Wolfgang Eric Wagner: Die liturgische Gegenwart des abwesenden Königs. Gebetsverbrüderung und Herrscherbild im frühen Mittelalter (= Brill's Series on the Early Middle Ages; Vol. 19), Leiden / Boston: Brill 2010, XIII + 400 S., 20 Farbabb., ISBN 978-90-04-18923-2, EUR 140,00
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Im Mittelpunkt dieser überarbeiteten Rostocker Habilitationsschrift aus dem Wintersemester 2008/09 stehen fünf hervorragende Herrscherbilder aus drei Handschriften:
1. Lothar I. für St. Martin in Tours (Paris, Bibliothèque Nationale, Fonds latin 266),
2. Heinrich II. für Montecassino (Rom, Bibliotheca Apostolica Vaticana, Ottobonianus latinus 74) und
3. Heinrichs III. Evangelistar aus Echternach (Bremen, Staats- und Universitätsbibliothek, Ms. b. 21).
Seit langem Allgemeingut ist die Tatsache, dass sich Herrscherbilder vor allem in liturgischen Handschriften finden. Wagner greift dies in einer kurzen Einleitung mit der Erklärung seines Forschungsansatzes auf. Ausgehend vom Verständnis der Darstellungen als Memorialbilder im Sinne Otto Gerhard Oexles, stellt er die Frage nach der Entstehung und der Funktion der Bilder. Die liturgischen Handschriften versteht er als Beitrag zur Präsenz des Herrschers in den jeweiligen Gemeinschaften. Können die Herrscherbilder also unter dem Aspekt der Herrschaft durch Präsenz der in der Regel ja abwesenden Könige betrachtet werden? Können die Bilder über den Gedenkzweck hinaus die persönliche Gegenwart ermöglichen und so die Gebetspflicht für König und Reich in besonderer Weise absichern? Wagner greift hier Fragen auf, die für Verbrüderungen besonders Joachim Wollasch thematisiert hat. Wagner will seine Arbeit so in den Zusammenhang der Untersuchungen zum Herrscherbild und Königtum etwa von Hagen Keller, Hartmut Hoffmann und zuletzt Ludger Körntgen stellen. Die Entstehung der Herrscherbilder soll dabei durch die intensive Einbeziehung der inneren und äußeren Struktur der jeweiligen Handschrift erörtert werden. Die Funktion der Bilder soll durch die Erarbeitung des Memorialkontexts der Handschriften gedeutet werden, also durch ihre historische Einordnung in den Zusammenhang einer Verbrüderung. Ausgangspunkt ist dabei die Präsenz des abwesenden Herrschers im liturgischen Bild.
In einem zweiten Kapitel (41-162) stellt Wagner die Verbrüderung als "idealtypische Bestimmung eines frühmittelalterlichen Rituals" (so in der Überschrift, 41) dar. Anhand einer großen Fülle von Beispielen, die in unterschiedlichsten Quellengattungen überliefert sind, wird eine gute Übersicht über die Bandbreite der Verbrüderungen sowie ihrer Überlieferungsformen gegeben. Dies ist zumindest für Einzelpersonen wohl selten derart ausführlich dargestellt worden. Aus den präsentierten Beispielen stellt Wagner dabei eine Liste auf, die als Ablaufplan einer Gebetsverbrüderung einer Einzelperson mit einer geistlichen Gemeinschaft betrachtet werden kann. Eine solche "idealtypische" Liste kann naturgemäß nur als Konstrukt der Forschung angesehen werden. Eine der fundamentalsten Erkenntnisse der Memorialforschung ist ja die Einmaligkeit jedes einzelnen Zeugnisses. Es bedarf in jedem Einzelfall einer eigenen Erklärung der Entstehung einer Verbrüderung oder Stiftung, beziehungsweise eines Namenseintrags im Necrolog. Daher ist es problematisch, eine verallgemeinerte Form der Verbrüderung zu erstellen. