Maurizio Cau (a cura di): L'Europa di De Gasperi e Adenauer. La sfida della riconstruzione (1945 - 1951) (= Annali dell'Istituto storico italo-germanico in Trento; 84), Bologna: il Mulino 2012, 500 S., ISBN 978-88-15-14688-5, EUR 34,00
Inhaltsverzeichnis dieses Buches
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Andreas Wilkens (Hg.): Wir sind auf dem richtigen Weg. Willy Brandt und die europäische Einigung, Bonn: J.H.W. Dietz Nachf. 2010
Wolfram Kaiser / Antonio Varsori (eds.): European Union History. Themes and Debates, Basingstoke: Palgrave Macmillan 2010
Alexander Reinfeldt: Unter Ausschluss der Öffentlichkeit? Akteure und Strategien supranationaler Informationspolitik in der Gründungsphase der europäischen Integration, 1952-1972, Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2014
N. Piers Ludlow: The European Community and the Crisis of the 1960s. Negotiating the Gaullist Challenge, London / New York: Routledge 2006
Michael Gehler: Europa. Von der Utopie zur Realität, Innsbruck: Haymon Verlag 2014
Gabriele Clemens / Alexander Reinfeldt / Telse Rüter: Europäisierung von Außenpolitik? Die Europäische Politische Zusammenarbeit (EPZ) in den 1970er Jahren, Baden-Baden: NOMOS 2019
Kiran Klaus Patel: Projekt Europa. Eine kritische Geschichte, München: C.H.Beck 2018
Marie-Thérèse Bitsch: Robert Schuman, Apôtre de l'Europe 1953-1963, Frankfurt a.M. [u.a.]: Peter Lang 2010
Im Zentrum dieses Sammelbandes stehen drei Leitfragen: Zum einen soll die unmittelbare Nachkriegszeit als besondere Epoche untersucht werden. Sie sei, so schreibt der Herausgeber, in der Forschung bislang vor allem als Zeit des Übergangs thematisiert worden (13). Es spreche aber vieles dafür, die Zeit zwischen 1945 und 1951 als eigene Epoche zu betrachten. Eng verbunden sei diese Zeit zum zweiten mit den Namen von Alcide de Gasperi und Konrad Adenauer, weswegen sie auch in diesem Band eine besondere Rolle spielen sollen. Zum dritten strebt der Band einen Vergleich der Nachkriegszeiten nach 1918 und 1945 in Deutschland und Italien an.
Die Leitfragen werden in fünf Unterkapiteln bearbeitet. Zunächst wird der Versuch unternommen, die zweite europäische Nachkriegszeit zu historisieren und mit der ersten Nachkriegszeit zu vergleichen. Zwei Aspekte stehen hier im Vordergrund. Christoph Cornelißen und Stefano Cavazza gehen der Frage nach, inwieweit die Erinnerung an die erste Nachkriegszeit das Handeln der Akteure in der Phase zwischen 1945 und 1951 prägte. Cavazza betont den nationalen Zusammenhalt in Italien nach 1945 als wichtige Lektion aus den Ereignissen nach 1918; allen ideologischen und gesellschaftlichen Gegensätzen zum Trotz habe die Nation als zentraler Identitätsanker in Italien funktioniert. Er hebt in diesem Kontext die Bedeutung des de-facto-Bürgerkrieges in den letzten Kriegsjahren hervor, der den Akteuren die Gefahr des Zerbrechens des Nationalstaates vor Augen geführt habe. Cornelißen skizziert die Lehren aus der Verfassung von Weimar für die Entstehung des Grundgesetzes und die Debatten unter Intellektuellen über die Deutsche Frage nach 1945. Weitere Beiträge thematisieren die Liberalen in Italien nach 1945 (Giovanni Orsina), die Südtirol-Frage (Elena Tonezzer) und die Perzeption des Versailler Vertrages nach 1945 (Sara Lorenzini).
Im zweiten Kapitel stehen ökonomische Fragen im Mittelpunkt. Die ordnungspolitischen Debatten um die Gestaltung der Wirtschaft in Deutschland und Italien fassen Marcello de Cecco und Rolf Petri zusammen. Italien und die Bundesrepublik Deutschland, so de Cecco, erlebten in den 1950er Jahren einen beispiellosen Boom. Während dieser aber in der Bundesrepublik bereits ab 1950 eingesetzt habe, legte in Italien erst die Gründung des Gemeinsamen Marktes 1958 die Grundlage für den Wirtschaftsaufschwung. Rolf Petri interessiert sich in seinem Beitrag mehr für die ordnungspolitischen Debatten in der Bundesrepublik. Er zeigt, dass die deutschen Parteien sich in der unmittelbaren Nachkriegszeit am Leitbild des Keynesianismus orientierten. Erst nach 1948 setzte sich das Ordnungsprinzip der Sozialen Marktwirtschaft durch. Sozialistische und keynesianische Gedanken spielten nicht nur in Deutschland und Italien eine Schlüsselrolle in der unmittelbaren Nachkriegszeit, sondern auch in Frankreich und Großbritannien. Mark Gilbert geht in seinem Beitrag auf die ordnungspolitische Debatte innerhalb der britischen Labour-Party nach 1945 ein, die zum ersten Mal in der Geschichte des Landes zur alleinigen Regierungspartei wurde.
Die großen politischen Ideologien und ihre Bedeutung für die Epoche stehen im Mittelpunkt der dritten Sektion des Buches. Michele Marchi vertritt die These, dass die Christdemokratie nach 1945 zur dominierenden Leitideologie in Europa aufgestiegen sei, geht allerdings wenig auf die Gründe hierfür ein. Zudem mag man einwenden, dass dies für Italien und die Bundesrepublik Deutschland, eventuell auch Frankreich gilt, keineswegs jedoch für Großbritannien. Maurizio Cau erläutert die ideologischen Auseinandersetzungen zwischen Christdemokraten, Sozialisten, Kommunisten und Liberalen in Italien in der Nachkriegszeit. Beide Autoren tendieren jedoch dazu, die Bedeutung der Ideologie zu überschätzen. Welche Rolle spielten Machtfragen und nicht zuletzt auch der Einfluss der USA im Kalten Krieg dabei, dass Adenauer und De Gasperi sich in ihren politischen Systemen durchsetzen konnten? Eben dies fragt auch Raffaella Baritono in ihrem Beitrag. Sie vertritt die These, dass die Truman Administration der USA nach 1947 bestrebt gewesen sei, das in den USA erfolgreiche Konzept des "New Deal" auf die ganze Welt, und insbesondere Westeuropa, auszudehnen. Auch dies mag richtig sein, war aber gewiss nicht alleine eine Frage der Ideologie, sondern auch der Machtpolitik im Ost-West-Konflikt.
Im vierten Kapitel stehen politische Parteien im Mittelpunkt. Guido Formigoni verortet die Entstehung der modernen Massenpartei mit einer breit differenzierten ideologischen Ausrichtung und einer professionellen Führung in der unmittelbaren zweiten Nachkriegszeit. Dies steht im Gegensatz zur klassischen These von Robert Michels, der die Wende von der Honoratioren- zur Massenpartei bereits im späten 19. Jahrhundert beobachtet hatte. Mariapia Bigaran widerspricht dieser These ebenfalls implizit in ihrem Beitrag über die italienischen Parteien in der ersten unmittelbaren Nachkriegszeit zwischen 1918 und dem Aufstieg des Faschismus Mitte der 1920er Jahre. Differenzierter argumentiert ebenso Winfried Becker in seinem Vergleich zwischen den deutschen Parteien der Weimarer Republik und jenen der Bundesrepublik Deutschland. Auch er betont die Rolle der alliierten Besatzungsmächte in Deutschland nach 1945, die zu einer Verwestlichung der politischen Parteien in Deutschland beigetragen hätten.
Im fünften und letzten Kapitel stehen die beiden titelgebenden Akteure im Mittelpunkt, Alcide De Gasperi und Konrad Adenauer. Gian Enrico Rusconi schildert die bilateralen politischen Beziehungen zwischen Italien und der Bundesrepublik, Manfred Görtemaker und Piero Craveri untersuchen die langfristige Wirkung der beiden Staatsmänner für das jeweilige politische System. Görtemaker geht hierbei besonders auf den Begriff der "Kanzlerdemokratie" ein, der durch den Führungsstil Adenauers geprägt worden und bis heute relevant sei. Auch De Gasperi, so Craveri, wirkt bis heute nach, allerdings eher in verklärender Erinnerung an eine Zeit, in der in Italien noch Glaubwürdigkeit und Seriosität die Politik beherrscht hätten.
Insgesamt legt man das Buch trotz einiger erhellender Einzelbeiträge etwas ratlos zur Seite. Zum einen wird nicht klar, warum die Zeit zwischen 1945 und 1951 eine eigenständige Epoche in Europa sein soll. Es fehlen die Hinweise auf die Charakteristika der Epoche, die jene von der zweiten Hälfte der 1950er Jahre in signifikanter Weise unterscheiden. Zweitens wird nicht klar, warum gerade Adenauer und De Gasperi als Leitfiguren dieser Zeit fungieren sollen. Ihre Bedeutung sei unbestritten, aber inwiefern sind sie repräsentativ für die in diesem Band angesprochenen Themen?
Guido Thiemeyer