Sibylle Ehringhaus / Roland Kanz (Hgg.): Berliner Kunstbetrieb. Berliner Wirklichkeit. Briefe des Malers Eduard Magnus 1840 bis 1872 (= ATLAS. Bonner Beiträge zur Kunstgeschichte; Bd. 7), Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2012, 275 S., 18 Farb- und diverse s/w-Abb., ISBN 978-3-412-20460-0, EUR 34,90
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Ein Zufallsfund sorgte dafür, dass die vorliegende Briefedition im Jahr 2012 überhaupt entstehen konnte: Die Herausgeberin stieß im Zuge von Recherchen in der Weimarer Herzogin Anna Amalia Bibliothek auf das knapp 150 Briefe umfassende Konvolut des Porträtmalers Eduard Magnus (1799-1872) an den Altertumswissenschaftler Gustav Adolf Schöll (1805-1882) aus insgesamt über drei Jahrzehnten. [1]
Das knapp 300 Seiten starke Buch ist als siebter Band der Reihe ATLAS Bonner Beiträge zur Kunstgeschichte erschienen, welche seit 2004 verschiedenste Themen behandelt und vom Kunsthistorischen Institut der Universität Bonn herausgegeben wird. Die Herausgeberin hat bereits zwischen 1996 bis 1999 an dem Projekt Adolph Menzel in Weimar gearbeitet [2], in dessen Umfeld der Maler Magnus als Porträtist der Familie Mendelssohn und illustre Figur des Berliner Kunstlebens bereits aufgetaucht war (25).
Innerhalb nur eines Jahres wurden die Briefe, welche Magnus an seinen Freund Schöll zwischen 1842 und 1872 schrieb, transkribiert und kommentiert. Bedauerlicherweise konnte hier nur die eine Seite der brieflichen Kommunikation erschlossen werden, da die Antworten des Archäologen Schöll nicht im Briefkonvolut enthalten waren.
Schon im Vorwort wird der wichtigste Grund für diese Edition genannt: Quellenarbeit ist "ein unverzichtbarer Teil wissenschaftlicher Erschließungs- und Deutungsarbeit" und somit Grundlagenforschung in der Kunst- und Kulturgeschichte, die sich, wie die anderen "wissenschaftlichen Disziplinen immer wieder aufs neue ihrer materiellen Grundlagen versichern muss" (8). Und tatsächlich zeigt diese Auswahl an Briefen die sehr persönliche Perspektive einer wichtigen Person der Berliner Gesellschaft auf den Kunstbetrieb der Stadt und ganz Deutschlands in der Mitte des 19. Jahrhunderts.
Eduard Magnus als Samuel Magnus und Sohn eines jüdischen Tuch- und Seidenhändlers 1799 in Berlin geboren, wurde protestantisch getauft und wuchs in einem großbürgerlichen Umfeld auf. Aufgrund seiner Begabung ergriff Magnus den Beruf des Malers und entwickelte sich schnell zu einer "Figur des Berliner Großbürgertums par excellence" (9), bisher ist ihm jedoch die Würdigung durch eine zusammenfassende Monografie verwehrt geblieben. Magnus, der mit seiner künstlerischen Produktion in die Epoche des Realismus fällt, musste - wie viele seiner Zeitgenossen - den aufkommenden Wettbewerb zwischen Malerei und Fotografie seit 1839 miterleben. Auch trug er seine Meinung in die Öffentlichkeit und publizierte, wie zum Beispiel den Nachruf auf den Restaurator der Königlichen Museen Jakob Schlesinger, der zeitlebens auch sein Mentor war. Seine Veröffentlichungen zählen heute jedoch zur Grauen Literatur (16).
Der Edition - insbesondere auch durch eine umfassend erläuternde Einleitung (9-27) - kommt daher der Verdienst zu Gute, dass sie den Maler wieder in den Fokus rückt, der mit vielen Zeitgenossen trotz seiner wichtigen Position innerhalb des Berliner Kunstlebens das Schicksal des Vergessenwerdens teilt.
