Angela Taeger: Die Guillotine und die Erfindung der Humanität, Stuttgart: W. Kohlhammer 2016, 143 S., ISBN 978-3-17-029278-9, EUR 29,00
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Zunächst sei gesagt, dass Angela Taeger eine bemerkenswerte Studie gelungen ist, die interessante Einblicke in die Geschichte des Joseph-Ignace Guillotin, in den Gebrauch der nach ihm benannten Maschine als Instrument der Strafvollstreckung und auch in die Stellung der Guillotine in Diskursen über die Todesstrafe im 18., 19. und 20. Jahrhundert eröffnet.
Ausgangspunkt ihrer Darstellung ist eine bis ins späte 20. Jahrhundert zu beobachtende Heroisierung des Arztes Guillotin und der nach ihm benannten Hinrichtungsmaschine. Dieses Interpretationsmuster in Forschung und Populärwissenschaft ging Taeger zur Folge mit der glorifizierenden historiografischen Konstruktion eines generellen, humanitären Fortschritts der neuen revolutionären Rechtsordnung gegenüber dem Ancien Régime einher. Im Folgenden bezieht sie in drei Schritten kritisch Stellung zu dieser Deutung und beschreibt, wie die diskursive Verknüpfung von Guillotine und Humanität im Diskurs entstand und trotz Widersprüchen tradiert wurde.
Die Autorin nutzt den ersten Teil ihrer Darstellung zunächst für eine kritische Positionierung gegenüber älteren Biografien und der darin verbreiteten Schilderung des Doktors Guillotin als eines "französischen Robin Hood" (21) oder uneigennützigen Wohltäters der Menschheit. Taeger zeichnet aus den Quellen ein stimmiges, deutlich negativeres Bild eines profitorientierten Mannes, der auf seinen eigenen Aufstieg und Ruf konzentriert blieb. Dabei zwingt sie den Lesern ihre Deutung nicht einfach auf, sondern macht Widersprüche zwischen Quellen und älterer Forschung nachvollziehbar und stellt ihre überzeugenden Schlussfolgerungen zur Diskussion.
Taeger beschreibt, wie Guillotin 1789 in der Nationalversammlung mit der Initiative zur Einführung einer Hinrichtungsmaschine in Erscheinung trat, für die er auch ein Patent erwerben wollte. Er setzte sich mit seinem - im Gesetzgebungsverfahren inhaltlich und zeitlich ungünstig platzierten - Vorschlag nicht durch, obwohl er insbesondere den technischen Fortschritt und die Effizienz der Maschine betonte. Auf sein öffentliches Scheitern folgte eine breite mediale Reaktion, in der sein Name spöttisch mit dem Konzept maschinellen Tötens verbunden wurde.
Wenige Jahre später wurde aufgrund einer Stellungnahme des Henkers von Paris, der die praktischen Probleme der bisherigen Hinrichtungspraxis herausstellte, erneut über die Einführung solch eines Gerätes beraten. Hierbei wurde besonders eine effiziente, möglichst schmerzfreie und immer gleiche Vollstreckung gefordert, wobei Konsens darüber bestand, dass die Erziehung der zuschauenden Mitbürger zu rechtskonformem Verhalten primärer Strafzweck sei. Guillotin selbst war an den erneuten Debatten nicht beteiligt und wirkte trotz expliziter Aufforderung auch nicht als Berater der zuständigen Reformer mit, die ein neues Design entwickeln ließen. Allerdings setzt sich, wohl aufgrund seiner früheren Medienpräsenz, in den Jahren nach der Einführung schließlich sein Name gegen mehrere kursierende Alternativen durch.
Taeger verknüpft in einem zweiten Abschnitt über die Guillotine selbst die Geschichte dieses Gegenstandes mit zeitgenössischen Debatten über Beibehaltung oder Aufhebung der Todesstrafe und über den Strafzweck, was ihr erlaubt, unterschiedliche der Hinrichtungsmaschine zugeschriebene Bedeutungen zu erfassen.
