Paul Friedland: Seeing Justice Done. The Age of Spectacular Capital Punishment in France, Oxford: Oxford University Press 2012, X + 334 S., ISBN 978-0-19-959269-2, GBP 35,00
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Stellt die Abschreckung den eigentlichen Zweck von Hinrichtungen dar? Während etwa neuzeitliche Juristen genau darauf bestanden, kamen zeitgleich die Zuschauer in der Praxis doch freiwillig zu diesen "Spektakeln" und ein bürgerliches Publikum war begierig, an diesen öffentlichen Schauspielen teilzunehmen oder doch zumindest schaurige Geschichten darüber zu lesen. Diese Diskrepanz steht im Mittelpunkt des Buches wie der Gedankenführung von Paul Friedland, der somit Foucaults Ansatz in "Überwachen und Strafen" ins Visier nehmen will: Die von Foucault behauptete Einschärfung weltlicher Autorität würde den großen, freiwilligen Andrang zu den Hinrichtungen im neuzeitlichen Frankreich nicht hinlänglich erklären. Diese Diskrepanz zwischen juridischer Theorie und Praxis sei im 18. Jahrhundert noch deutlicher geworden, als man den Menschen letztlich in seinem Wesen gut konzipierte und seine besonderen empathischen Qualitäten unterstrich, was nur den Schluss zuließ, dass die Zuschauer von Hinrichtungen nicht ohne Schrecken am öffentlichen Strafvollzug teilnehmen konnten.
Diesen in der Mitte des Buches (ch. 5 & 6) ausgeführten Überlegungen bietet Friedland zugleich eine mittelalterliche Vorgeschichte und einen Ausblick bis ins frühe 19. Jahrhundert, der in der Einführung der Guillotine (ch. 8, 9 & 10) kulminiert. So entsteht eine Geschichte des Strafens unter besonderer Betonung der Diskrepanz von theatralem, rituellem und juridischem Diskurs über die Hinrichtung in der französischen Vormoderne.
Ein solch großer Bogen von den antik-römischen Rechtstraditionen und ihrer Rezeption im Mittelalter hin zum 19. Jahrhundert eröffnet mehrfache Schwierigkeiten, die der Autor selbst in der Einleitung einräumt. Tatsächlich gelingt nicht überall eine ähnlich präzise Behandlung des Themas, so etwa wenn die frühmittelalterlichen Gesetze nur in der englischen Übersetzung herangezogen werden, was auch solch erheiternde Verschreibungen wie "Lex Salica Karoline" (statt Karolina) nach sich zieht (287, n. 17). Zum mittelalterlichen Tierprozess, der in Einleitung und Schluss die Klammer mit der Verurteilung einer Sau in Falaise im Jahr 1386 bildet, ließe sich auch ein Hinweis auf die einschlägige Forschungsliteratur (etwa von Peter Dinzelbacher oder Darren Oldridge) einfordern; beim Bildmaterial werden mitunter historistische Darstellungen des 19. Jahrhunderts herangezogen. Diese Schwächen wirken jedoch umso weniger gravierend, je mehr sich die Studie ihrem eigentlichen Schwerpunkt, dem neuzeitlichen Frankreich, nähert. Hat die Arbeit also hier das Pech, von einem Mediävisten rezensiert zu werden? Gerechterweise muss man die großen Thesen des Buches in den Blick nehmen, um den Mehrgewinn von Friedlands Studie zu verstehen; und dafür verdient das Buch durchaus Beachtung jenseits jeder kleinlichen Kritik.
In einem ersten Abschnitt (ch. 1 & 2) argumentiert Friedland, dass man die frühmittelalterlichen Bußpraktiken als Vorläufer spätmittelalterlicher Hinrichtungen sehen könne, insofern sie die Öffentlichkeit der Strafe etablierten. Zudem skizziert er die Rezeption des Römischen Rechts durch das Mittelalter und betrachtet dazu die frühmittelalterlichen Leges, die karolingischen Kapitularien und die Renaissance des Römischen Rechts seit dem 12. Jahrhundert; die Kanonistik wird jedoch nur kurz berührt (etwa 40-41 und 44-45). Der "Lex Salica" kommt dabei besondere Bedeutung zu, da sie die im Frühmittelalter etablierten Rechtsprinzipien der Kompensation, der Verhinderung von Unruhe und Selbstjustiz exemplifiziert; dem stehe mit dem "Corpus Iuris Civilis", das seit dem Hochmittelalter entscheidend geworden sei, eine vorausschauende Bestrafung gegenüber, bei der die Intentionalität wichtig für das Strafmaß geworden sei. Damit werde die Strafe zugleich abschreckend und damit vorbeugend. Dieser Prozess habe sich mit der Verschriftlichung des Gewohnheitsrechts im 12. und 13. Jahrhundert und der damit einhergehenden Verkleinerung des Interpretationsspielraums in der Rechtssprechung sowie einer gleichzeitigen Vergrößerung römischrechtlicher Vorstellungen fortgesetzt. Intentionalität als Faktor der Strafzumessung und abschreckende Funktion der Strafe zeigten sich etwa im neuen Strafbestand des "Crimen laesae majestatis".
