Iris Holzwart-Schäfer: Das Karmelitenkloster in Esslingen (1271 - 1557). Ein südwestdeutscher Mendikantenkonvent zwischen Ordensideal und Alltagswirklichkeit (= Esslinger Studien. Schriftenreihe; Bd. 22), Ostfildern: Thorbecke 2011, 467 S., 12 Farbabb., ISBN 978-3-7995-0855-1, EUR 24,90
Inhaltsverzeichnis dieses Buches
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Philippe Genequand: Une politique pontificale en temps de crise. Clément VII d'Avignon et les premières années du grand Schisme d'Occident (1378 - 1394), Basel: Schwabe 2013
Hartmut Beyer / Gabriela Signori / Sita Steckel (eds.): Bruno the Carthusian and his Mortuary Roll. Studies, Text, and Translations, Turnhout: Brepols 2014
Balbino Velasco Bayón / Mauricio Herrero Jiménez (eds.): Actas de los capítulos provinciales de la Provinciales de la Provincia carmelita de Cataluña (1476 - 1683), Roma: Edizioni carmelitane 2013
Mit der Veröffentlichung ihrer Dissertation in der Reihe Esslinger Studien legt Iris Holzwart-Schäfer einen Grundstein für die Erforschung des Karmelitenordens in Deutschland, nicht nur weil sie einen der ältesten Karmelitenkonvente über das gesamte Mittelalter hinweg untersucht (1271-1557), sondern vor allem, weil sie in der Lage ist, die allgemein spärlich vorhandene Ordenshistoriographie mit den regionalen Archivbeständen in Beziehung zu setzen.
Der Untertitel des Werkes 'Ein südwestdeutscher Mendikantenkonvent zwischen Ordensideal und Alltagswirklichkeit' mag diesen - leider fast zur Floskel gewordenen - methodischen Ansatz des Vergleichs zwischen Norm und Praxis unterstreichen, dennoch scheint er für den vorliegenden Band nicht zutreffend. Wie die Autorin im ersten Teil ihrer Arbeit ausführlich erklärt, erlebten die Karmeliten mit ihrer Ansiedlung in Europa einen Daseinswandel: Von Eremiten wurden sie zu Mendikanten. Es stimmt also, dass die Karmeliten, die sich in Esslingen zu Beginn der 1270er Jahre niederließen, Mendikanten waren - sie hielten aber zu diesem Zeitpunkt noch am Eremitentum ihrer Ursprünge fest, was in der Studie nicht problematisiert wird. Die Konfrontation des Ideals mit der Wirklichkeit erscheint also unvollständig, weil das eremitische propositum als Teil der Ordensidentität von der Verfasserin nicht wirklich berücksichtigt wurde.
Vielmehr legt die Autorin eine vollständige Studie über eine städtische religiöse Gemeinschaft vor, die in der Seelsorge ihres Umfeldes tätig war. Dabei untersucht und aktualisiert Holzwart-Schäfer die bisherigen Kenntnisse über das Kloster und seine Gebäude und stützt sich besonders auf archäologische Untersuchungen des Geländes. Darüber hinaus nimmt sie den Archivbestand der Stadt Esslingen genau unter die Lupe, sodass sie ein sehr präzises Bild der Klosterwirtschaft und insbesondere der Stiftungen der Karmeliten zeichnen kann. Zudem bietet sie eine detaillierte Chronologie äußerer Ereignisse aller Art, die für das Konventsleben wichtig waren.
Die Arbeit gliedert sich in acht unterschiedliche Teile und folgt grosso modo einem chronologischen Aufbau. Im ersten Teil, der Einleitung (15-34), erklärt Holzwart-Schäfer, dass die Karmeliten in der Geschichtsschreibung der Bettelorden nicht ausreichend berücksichtigt worden seien und stellt die in ihrer Untersuchung ausgewerteten Urkunden vor. Im zweiten Teil (35-90) skizziert sie den Karmelitenorden und weist unter anderem auf die elianisch-marianische Tradition sowie auf die Skapulierverheißung und Annenverehrung hin. Allerdings wird die Spiritualität der Karmeliten in der Studie nicht näher untersucht, was der Esslinger Urkundenüberlieferung geschuldet ist. Die sechs weiteren Teile des Buches geben die Geschichte des Esslinger Klosters wieder und setzen dabei den Akzent auf das 14. und 15. Jahrhundert. Immer wieder rekurriert die Autorin auf die anderen Esslinger Bettelordenskonvente, um ihr Forschungsobjekt in seinen speziellen religiösen Kontext zu stellen.
