Uwe Schultz: Der König und sein Richter. Ludwig XVI. und Robespierre: Eine Doppelbiographie, München: C.H.Beck 2012, 400 S., 18 Abb., ISBN 978-3-406-62924-2, EUR 24,95
Inhaltsverzeichnis dieses Buches
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Christina Schröer: Republik im Experiment. Symbolische Politik im revolutionären Frankreich (1792-1799), Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2014
Charles Walton: Policing Public Opinion in the French Revolution. The Culture of Calumny and the Problem of Free Speech, Oxford: Oxford University Press 2011
William Doyle: France and the Age of Revolution. Regimes Old and New from Louis XIV to Napoleon Bonaparte, London / New York: I.B.Tauris 2013
Edward James Kolla: Sovereignty, International Law, and the French Revolution, Cambridge: Cambridge University Press 2017
Giuseppe Acerbi: "Terreur" und "Grande Terreur". Zum Strafrecht der Französischen Revolution, Münster / Hamburg / Berlin / London: LIT 2011
Stefan Thäle: Herrschertod und Herrscherwechsel. Kommunikative Strategien und medialer Wandel in der Grafschaft Lippe des 18. Jahrhunderts, Münster: Aschendorff 2014
Angela Taeger: Die Guillotine und die Erfindung der Humanität, Stuttgart: W. Kohlhammer 2016
Wolfgang Behringer: Der große Aufbruch. Globalgeschichte der Frühen Neuzeit, München: C.H.Beck 2023
Eine biographische Studie bedeutet eine immense wissenschaftliche Herausforderung, nicht zuletzt aufgrund der kritischen Diskussionen um dieses Genre und seine daraus resultierende methodische Entwicklung in den letzten Jahrzehnten. Dies gilt umso mehr, wenn nicht einer, sondern zwei Akteure in den Fokus genommen und mit einem Kontext verwoben werden, zu dessen Verständnis eine breite Forschungsliteratur und unterschiedliche, über Jahrhunderte gewachsene Erinnerungskulturen zu berücksichtigen sind. Es ist daher nicht überraschend, dass Uwe Schulz die bisher erste Doppelbiographie zu Ludwig XVI. und Maximilien Robespierre vorlegt. Es wäre jedoch unzutreffend zu sagen, dass er sich damit der wissenschaftlichen Herausforderung stellt - da er diese schlicht ignoriert.
Seine Darstellung hält sich nicht mit einem Forschungsüberblick, Hinweisen auf die problematische Quellenlage zu Robespierres Leben oder methodischen Fragen biographischer Forschung auf, sondern beginnt unmittelbar mit der ersten Begegnung beider Protagonisten im Jahr 1775 (7f.). Dieser Einstieg ist exemplarisch für das weitere Vorgehen des Autors. Unter der Überschrift "Vorzeichen" erzählt Schulz detailliert, wie der junge Herrscher Ludwig XVI. nach seiner Krönung das Kolleg Louis Le Grand besuchte. Der König "geruhte" aufgrund des strömenden Regens nicht, seine Kutsche zu verlassen, und blieb regungslos sitzen, während vor ihm, im Schlamm kniend, ein ausgezeichneter "Eliteschüler" namens Robespierre eine Lobrede vortrug. Als der Durchnässte seine "unwürdige Pflichtübung" demütig beendet hatte, verließ der König ohne ein Wort den Schauplatz.
Aus geschichtswissenschaftlicher Perspektive wirft dieser zweifellos interessante Einstieg eine Reihe von Fragen auf: Welche Quellen belegen diese Episode? Wer hat sie in welchem Kontext und mit welcher Intention erzählt und wie hat die Forschung dies rezipiert? Solche und weitere fundamentale Fragen spielen in der vorliegenden Darstellung jedoch prinzipiell keine Rolle. Stattdessen entfaltet der Autor eine chronologisch geordnete Mischung aus Ereignisgeschichte und biographischen Episoden, bei denen die Lebenswege der beiden Akteure mal mehr, mal weniger eng verwoben sind. In ihrem Aufbau ist die Darstellung klassisch und folgt den Lebensläufen ausgehend von familiären Hintergründen über die Kindheit, Ausbildungszeit und das politische Wirken bis zum gewaltsamen Tod. Die Auswahl der Schwerpunkte ist weitgehend an die politische Ereignisgeschichte der Französischen Revolution gebunden, wobei sich durch den mehrfachen Wechsel des fokussierten Akteurs an mehreren Stellen Redundanzen ergeben. Auf eine Synthese der stellenweise überaus detaillierten, stellenweise nur oberflächlichen Informationen wird leider verzichtet.