Der in Stuttgart geborene Archäologe und Altertumswissenschaftler Gustav Adolf Schöll studierte in Tübingen und kam 1832 nach Berlin, wo er schnell den Weg in intellektuelle Kreise und so auch zu Magnus findet. Ab 1842 übernahm er in Weimar die Ämter Goethes und "intervenierte und publizierte in allen Kunstbelangen" (23). So zeigt diese Veröffentlichung die eine Seite eines sehr vertrauten Austauschs zwischen zwei unterschiedlichen Persönlichkeiten.
Die Themenvielfalt der Korrespondenz ist erstaunlich: Von privaten Familienereignissen, wie der Hochzeit des Bruders (29) über kulturhistorische Begebenheiten, wie dem Streit um die Echtheit der Holbeinmadonna in Dresden von 1871 (211) bis hin zu zeitgeschichtlichen Ereignissen, wie der Revolution von 1848 (38ff.) wird kaum etwas ausgespart.
Der Stil ist insgesamt freundschaftlich und persönlich. Zu Beginn noch beim Sie, wechselt Magnus nach einer längeren Pause von sieben Jahren zum Du über, auch wird der Ton immer vertrauter. Lücken von ein bis eben sieben Jahren sind wahrscheinlich Auslandsaufenthalten des Verfassers geschuldet. Insgesamt nimmt die Quantität der Briefe im letzten Jahrzehnt jedoch besonders zu: Bis zu 18 Briefe schreibt Magnus an seinen Freund im Jahr 1869.
Die Publikation besticht durch eine übersichtliche Struktur und besonders das Vorwort und der Anhang sind positiv hervorzuheben. Nicht nur die Einführung bietet einen informativen Einstieg in die Lektüre der Briefe. Auch der Anhang, welcher neben Stammtafeln (247, 249, 251), Erläuterungen zu wichtigen Personen (252-256), Registern zu historischen Referenzen aus Kultur und Politik (256), zu erwähnten Kunstwerken (258-ff.) auch das obligatorische Personenregister (261-274) enthält, hebt den Wert der Publikation weit über den einer bloßen Briefedition heraus. Diese durch Fußnoten erläuterte Briefsammlung gewährt dem Leser einen persönlichen Einblick in das Kunstlebens des Deutschen Reichs und speziell Berlins zu jener Zeit. Dazu trägt insbesondere die unprätentiöse Art und der sehr persönliche und humorvolle Stil Magnus' bei und lässt die Lektüre zu einem kurzweiligen und amüsantem Unterfangen werden. Bemerkenswert auch: Während der Recherchen stieß die Herausgeberin auf bisher unveröffentlichte Bilder des Malers, welche in dem beeindruckenden Tafelteil in der Mitte des Bandes farbig reproduziert wurden.
Die Bedeutung von Künstlerbriefen und kunsthistorischer Editionspraxis [3] für die Kunstwissenschaft zeigt sich hier besonders: Neben Ereignissen der kulturhistorischen Zeitgeschichte offenbaren sich hier auch soziokulturelle Aspekte: Die Bedeutung von Briefen als wichtiges Instrument der Kommunikation. Als Stilmittel des Ausdrucks eigener Ansicht neben der Zeitzeugenschaft sind diese Briefe nicht zuletzt auch Beweis der lebendigen, in Briefen gepflegten Freundschaftskultur des 19. Jahrhunderts (15). Weitere Künstlerbriefeditionen in dieser Form wären wünschenswert, da sie die jeweilige künstlerische Produktion um eine wichtige Komponente erweitern, Forschern verschiedener Disziplinen ungefiltert Quellenmaterial nutzbar machen und neue Forschungsfelder eröffnen können.
Anmerkungen:
[1] Sibylle Ehringhaus: Hinter den Kulissen. Über Kunstangelegenheiten in Berlin und Weimar im 19. Jahrhundert, in: Museumsjournal 4 (2005), 14-17.
[2] Sibylle Ehringhaus: Adolph Menzel in Weimar, Böhlau / Wien / Köln 1999.
[3] Bernhard Maaz: Was heißt und zu welchem Ende studiert man historische Quellen? Fragestellungen und Beobachtungen zur kunsthistorischen Editionspraxis, in: Zeitschrift des deutschen Vereins für Kunstwissenschaft 62 (2008), 276-283.
Stephanie Baumewerd