Detailreich legt sie dar, wie die Maschine zur Zeit der Massenhinrichtungen zur Last für den Henker wurde, der ihre Einführung gefördert hatte. Sein Arbeitspensum stieg auf bis zu 300 Hinrichtungen in drei Tagen, was erhebliche Personal- und Wartungskosten für ihn bedeutete. Die Willkür der verkürzten Verfahren vor dem Revolutionstribunal und die Vielzahl der Exekutionen brachten sowohl den Henker selbst, wie auch andere Bürger dazu, den Hinrichtungen zunehmend kritisch gegenüber zu stehen. Für Taeger spricht die Verknüpfung der Guillotine mit den öffentlichen Massenexekutionen und mit der Politik der Terreur gegen eine zeitgenössische Deutung derselben als humane, milde Strafform. Auch für spätere Kontexte deutet sie an, dass das offizielle Ziel der Todesstrafe die Abschreckung blieb, und daher die Guillotine schwerlich als Symbol für Humanität sondern eher für Effizienz des Strafvollzugs zu deuten sei.
Der Charakter der Maschine als Symbol der Strafgewalt äußerte sich im Laufe des 18. und 19. Jahrhunderts in mehreren Ortswechseln der Guillotine, die Taeger genauer darlegt. Nach einem regimeabhängigen Wechsel von Nähe und Distanz zu den politischen Zentren stand die Maschine letztlich dauerhaft in unmittelbarer Nachbarschaft des Gefängnisses, in dem die Verurteilten auf die Vollstreckung warteten.
Im dritten Abschnitt, der die Zuschauer der Hinrichtungen thematisiert, stellt Taeger heraus, dass Kritiker das Verhalten der Zuschauer nutzten, um den intendierten Abschreckungseffekt der Strafe in Frage zu stellen. Über weite Teile des Untersuchungszeitraums hinweg schildern Beobachter, dass die Zuschauer keine Lektion in humanitärem Strafvollzug und Ordnungstreue lernen, sondern die Hinrichtung für die Befriedigung niederer Schaulust nutzen würden. Die Folge dieser Diskurse war eine stetige Einschränkung der öffentlichen Zugänglichkeit der Hinrichtungen.
Insgesamt hebt Taeger hervor, dass sich im Diskurs über die Guillotine erkennen ließe, dass die Idee einer öffentlichen Hinrichtung als Erziehungsinstrument, in dem die Anschauung der Schwere der Strafe mit einer Lektion über die prinzipielle humanitäre Achtung des menschlichen Lebens vereint werde, letztlich scheiterte. Die immer wieder geäußerte Kritik bot Anlass für die weitgehende Aussetzung der Todesstrafe durch Gnadenerlasse und Milderungen des Strafvollzuges im Verlauf des 19. Jahrhunderts.
Eine offizielle Reform des Strafrechts erfolgte jedoch nicht vor 1981, wie Taeger in einem ausführlichen Epilog erläutert. Dies lag nicht zuletzt daran, dass die Debatten über die Guillotine für die Zeitgenossen oftmals stellvertretend für Debatten über die Todesstrafe an sich standen. Verteidiger derselben als ultima ratio des Staates befürworteten daher notgedrungen die Weiterverwendung der Maschine und glorifizierten sie und ihren angeblichen Erfinder angesichts von Kritik. Die Abolitionisten verherrlichten hingegen die humanitären Ideale der Revolution an denen die Rechtspraxis gemessen werden müsse.
Beide Seiten trugen so, wie Taeger anhand der Debatten der Jahre 1848, 1908 und 1981 zeigt, zur langen Wirkung eines Deutungsschemas bei, das der Revolution eine grundlegende Vorreiterrolle in Hinblick auf Humanität und Zivilisierung zuschrieb. Erst in der Reformdebatte 1981 erkennt sie einen Bruch, da die argumentative Traditionslinie durch die Wendung hin zu dem in allen Nachbarländern bereits etablierten Prinzip des Verzichts auf die Todesstrafe beendet worden sei. Schließlich spannt Taeger einen Bogen zu ihrer Ausgangsthese und verdeutlicht, dass die Anhänger der Leitidee einer humanitären Tradition in ihrer Rückschau proklamierte zeitgenössische Ideale konsequent über Kritik und negative Erfahrungen stellten.
Es bleibt festzuhalten, dass Taeger auf hervorragende Weise die Rekonstruktion von Vergangenheit mit der Dekonstruktion vorherrschender Erzählungen verbindet, um dann nicht einfach eine alternative homogene Narration, sondern die Grundlagen ihrer neuen Interpretation offenzulegen. Ihre Studie ist außerdem ein gelungener Beitrag zu der begrüßenswerten Tendenz der historischen Forschung, die in der populären Historiografie oft postulierte Nähe des Zeitalters der Aufklärung zu den moralischen Werten unserer Gegenwart durch sorgfältige Kontextualisierung einer Prüfung zu unterziehen.
Simon Karstens