Rezension über:

Chistopher Grocock / I. N. Wood (eds.): Abbots of Wearmouth and Jarrow (= Oxford Medieval Texts), Oxford: Oxford University Press 2013, CXX + 214 S., ISBN 978-0-19-820761-0, GBP 95,00
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Rezension von:
Immo Warntjes
Queen's University, Belfast
Redaktionelle Betreuung:
Andreas Fischer
Empfohlene Zitierweise:
Immo Warntjes: Rezension von: Chistopher Grocock / I. N. Wood (eds.): Abbots of Wearmouth and Jarrow, Oxford: Oxford University Press 2013, in: sehepunkte 15 (2015), Nr. 7/8 [15.07.2015], URL: https://www.sehepunkte.de
/2015/07/24743.html


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Chistopher Grocock / I. N. Wood (eds.): Abbots of Wearmouth and Jarrow

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Texte haben Kontexte. Im vorliegenden Band werden vier Texte herausgegeben und ins Englische übersetzt, die in den ersten vier Dekaden des 8. Jahrhunderts in Northumbria entstanden sind: 1) Bedas Homilie I 13 über Benedict Biscop; 2) Bedas Historia abbatum; 3) die anonyme Vita Ceolfridi; 4) Bedas Epistola ad Ecgbertum. Der Kontext jedes einzelnen dieser Texte wird somit durch die übrigen drei definiert. Die Gründe für diese Auswahl sind im ersten Abschnitt (xiii-xviii) der Einleitung dargelegt: Die vier Texte werden als die bedeutendsten Dokumente für angelsächsisches Klosterleben im Allgemeinen und für das Doppelkloster Wearmouth-Jarrow im Speziellen ausgemacht. Im zweiten Abschnitt (xviii-xxii) wird die umstrittene Beziehung der Historia abbatum zur anonymen Vita Ceolfridi analysiert, wobei hier die Auffassung vertreten wird, dass die Historia abbatum 716, die anonyme Vita 717 entstanden sei (diese Reihenfolge, entgegen der älteren Forschung, schon bei Farmer S. 28 und zweifelsohne auch bei anderen, was hier leider unterschlagen wird). Als Chronologie der Texte ergibt sich somit die oben dargelegte Reihenfolge und in dieser werden sie auch im Hauptteil präsentiert. Im den folgenden Abschnitten der Einleitung werden kurz Quellen und Vorbilder diskutiert (xxii-xxiv), die Frühgeschichte der beiden Klöster nachgezeichnet (xxv-xxxii) und die Abtsnachfolge thematisiert (xxxii-xxxv). Dann fällt der Fokus auf das Abbatiat Ceolfriths (xxxv-l), vor allem auf seine Entscheidung des Jahres 716, sein Amt niederzulegen und nach Rom zu pilgern. Dies wird in Zusammenhang gebracht mit a) der politischen Krise in Northumbria zu dieser Zeit, b) den kirchenpolitischen Rivalitäten zwischen dem 'wilfridischen' und dem 'cuthbertischen' Lager, und c) der Umstrukturierung der Hierarchie innerhalb des Doppelklosters. Es folgen Abschnitte zu Bedas Epistola ad Ecgbertum (l-lix), zur Beziehung zwischen Doppelkloster und Königshaus (lix-lxi), und ein Vergleich des Themas aristokratische Werte in der Historia abbatum und der Vita Ceolfridi (lxi-lxiv). Im längsten Kapitel der Einleitung (lxiv-xcv) wird die Latinität der beiden Haupttexte untersucht, um auf stilistischer und statistischer Weise zu belegen, dass der Anonymus nicht Beda gewesen sein kann, er vielmehr dessen Narrativ substantiell erweiterte. Es bleibt die Beschreibung der Handschriften (leider ohne Herkunftsnachweis; xcvi-cxvi) und der vorangegangenen Editionen und Übersetzungen (leider nur der englischen; cxvi-cxviii). Nach einer kurzen Erläuterung der editorischen, nicht aber der Übersetzungsgrundsätze (cxviii-cxx) folgen die Ausgaben mit gegenüberliegenden englischen Übersetzungen (1-161). Als Anhänge werden die aus der Historia abbatum erweiterten Passagen der Vita Ceolfridi im Codex Oxford BL Digby 103 (163-179) und die in einigen HSS befindliche Substitution der Lebensbeschreibung von Benedikt Biscop durch Benedikt von Nursia in der Homilie I 13 (181-187) herausgegeben und übersetzt. Abschließend findet sich ein Literatur- und ein Quellenverzeichnis (189-207), zudem ein kurzes Register (209-214).

Die knappe und nicht durchgehend kohärente Einleitung besticht durch ihren problemorientierten Ansatz, welcher den Blick auf drängende Desiderate der Frühmittelalterforschung lenkt, wie etwa eine grundlegende Studie zur Abtsnachfolge in der insularen Welt. Zudem profitiert sie ungemein von dem Umstand, dass einer der beiden Autoren ein ausgewiesener Spezialist des westeuropäischen, vor allem des fränkischen Frühmittelalters ist. Somit werden die Texte auch bezüglich ihrer kontinentalen Einflüsse eingeordnet. Entscheidend für den Band ist jedoch die getroffene Textauswahl, welche nicht zwangsläufig zu überzeugen weiß. Kernthema ist das Doppelkloster Wearmouth-Jarrow und dessen Äbte, die Historia abbatum ist somit das Kernstück. Zumeist wurde dieser Text, und vor allem auch die Vita Ceolfridi, als integraler Bestandteil der frühesten angelsächsischen Hagiographie oder Historiographie überliefert, ediert, übersetzt und diskutiert, und dies erscheint auch weiter als sinnfälligster Kontext. Der hier präsentierte Fokus auf Wearmouth-Jarrow eröffnet durchaus neue Perspektiven. Aus diesem Blickwinkel ist die Zusammenstellung der ersten drei Texte durchaus schlüssig, behandeln sie doch die ersten Äbte des Doppelklosters. Bedas Brief an Ecgberht mag da nicht so richtig hineinpassen, wird in diesem doch der Zustand der northumbrischen Kirche und Politik in den frühen 730ern thematisiert, nicht jedoch auch nur ein einziger der Äbte von Wearmouth-Jarrow. So sahen es bereits die mittelalterlichen Rezipienten dieser Texte. Die Überlieferung der Epistola (2 Codices) ist gänzlich unabhängig von den anderen Texten. Andererseits werden die Homilie I 13, die Historia abbatum und die Vita Ceolfridi in exakt dieser Reihenfolge als selbständige Einheit in der Handschrift London BL Harley 3020 überliefert, ein um 1000 in Glastonbury entstandener Codex. Diese Tradition als Grundlage zu nehmen hätte den doppelten Vorteil gehabt, nicht nur ein inhaltlich geschlossenes Bild der frühen Äbte von Wearmouth-Jarrow zu skizzieren, sondern auch die Rezeption in Glastonbury um 1000 zu beleuchten. Ebenso hätte sich die interessante Synthese von Historia abbatum und Vita Ceolfridi des Codex Oxford BL Digby 103 des frühen 12. Jahrhunderts als Grundlage angeboten, welche im Anhang des vorliegenden Bandes gewürdigt wird. Dies hätte zudem der problematischen Tendenz der Mediävistik entgegengewirkt, Forschungsergebnisse auf vermeintliche Urtexte zu stützen.

Wie in der Einleitung erwähnt, sind alle vier Texte bereits mehrfach ediert und übersetzt (nicht nur ins Englische). Die Homilie I 13 bedurfte einer Neuedition, da der vormalige Herausgeber, David Hurst, 1955 die Handschrift London BL Harley 3020 nicht miteinbezog. Bei den anderen drei Texten erschließt sich die Notwendigkeit einer Neuausgabe nicht (außer um sie in dem hier spezifischen Kontext zu präsentieren). Alle Texte sind mit einem soliden Kommentar versehen, welcher gerade die neueste Forschungsliteratur miteinbezieht und somit den Editionen einen frischen Anstrich verleiht; ältere Kommentare, von Plummer und anderen, werden dadurch jedoch nicht gänzlich ersetzt. Problematisch ist der Umgang mit den Quellen. Plummer hat in seinen (ebenfalls Oxforder) Ausgaben Direktzitate noch durch Kursivdruck klar kenntlich gemacht; die Texte hier werden durchgängig ohne jegliche Varianz (Sperr-, Klein-, oder Kursivdruck) präsentiert (lobenswerte Ausnahme ist Anhang 1, in welchem Abschnitte aus der Historia abbatum, der Vita Ceolfridi und Zusätze der Handschrift Oxford BL 103 optisch voneinander abgegrenzt werden). Gerade für die Vita Ceolfridi ist dadurch eine große Chance vertan worden, dem Leser einen prägnanten visuellen Überblick über Übernahmen aus der Historia abbatum und Zusätze der Vita zu liefern. Zugegebenermaßen ist diese Entscheidung möglicherweise nicht von den Autoren, sondern von den Reihenherausgebern getroffen worden; Sinn macht sie dennoch nicht und widerspricht den Gepflogenheiten anderer Editionsreihen (MGH, CCSL, etc.). Aufgrund der geringen Varianz zu früheren Editionen unterscheiden sich auch die Übersetzungen nur stilistisch, nicht inhaltlich von den Vorgängern (und ein kurzer Abschnitt zu den Übersetzungsprinzipien wird schmerzlich vermisst). Ähnlich wie in der Freiherr vom Stein-Gedächtnisausgabe besteht der Gewinn des vorliegenden Bands darin, Original und Übersetzung auf gegenüberliegenden Seiten zu präsentieren; die Pionierarbeit an diesen Texten, editorisch wie auch übersetzungstechnisch, wurde von anderen geleistet.

Insgesamt ist dieses Buch eine gelungene und zum Nachdenken anregende Produktion; die 95 GBP Wert ist es jedoch nicht, da besonders die Kerntexte in ähnlich guten Ausgaben und Übersetzungen im Internet frei zugänglich sind (Plummer, Giles, u.a.).

Immo Warntjes