Zu kritisieren ist hier nicht nur die methodisch zumindest fragwürdige Intention, zwei Lebensgeschichten zu konstruieren und dem Leser in positivistischer Tradition als Wahrheit anbieten zu wollen, sondern auch der Umgang des Autors mit seinen Quellen und seine Wortwahl. Schulz zeigt zwar in einigen guten Passagen, dass er durchaus zur Kritik an der Überlieferung im Stande ist - gerade bei der Beschreibung von Robespierres früher Karriere -, hat aber andernorts keine Bedenken, Quellen aufzugreifen, die mit weitem räumlichen und zeitlichen Abstand zum Geschehen entstanden sind. Sein eigener Sprachgebrauch ist auffällig wertend, wenn er beispielsweise Ludwig XVI. oft nicht gehen, sondern nur "watscheln" lässt.
Ein Blick auf die kurzen Endnoten und die weniger als drei Seiten umfassende Bibliographie bestätigen den schon beim Lesen entstehenden Eindruck, dass für dieses Werk die Erträge der neueren Forschung wenig berücksichtigt wurden. Es überwiegen ältere Standardwerke und Quelleneditionen des 19. Jahrhunderts gegenüber nur drei nach dem Jahr 2000 erschienenen Forschungsarbeiten. Auffallend ist auch die sprachliche Verteilung. Es werden deutsche und französische Werke genannt, jedoch kein einziges aus der englischen Forschung, die gerade zur Analyse der Person Robespierres wesentliche Ergebnisse erzielt hat.
Sicherlich kann gegen die bisherigen Anmerkungen der Einwand vorgebracht werden, dass das vorliegende Werk kein akademisches Publikum ansprechen soll. Es bleibt daher zu Fragen, ob es vielleicht trotz genannter Mängel für einen allgemeinen Leserkreis geeignet ist. Hiergegen sprechen weitere Kritikpunkte.
Der wechselnde Fokus auf die beiden Protagonisten und der Versuch, sie abwechselnd mit Etappen der Ereignisgeschichte zu verweben, führen in dreierlei Hinsicht zu Unschärfen in der Struktur des Textes. Erstens ist die Erklärung von Schlüsselbegriffen der Revolutionsgeschichte missverständlich und auf unterschiedliche Passagen verteilt, so dass beispielsweise die Angaben zu Zusammensetzung, Funktion und Rolle der Parlamente - laut Schulz "Institution des sich offen erklärenden Volkswillens" (25) - den unkundigen Leser schlicht in die Irre führen. Zweitens beschreibt der Autor Personen teilweise nicht bei ihrer Ersterwähnung, sondern erst in späteren Kapiteln. Dies erschwert einer nicht bereits kundigen Zielgruppe den Zugang. Drittens weist die Struktur des Textes Defizite auf, wenn es um die Präsentation von Schlussfolgerungen geht. So schreibt Schulz beispielsweise Ludwig XVI. die absolute Macht im Staate zu. Diese absolute Macht - deren realer Existenz nicht nur jahrzehntelange Forschungsarbeit, sondern auch die im Werk selbst geschilderten Konflikte widersprechen - verliert der König nun im Laufe der Darstellung gleich zweimal: Sowohl die Einberufung der Generalstände (130) als auch sein Besuch im Rathaus von Paris (160) werden als der hierfür entscheidende Moment beschrieben.
Zu Unklarheiten und strukturellen Schwächen kommen offensichtliche Fehler, wie beispielsweise das Vertauschen der österreichischen Herrscher Franz II. und Joseph II. Man möchte bei der Kriegserklärung Frankreichs an einen längst verstorbenen König von Böhmen und Ungarn (254) zugunsten des Autors eine simple Verwechslung vermuten, doch tritt diese wiederholt auf und führt dazu, dass Franz II. im Personenregister gar nicht erwähnt wird. Zu diesen Fehlern gesellen sich Anachronismen und missverständlich gebrauchte Termini, wie die Bezeichnung "Deutsches Reich" für das Herrschaftsgebiet Leopolds II. (217)
Positiv ist dagegen der stellenweise gute und auch spannende Stil des Autors zu erwähnen, beispielsweise anlässlich des Fluchtversuchs der königlichen Familie (214-230). Dies ist allerdings kein durchgehender Vorzug, da der Erzählfluss von sperrigen Formulierungen wie "es kam zur Eruption rhetorischer Emotionen" unterbrochen wird. (306)
Bei Zusammenführung beider Perspektiven der Kritik zeigt sich, dass die stilistischen Qualitäten den Nachteil haben, über die fachlichen Mängel hinwegzutäuschen, so dass dieses Buch von der Forschung seit langem bekämpfte Zerrbilder der Geschichte im Publikum verfestigen könnte. Hierzu gehört nicht zuletzt der Irrglaube an die scheinbar unproblematische Fortführung biographischer Methoden aus dem 19. Jahrhundert. Daher bleibt festzuhalten, dass dieses Buch, trotz stellenweise aufscheinender Qualitäten, leider in einem doppelten Sinne negativ zu bewerten ist. Seine Lektüre ist weder fachlich versierten Lesern noch einem allgemeinen Publikum zu empfehlen.
Simon Karstens