In einem zweiten Hauptteil (ch. 3 & 4) beschreibt Friedland zunächst die besondere Rolle des Henkers in der Gesellschaft des frühneuzeitlichen Frankreich; dabei arbeitet er den Zwiespalt zwischen dessen besonders privilegiertem Status einerseits, der etwa lukrative Sonderrechte wie die "havage" beinhaltete, und der ehrverletzenden Qualität des Körpers des Henkers heraus, dessen bloße Berührung man bereits fürchtete. Mit dem 18. Jahrhundert gingen die französischen Henker jedoch allmählich ihrer Sonderrechte verlustig, so dass sich ihre ökonomische Situation drastisch verschlechterte; diese soziale Veränderung greift Friedland später erneut auf, wenn er die mit der Guillotine einhergehende Rückwirkung auf das Amt des Henkers, der nunmehr allmählich zum einfachen staatlichen Funktionär wurde, bemerkt (224-226). Das Amt des Henkers folgt damit dem großen Bogen der in diesem Buch nachgezeichneten Entwicklung, die den Höhepunkt der spektakulären Körperstrafe in einem Zeitraum zwischen etwa 1550 bis 1750 verortet, bis die Stimmen einer Abschaffung solcher Spektakel sich zunehmend durchzusetzen begannen; an dieser Stelle zeigt sich eine Stärke der Studie, die den zeitgenössischen philosophischen Diskurs über die Natur des Menschen an die Geschichte der Todesstrafe zurückbindet (ch. 5, 6 & 7). Diese anthropologisch argumentierten Einwände, die selbst im Falle des einflussreichen Cesare Beccaria eher eine äußerst seltene Anwendung der Todesstrafe als deren vollständige Aufgabe forderten, führten jedoch nicht unmittelbar zu einer Abschaffung der Todesstrafe zugunsten anderer Strafarten wie Verbannung oder Arbeitshaft, sondern mit der Erfindung der Guillotine zur Einführung einer unspektakuläreren, "humaneren" Methode der Exekution (ch. 8, 9 & 10). Das 19. und 20. Jahrhundert sei dann in Frankreich zwar zwischen den juristischen Vorstellungen von Abschreckung durch Öffentlichkeit und Vorwurf des die Zuschauer verrohenden Schauspiels weiter in der Diskussion geblieben, doch setzte sich letztere Überlegung allmählich durch, was sich vor allem in der immer stärkeren Abgeschiedenheit des Hinrichtungsortes zeige, bis schließlich die Todesstrafe 1981 in Frankreich abgeschafft wurde (Epilogue). Für eine Studie mit einem solch klaren Blick für die "longue durée" der Entwicklungen zieht Friedland am Schluss eine fasst enttäuschend kurze Parallele zur Gegenwart, die die Debatte über die Todesstrafe in den USA nicht einmal berührt (280-284).
Das thesenreiche Buch von Paul Friedland wird nicht überall ungeteilte Zustimmung finden. Trat beispielsweise der rituelle Charakter der Hinrichtung seit den 1520er Jahren tatsächlich deshalb zurück, weil die für ihren Glauben sterbenden Protestanten eine freiwillige Reue verweigerten, die eine rituelle Versöhnung für die Gesellschaft überhaupt erst möglich gemacht hätte (124-127)? Ein genauerer Blick auf die Häretiker des Hoch- und Spätmittelalters wie beispielsweise Jan Hus macht skeptisch, ob es sich hier tatsächlich um ein gänzlich neues Phänomen handelte. Die Freude am Urteil ist es jedoch gerade, die dieses Buch lesenswert macht; seinen Thesen bleibt damit eine breite Diskussion zu wünschen.
Romedio Schmitz-Esser