Iris Holzwart-Schäfer untersucht in ihrer Fallstudie die Alltagspraxis des Karmelitenkonvents und richtet den Blick dabei auf besondere Episoden des städtischen Klosterlebens. Die Polemik über das Testament des Priors Johannes Epp (176-209) zeigt sehr gut, wie die karmelitische Gemeinschaft sich innerhalb einer Stadt, einer Diözese, einer Ordensprovinz und schließlich eines Ordens eingliedern konnte. Die jeweilige Obrigkeit versuchte das Testament zu ihren Gunsten zu interpretieren und zu begutachten, ohne jedoch den absoluten Innenwiderspruch, der sich aus der Abfassung eines Testaments durch einen Mendikantenbruder ergab, in Frage zu stellen. Eine ähnlich dokumentierte Untersuchung führt sie bei der Einführung der Observanz innerhalb der oberdeutschen Provinz, wobei die besondere Stellung der Karmeliten gegenüber dem Weltklerus eine besondere Rolle spielt. Die Handlungen der tonangebenden Autoritätspersonen des Ordens in Esslingen werden ebenfalls genau betrachtet, um generell die Stellung der Karmeliten in der Stadt zu verstehen.
Die Forschungsergebnisse über die Einführung der Ordensobservanz (219-302) parallel zur Entwicklung der Reformation (303-345) in Esslingen und deren Konsequenzen auf das Karmelitenkloster erweisen sich als der beste Teil des Buches. Holzwart-Schäfer analysiert die Urkunden und beleuchtet den langsamen Prozess der Konfessionalisierung in einer bürgerlichen Stadt und dessen Konsequenzen für die Karmeliten, die in der Seelsorge tätig waren. Sie schafft es zu zeigen, wie der Stiftungsprozess, worauf sich der Alltag des Konventes stützte, zusammenbrach, weil die Stifter ihre Seelgeräte zurückverlangten. Mit der Reformation endete das Leben des Karmelitenklosters in Esslingen.
In einem Anhang (369-418) lenkt Holzwart-Schäfer die Aufmerksamkeit zunächst auf die Konventsmitglieder und ihre Funktionen. Präsentiert wird nicht nur eine Übersicht der Amtsträger, sondern auch ein ausführlicher Katalog der Konventsmitglieder, der künftige prosopographische Studien anregen will. Darüber hinaus werden die benutzten Archivalien in acht Tabellen zusammengefasst und, wenn nötig, kommentiert. Ein Corpus von zwölf Abbildungen unterschiedlicher Art illustriert die im Text dargestellten Sachverhalte, was besonders dort günstig ist, wo über Grundrisse und archäologische Befunde gehandelt wird. Ein Register der Orts- und Personennamen (448-467) leistet gute Dienste insbesondere bei der Benutzung des Anhanges.
Mit der vorliegenden Studie schafft es die Autorin, die alltägliche Welt der Karmeliten in einer deutschen Stadt mit einem starken Bürgertum aufzuhellen. Obwohl sich die Aufgabe vor allem wegen des heterogenen Archivbestandes als schwierig erweist, gelingt es, die Geschichte des Esslinger Karmelitenklosters in dem weiteren Feld der Geschichte des Bettelordens und allgemein der religiösen Orden in der spätmittelalterlichen Stadt erfolgreich darzustellen. Ausgehend von dieser Arbeit eröffnen sich jetzt weitere Fragestellungen im Hinblick auf die Geschichte der Karmeliten. Zwar nähert sich Holzwart-Schäfer nur wenig der karmelitischen Spiritualität im Esslinger Kloster, doch stellt sie mit ihrer Untersuchung die lokale Karmelitengeschichte auf eine neue Grundlage, die weitere Forschungen anregen dürfte.
Coralie Zermatten