Franz Matsche: Caesar et Imperium. Die Fassadendekoration und das Deckenbild im Festsaal der ehemaligen Reichskanzlei in der Wiener Hofburg (= Veröffentlichungen der Kommission für Kunstgeschichte; Bd. 10), Wien: Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften 2011, 250 S., 129 s/w-Abb., ISBN 978-3-7001-6761-7, EUR 71,92
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Franz Matsches Studie widmet sich dem in den 20er Jahren des 18. Jahrhunderts erbauten Reichskanzleitrakt in der Wiener Hofburg und schließt damit an seine vor über 30 Jahren erschienene Publikation über die Kunstpolitik Kaiser Karls VI an. [1] Neben der Hofbibliothek und der Hofreitschule war die Reichskanzlei eines der Bauwerke, die Kaiser Karl VI. im Rahmen seines beabsichtigten Ausbaus des Burgplatzes zum repräsentativen Zentrum der Wiener Hofburg 1723-29 errichten ließ. Der Neubau des Reichskanzleitrakts entstand als erster von vier geplanten Flügeln um den Burgplatz im Spannungsfeld einer rechtlich komplizierten Lage: die Reichskanzlei war dem Reichskanzler Lothar Franz von Schönborn zugeordnet, nahm aber nur den mittleren Teil der großen Hoffassade ein, während links und rechts mit dem Reichshofrat und der Hofkammer zwei direkt dem Kaiser unterstellte Institutionen anschlossen. Die daraus resultierenden Auseinandersetzungen um die Wahl des Architekten - zunächst ab 1724 der von Lothar Franz favorisierte Johann Lucas von Hildebrandt, ab 1726 der vom Kaiser bevorzugte Joseph Emanuel Fischer von Erlach - zeichnet Matsche anhand teilweise bisher unbeachteter Pläne detailliert nach und rekonstruiert Funktion bzw. Verteilung der Räume (19-29).
Der Reichskanzleitrakt diente dem Kaiser als Regierungszentrale des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation. Matsche interpretiert den Bau "als Zentrale der fürsorglichen und erfolgreichen Reichsregierung durch den Kaiser" (31), einem Anspruch, dem auch das Darstellungsprogramm der Fassadendekoration folgte. Die vier Statuengruppen mit Taten des Herkules neben den beiden Tordurchfahrten, geschaffen von dem kaiserlichen Hofbildhauer Lorenzo Mattielli, verherrlichen den Kaiser als "Herkules Victor". Die dargestellten vier bzw. acht Taten des Herkules - an der gegenüberliegenden Fassade waren weitere vier Gruppen geplant - entsprechen nicht den gängigen Taten des Helden, und wurden offensichtlich im Laufe der Planung variiert, woraus Matsche schließt, dass ihre Auswahl den bewussten Bezug zu bedeutenden Siegen Kaiser Karls VI. voraussetzt. Der Kampf zwischen Herkules und Antaeus wird auf die Eroberung Belgrads 1717 bezogen, während Herkules' Ringen mit dem Nemeischen Löwen auf Karls Sieg über Max Emanuel und den bayerischen Löwen anspielt. [2] Ausführlich werden mögliche Vorbilder und Vorstufen der Herkules-Ikonografie bei Karls Vorgänger Leopold I. erläutert (51-58), an die Karl anschließen konnte. Die Verherrlichung des Herrschers als Tugendheld gehörte zum Selbstverständnis habsburgischer Repräsentation im Sinne der überpersönlichen "Pietas Austriaca", und unterschied sich darin grundlegend von der Selbstrepräsentation Ludwigs XIV. Frömmigkeit und Bescheidenheit bestimmten das Bild der öffentlichen Repräsentation der Habsburger und wurden am Reichskanzleitrakt durch Personifikationen wie Weisheit oder Güte auf der Attika verkörpert, doch dass die von Matsche herausgestellte Herkules-Identifikation kein kaiserliches Alleinstellungsmerkmal ist, zeigt z.B. ein Blick auf ähnliche Darstellungen für den Prinzen Eugen in seinem Stadtpalais.
