt ist ihr Erbe so lebendig wie eh und je.
Gerhard Altmann