Christian Haller: Militärzeitschriften in der Weimarer Republik und ihr soziokultureller Hintergrund. Kriegsverarbeitung und Milieubildung im Offizierkorps der Reichswehr in publizistischer Dimension (= Geschichte & Kultur. Saarbrücker Reihe; Bd. 1), Trier: Kliomedia 2012, 620 S., ISBN 978-3-89890-160-4, EUR 69,00
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Mit dem vorliegenden Band liegt eine Dissertation vor, die sich umfassend mit den Militärzeitschriften in der Weimarer Republik befasst. Das umfangreiche Werk behandelt auf 620 Seiten nahezu sämtliche Zeitschriften, die in der Phase zwischen dem Ersten Weltkrieg und dem aufkommenden Nationalsozialismus militärische Themen in eine über die Soldaten hinaus reichende Öffentlichkeit zu führen versuchten. Der Verfasser widmet sich diesen "periodischen Druckschriften mit niedrigen Auflagenhöhen und geringem Bekanntsheitsgrad", die außerhalb der "jeweiligen Fachöffentlichkeiten" bislang erheblich vernachlässigt wurden (15). Er erkennt in diesen neudeutsch gesprochen "Printmedien" eine Fachzeitschriftengruppe, die sich mit "Fachthematiken an eine spezialisierte Leserschaft [wendet], die sich über Beruf, soziale Stellung, politische und meist auch religiöse Bindung und Selbstwahrnehmung eingrenzen lässt". Diese publizistische Nische habe die bisherige Mediengeschichte und Medienwissenschaft noch nicht untersucht.
Ausgehend von einer umfassenden Beschreibung der Forschungslage zur Zeitschriftengeschichte und vor allem zur "Reichswehrforschung", betrachtet und analysiert der Autor die "Militärzeitschriftenlandschaft" mit den einschlägigen Blättern und Verlagen sowie deren Finanzierung und Gestaltung. Er geht auf die Leserschaft ein, die neben den aktiven Soldaten der Reichswehr - nach damaligen gesetzlichen Bestimmungen offiziell nie mehr als 115.00 Soldaten - auch die Tausende ehemaliger Soldaten sowie die den Wehrverbänden der Zeit nahestehenden Personen umfasste, und stellt ausgehend von einigen prominenten Beispielen wie u.a. dem Militärwochenblatt die Redakteurs- und Autorenkreise dar, die diese Zeitschriften prägten. Die Netzwerke der Verbände und Autoren werden ebenso betrachtet.
Einen Schwerpunkt in diesem Werk stellt die inhaltliche Arbeit dieser Blätter dar, die sich umfangreich mit einer Verarbeitung oder Bewältigung des verlorenen Ersten Weltkrieges befassten (besonders 272-304). Hier scheint der Grundsatz bestanden zu haben, dass verlorene Kriege untersucht werden müssen, während gewonnene - alles richtig gemacht! - scheinbar keiner Bearbeitung bedürfen. Ein weiteres, wichtiges Betätigungsfeld und der inhaltlichen Ausprägung dieser Blätter lag in der Selbstdarstellung als Experten der Zukunft, was sich in vielfältigen taktischen, technischen und militärpolitischen Berichten und Empfehlungen zum "künftigen Krieg" niederschlug; die Autoren versuchten sich offensichtlich in der "Planung des künftigen Krieges als Experten" zu profilieren (ab 347).
Die so aufgebaute Dissertation beschreibt (nur) auf den ersten Blick ein enzyklopädisches Handbuch zur Militärzeitschriftenlandschaft in der Zwischenkriegszeit. Eine solche Bewertung wäre aber ein ungerechtfertigtes Urteil über diese umfassende Arbeit. Der Verfasser hat vielmehr sämtliche Zeitschriften, über die er urteilt, in die Hand genommen und akribisch ausgewertet. - Ein umfangreiches Register aller erschienen Aufsätze belegt dies und zahlreiche Grafiken schlüsseln die Zeitschriften hinsichtlich ihrer thematischen Zusammensetzungen, der Verteilung ihrer Rubriken (Werbung, Aufsätze etc.) auf. - Seine Untersuchungen sind vielfältig. Angefangen von der Struktur der einzelnen Blätter und ihrer Rubriken, also der Anteile von Werbung, Beiträgen und Nachrichten in den Blättern ebenso wie der Analyse der Themenverteilung, die er in Grafiken und Schaubildern übersichtlich darstellt, zeichnet er ein Bild, das diese Zeitschriften sehr gut erklärt. Freilich bleibt die Frage unbeantwortet, warum es so viele Zeitschriften dieser Art in den Jahre Weimarer Republik gab. Aber vielleicht lässt sich das mit der scheinbaren Liberalisierung der Medienlandschaft der Zeit erklären? Dazu passt auch, dass die Leserschaft der Militärzeitschriften eben keine homogene Gruppe darstellte, sondern durch "innere Divergenzen ein polarisiertes Erscheinungsbild bot" (492), das sich in den Zeitschriften, ihren Themen und den damit verknüpften Autorenprofilen wiederspiegelte.
Christian Haller hat nicht allein eine umfassende Fleißarbeit zum Militärjournalismus und zu den Militärzeitschriften der zwanziger Jahre vorgelegt, die über ein enzyklopädisches Handbuch hinaus überzeugen kann. Er hat mit seinem medienwissenschaftlichem Ansatz die Strukturen der Zeitschriften analysiert, ihre "Hintermänner" und Herausgeber umfassend dargestellt und damit auch aufgezeigt, dass im Übergang zum zweiten Versuch nach deutscher Weltherrschaft ein publizistischer "brain trust" (491) vorhanden war, der einen "fließenden Übergang" von der Reichswehr zur Wehrmacht erlebte und dessen Wirken nun weiter erforscht werden kann. Denn "mediengeschichtliche Untersuchungen zur Fachzeitschriftenpresse bilden innerhalb der Printmedienforschung noch weitgehend ein Desiderat", zumal für das hier untersuchte Genre. - In diesem Zusammenhang verwundert es nicht, dass auch die Erforschung auflagen- und meinungsstarker Tages- und Wochenzeitungen noch nicht wirklich stattgefunden hat. - Wenigstens für die Militärfachpresse der Weimarer Republik liegt ein Opus vor, das vielfältige Möglichkeiten zur Vertiefung anbietet.
Heiner Möllers