Die wichtigste Quelle für das Fassadenprogramm ist der sogenannte "Codex Albrecht", eine von Konrad Adolph von Albrecht um 1730 zusammengetragene, wohl für den Druck vorgesehene Sammlung von Programmtexten und Zeichnungen kaiserlicher Bauten, der sich heute in der Österreichischen Nationalbibliothek befindet (ÖNB Cod. 7853). Er überliefert nicht nur manche, vom heutigen Zustand abweichende Planung, sondern auch eine Nachzeichnung nach dem heute nicht mehr existierenden, 1729 vollendeten Deckenbild des Schönbornschen Kammermalers Johann Rudolph Byss (1662-1738), dem Matsche den zweiten Teil seiner Untersuchung widmet (85-125). Nach dem Reichsdeputationshauptschluss 1803 und dem formalen Ende des Alten Reiches 1806 hatten die Räumlichkeiten und damit auch Byss' Gemälde ihre Funktion verloren und waren 1832 durch drei Monumentalgemälde von Johann Peter Krafft ersetzt worden. Neben der Zeichnung nach Byss' Allegorie auf das Heilige Römische Reich Deutscher Nation überliefert der Codex Albrecht ein schriftliches Konzept zum Deckenbild, das "das innerliche systema des heiligen reichs in scharfsinniger andeutung" (86) vorbildet. Albrechts Konzept zielte auf die Verherrlichung der "Magnanimitas" des Kaisers und der Reichsstände - Caesar et Imperium -, und sah zur Illustrierung dieses Reichsverständnisses im Zentrum der Decke die Darstellung des Kaisers auf seinem Thron vor, um den bzw. unter dem die weiteren Figuren und Gruppen anzuordnen wären. Von dieser Konzeption weicht die Nachzeichnung nach Byss' Deckengemälde erheblich ab; er hat in eine illusionistisch erhöhte Baldachinarchitektur über den vier Seitenwänden jeweils eine Szene eingepasst, die neben der formalen auch eine inhaltliche Akzentverschiebung bewirkte. Die beherrschende Mittelposition des Kaisers wird durch eine gleichberechtigte Stellung aller Reichsstände abgelöst - neben dem thronenden Kaiser erscheinen die drei Territorien des Reiches und die Reichsritterschaft, während gegenüber das Zusammenwirken von Kaiser und Reich beim Bau eines die Reichskanzlei symbolisierenden Obelisken gezeigt wird. Während Albrechts Konzept der Reichsauffassung des Wiener Hofes folgte und die absolutistische Stellung des Kaisers im Reich betonte, vertrat Byss ein anderes Reichsverständnis, das den reichspolitischen Bestrebungen des damaligen Reichskanzlers, Kurfürst Lothar Franz von Schönborn und seines Stellvertreters in Wien, Reichsvizekanzlers Friedrich Karl von Schönborn, entsprach. Matsche geht den reichspolitischen Ambitionen der beiden Schönborns in einem abschließenden Kapitel genau nach, die zum Ziel hatten, "die Teilhabe der von ihm als Oberhaupt repräsentierten Reichsstände an der Reichsgewalt zu betonen" (135). Es steht dabei außer Frage, dass Byss unter dem Einfluss seines Dienstherrn, wenn nicht sogar auf dessen Geheiß, ein partnerschaftliches Verhältnis von Kaiser und den Reichsständen zu einer Zeit propagierte, als der Einfluss der Reichsstände bereits zurückgedrängt wurde. Mit der beabsichtigten Publikation des Codex Albrecht wäre das Konzept eines paritätischen Reichsverständnisses als Kupferstich noch einmal einer breiten Öffentlichkeit bekannt gemacht worden.
Trotzdem bleiben Fragen: Wie erklärt sich die Diskrepanz zwischen Programmentwurf und Ausführung? Handelt es sich bei der Ausführung wirklich um eine Uminterpretation des Programms durch Byss bzw. die Grafen von Schönborn oder lag zum Zeitpunkt der Ausmalung das Programm Konrad Adolphs von Albrecht gar nicht vor, ähnlich wie Daniel Gran bei der Ausmalung der Nationalbibliothek das Programm nicht in der Form vorlag, wie es der Albrechtcodex überliefert. [3] Ist es vorstellbar, dass Byss bei einem derart politischen Auftrag aufgrund seiner Erfahrung und Bildung eigenmächtig vom Programm abweichen konnte, wie Matsche suggeriert (94)? Tatsächlich dürfte die angeblich enge Bindung zwischen der Arbeit des "Concettisten" und ausführendem Künstler wesentlich lockerer gewesen sein, womit nicht zuletzt Matsches Modell, die Kunstproduktion Karls VI. erfolge nach einer "systematischen und umfassenden Konzeption" im Sinne eines einheitlichen "ikonographischen Stils", in Frage gestellt wird.
Anmerkungen:
[1] Franz Matsche: Die Kunst im Dienst der Staatsidee Kaiser Karls VI. Ikonografie, Ikonologie und Programmatik des "Kaiserstils", Berlin / New York 1981.
[2] Siehe dagegen die Einschränkung bei Friedrich Polleroß: Caesar et Imperium. Zur Neuerscheinung von Franz Matsche über die Reichskanzlei der Wiener Hofburg, in: Barockberichte. Informationsblätter des Salzburger Barockmuseums zur bildenden Kunst des 17. und 18. Jahrhunderts 59/60 (2012), 760.
[3] Vgl. dazu zuletzt Werner Telesko: Die Deckenmalereien im "Prunksaal" der Wiener Nationalbibliothek und ihr Verhältnis zum Albrechtscodex (Wien, Österreichische Nationalbibliothek, Cod. 7853). Idee und Ausführung in der bildenden Kunst unter Kaiser Karl VI., in: Ars 43 (2010), Nr. 2, 149f.
Peter Prange