Rezension über:

Peter Darby: Bede and the End of Time (= Studies in Early Medieval Britain), Aldershot: Ashgate 2012, XIII + 261 S., ISBN 978-1-4094-3048-3, GBP 65,00
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Rezension von:
Immo Warntjes
Historisches Institut, Universität Greifswald
Redaktionelle Betreuung:
Andreas Fischer
Empfohlene Zitierweise:
Immo Warntjes: Rezension von: Peter Darby: Bede and the End of Time, Aldershot: Ashgate 2012, in: sehepunkte 13 (2013), Nr. 9 [15.09.2013], URL: https://www.sehepunkte.de
/2013/09/22154.html


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Peter Darby: Bede and the End of Time

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In den letzten Jahrzehnten hat sich ein merklicher Wandel in der Bedaforschung vollzogen. Haben sich frühere Publikationen zumeist auf ein Werk oder ein Genre beschränkt (bspw. die Historia ecclesiastica oder Beda als Geschichtsschreiber), analysiert die neuere Forschung vermehrt Bedas gesamtes Oeuvre unter spezifischen Fragestellungen. Diesem Trend hat sich auch Peter Darby verschrieben, indem er in dieser, auf seiner an der University of Birmingham vorgelegten Dissertation basierenden Studie Bedas Endzeitvorstellungen in den Blick nimmt. Hierbei stützt er sich vornehmlich auf die exegetischen, historiographischen und komputistischen Schriften des northumbrischen Gelehrten.

Nach einer kurzen Einleitung ist die Monographie in drei Blöcke aufgeteilt: Der erste behandelt in drei Kapiteln Bedas chronologisches Grundgerüst (primär seinen Umgang mit der traditionellen Sechs-Weltalter-Lehre), die im Brief an Plegwin formulierte Verteidigung der Weltjahreszählung nach der Vulgata sowie Bedas Ausweitung der vorgenannten Lehre auf ein siebtes und achtes Weltalter. Der zweite Block wendet sich in zwei Kapiteln Bedas Vorstellungen über die Vorboten und den Zustand der Endzeit zu. Im dritten Block wird in drei Kapiteln Bedas Verortung seiner Gegenwart relativ zum Weltende sowie die Entwicklung von Bedas Endzeitvorstellung im Laufe seiner Lebenszeit diskutiert, wobei das Jahr 716 als Wendepunkt, als "Krisenjahr" ausgemacht wird, nicht zuletzt wegen des Todes des northumbrischen Königs Osred und vor allem von Bedas Abt und Mentor Ceolfrith sowie wegen des geschichtsträchtigen Übertritts des einflussreichen Klosters Iona von irischer Tradition zu römischer Orthodoxie. Abgeschlossen wird das Buch durch eine prägnante Zusammenfassung, graphische Darstellungen von Bedas Einteilungen der Weltzeit, einem kurzen Glossar, einem Literaturverzeichnis sowie einem knappen Namens-, Orts- und Sachregister.

Innerhalb des gesteckten Rahmens ist Darbys Untersuchung überaus überzeugend und sehr gut gelungen, sie liefert einen umfassenden Einblick in Bedas eschatologische Gedankenwelt und verortet sie besonders in den Kapiteln über den Brief an Plegwin (Kapitel 2) und die "Krise" des Jahres AD 716 (Kapitel 7) hervorragend im Kontext der northumbrischen Geschichte. Ob jedoch der Rahmen selbst, also der neue Trend der Bedaforschung, zielführend ist, bleibt kritisch zu hinterfragen. Zweifelsohne ist es eine begrüßenswerte Weiterentwicklung, den Untersuchungsgegenstand von einem Text auf das Gesamtwerk eines Autors auszudehnen. Dennoch ist bei diesem Trend auch ein wesentlicher Rückschritt zu verzeichnen. Haben sich frühere Forscher, zumindest teilweise, bemüht, die in einem Bedatext zu greifenden Vorstellungen in einen ideengeschichtlichen Kontext zu setzen, so verleitet die Ausweitung auf das Gesamtwerk dazu, eine solche Einordnung zu unterlassen oder zu verkürzen, hat die ausgedehnte Analyse doch schon genug Zeit und Tinte beansprucht. Dies birgt die folgenden Gefahren, die sich an Darbys Buch verdeutlichen lassen:

Darby diskutiert nur die bedeutendsten Quellen, die in den einschlägigen Bedaausgaben verzeichnet oder in der angelsächsischen Bedaforschung diskutiert wurden. Beda wird von seinen Bewunderern in eine Reihe großer Namen, von Augustinus über Gregor den Großen zu Isidor von Sevilla, gesetzt. Von den im unmittelbaren Umfeld Bedas entstandenen, anonymen irischen Traktaten will diese Forschung beispielsweise nichts wissen. Gerade die Sechs-Weltalter-Lehre wird im 7. und frühen 8. Jahrhundert in irischen Quellen diskutiert, vor allem im Traktat De divisionibus temporum, dessen Überlieferung spätestens durch den vielleicht größten Bedaforscher, Charles W. Jones, 1939 bekannt gemacht und erst kürzlich von Eric Graff präzisiert wurde. [1] Auch Bedas Ansicht, dass sich das Ende der Welt nicht vorausberechnen lässt, findet sich in irischen Quellen im 7. und frühen 8. Jahrhundert, so beispielsweise in De mirabilibus sacrae scripturae und daraus zitierend im Münchener Computus. [2] Ob sich über diese irischen Quellen Bedas Gedankenwelt tiefgründiger erschließen lässt, bleibt zu erforschen. Angesichts der Tatsache, dass Bedas Northumbria nur wenige Jahrzehnte vor Bedas Schaffensphase von irischen Mönchen des Klosters Iona missioniert wurde, erscheint die Nichtbeachtung irischen (und allem anderen, seit Isidor entstandenen) Schrifttums zumindest nachlässig.

Lässt sich über weniger bekannte, kontemporäre Texte die Entstehung von Bedas Ideen und Konzepten besser nachvollziehen, so gilt dies in ähnlicher Weise für die Einordnung seiner Widersacher. Beispielsweise belehrt Beda mehrfach seine Leser, sich vor den mathematici zu hüten, die meinen, das Ende der Welt vorausberechnen zu können. Bedaforscher geben sich damit zufrieden, dass der große Meister diese Kritik übt, was für sie bedeuten muss, dass es solche mathematici gegeben hat; auf die Suche nach diesen begeben sie sich freilich nicht. Für den interessierten Leser wäre es ausgesprochen hilfreich zu erfahren, dass u.a. ein zwei Jahre nach Bedas De temporum ratione entstandenes fränkisches Lehrbuch (Dial. Burg.), welches Krusch schon 1937 transkribiert und Arno Borst 2006 kritisch ediert hat, gerade eine solche Berechnung des Weltendes anstellt. [3] Generell ist die Berechnung des Weltendes in irischen Quellen spätestens seit den 640ern überliefert und ein bis zum vermeintlichen Weltende im Jahre 799/800 in ganz Westeuropa überliefertes Phänomen, worüber besonders die von Darby vernachlässigten Forschungen von Bruno Krusch und Dáibhí Ó Cróinín, aber zusammenfassend auch der von Darby zurate gezogene einschlägige Artikel von Richard Landes Auskunft geben. [4] Zweifelsohne wird Bedas Werk nicht ausreichend verstanden, wenn die Adressaten seiner Kritik übergangen werden.

Dies führt direkt zur verwendeten Sekundärliteratur. Wahrgenommen werden nur die Studien, die in einem eng umrissenen Kreis von (angelsächsischen) Bedaforschern entstehen bzw. entstanden sind, unter fast vollständiger Vernachlässigung der irischen und kontinentalen Forschung, gerade der Arbeiten, die sich mit Bedas Themenfeldern, aber nicht zwangsläufig direkt mit bedanischem Schrifttum auseinandersetzen. Besonders frappierend ist hier das Übergehen der Forschungen von Daniel Mc Carthy, der in mehreren Aufsätzen (besonders von 2010) sowie in seiner 2008 erschienen Monographie zu den irischen Annalen den Ansatz vertritt, die von Beda propagierte Weltjahreszählung nach der Vulgata sei keineswegs von Beda konzipiert worden, sondern er habe dieses Wissen aus Iona bezogen und Rufinus im frühen 5. Jahrhundert sei als Urheber anzusehen. [5] Man mag seinen Ansatz für verfehlt halten, ihn völlig zu ignorieren, wie Darby es tut, und somit die Weltjahreszählung nach der Vulgata als eine der grundlegendsten Innovationen Bedas ohne weiteren Kommentar darzustellen, wird der Forschungslage jedoch nicht gerecht.

Das Übergehen bedeutender Quellen und wesentlicher Studien außerhalb des unmittelbaren Blickfelds der Bedaforschung führt auch zu Missverständnissen der Bedeutung von Bedas Ideen. Als erster Rezipient wird vornehmlich auf Rabanus Maurus (teilweise, etwas vager, auf Alkuin) verwiesen, Bedas Einfluss mit der breiten handschriftlichen Überlieferung belegt. Nur schreibt Rabanus Maurus ein Jahrhundert nach Beda und die heute zugängliche handschriftliche Überlieferung der für die hier diskutierte Fragestellung wesentlichen komputistischen Werke Bedas setzt, bis auf wenige Fragmente, erst um 800 ein. Wie hat Beda aber apokalyptisches oder eschatologisches Denken im 8. Jahrhundert beeinflusst, wo doch das nach der Septuaginta berechnete Weltende im Jahre 799/800, gegen welches sich Beda ja explizit aussprach, unmittelbar bevorstand und diese Thematik somit in der zweiten Hälfte des 8. Jahrhunderts zweifelsohne ausgesprochen virulent war? Einzig auf ein vermeintliches Forschungsdesiderat zum apokalyptischen/eschatologischen Denken um 800 zu verweisen (7), ist nicht zulässig, da gerade die deutsche Forschung sich intensiv mit diesem Themenkomplex, zumal in Zusammenhang mit Karls Kaiserkrönung (beispielsweise der kritisch zu lesende Wolfram Brandes; vor allem Johannes Fried fehlt zum Jahr 1000 [6]), auseinandergesetzt hat. Auch und gerade für die Bedaforschung wird es in Zukunft wesentlich sein, die Texte des Jahrhunderts vor und nach Beda im Detail zu kennen.

Welche historische Bedeutung hat die Vorstellungswelt eines Einzelnen? Nur wenn sie ideengeschichtlich verortet wird, gewinnt sie historische Relevanz. Ideen mögen das enge Umfeld des Autors nicht verlassen oder andererseits eine ganze Epoche prägen. Letzteres ist bei Beda der Fall, aber dies gilt es im Detail zu analysieren. Andererseits bleibt höchste Vorsicht geboten, welche Konzepte und Vorstellungen als originär bedanisch einzuschätzen sind; hier gilt es, die unmittelbare Vorgeschichte nicht zu vernachlässigen, auch wenn diese nicht in gedruckten Quellen, sondern nur in den zeitgenössischen Handschriften greifbar wird. Zur Erforschung apokalyptischen und eschatologischen Denkens des 7. und 8. Jahrhunderts hat Darby einen sehr wertvollen und ausgesprochen lesenswerten Beitrag geliefert, der gerade für die aufstrebende Endzeitforschung ein absoluter Gewinn ist; dennoch muss Beda aus der vermeintlichen Isolation seines Genies befreit werden.


Anmerkungen:

[1] Charles W. Jones: Bedae pseudepigrapha: scientific writings falsly attributed to Bede, Ithaca 1939, 48-51; Eric Graff: The recension of two Sirmond texts: Disputatio Morini and De divisionibus temporum, in: Immo Warntjes / Dáibhí Ó Cróinín (eds.): Computus and its cultural context in the Latin West, AD 300-1200, Turnhout 2010, 112-142, hier: 117-125.

[2] Patrologia Latina 35 (1864), 2175-2176; Immo Warntjes: The Munich Computus: text and translation. Irish computistics between Isidore of Seville and the Venerable Bede and its reception in Carolingian times, Stuttgart 2010, 314-317.

[3] Bruno Krusch: Studien zur christlich-mittelalterlichen Chronologie. Die Entstehung unserer heutigen Zeitrechnung, Abhandlungen der Preußischen Akademie der Wissenschaften Jahrgang 1937. Phil.-hist. Klasse Nr. 8, Berlin 1938, 57; Arno Borst: Schriften zur Komputistik im Frankenreich von 721 bis 818, Hannover 2006, 374.

[4] Bruno Krusch: Die Einführung des griechischen Paschalritus im Abendlande, in: Neues Archiv der Gesellschaft für ältere deutsche Geschichtskunde 9 (1884), 99-169, besonders 132-136; Dáibhí Ó Cróinín: Early Irish annals from Easter tables: a case restated, in: Peritia 2 (1983), 74-86, wiederabgedruckt in Dáibhí Ó Cróinín: Early Irish history and chronology, Dublin 2003, 76-86, hier: 80-84; Richard Landes: Lest the millenium be fulfilled: apocalyptic expectations and the pattern of Western chronography 100-800 CE, in: Werner Verbeke / Daniel Verhelst / Andries Welkenhuysen (eds.): The Use and Abuse of Eschatology in the Middle Ages, Leuven 1988, 137-211, hier: 169 Anm. 129.

[5] Daniel Mc Carthy: Bede's primary source for the Vulgate chronology in his chronicles in De temporibus and De temporum ratione, in: Immo Warntjes / Dáibhí Ó Cróinín (eds.): Computus and its cultural context in the Latin West, AD 300-1200, Turnhout 2010, 159-189; Daniel P. Mc Carthy: The Irish Annals - their origin and evolution V to XI sec., in: L'Irlanda e gli irlandesi nell'alto medioevo, Settimane di studio della fondazione centro italiano di studi sull'alto medioevo 57, Spoleto 2010, 601-622; Daniel P. Mc Carthy: The Irish Annals. Their genesis, evolution and history, Dublin 2008, 2 2010.

[6] Wolfram Brandes: 'Tempora periculosa sunt'. Eschatologisches im Vorfeld der Kaiserkrönung Karls des Großen, in: Rainer Berndt (Hg.): Das Frankfurter Konzil von 794. Kristallisationspunkt karolingischer Kultur, Mainz 1997, 49-79; Johannes Fried: Endzeiterwartung um die Jahrtausendwende, in: Deutsches Archiv für Erforschung des Mittelalters 45 (1989), 381-473; Johannes Fried: Aufstieg aus dem Untergang. Apokalyptisches Denken und die Entstehung der modernen Naturwissenschaft im Mittelalter, München 2001, französische Übersetzung Paris 2004.

Immo Warntjes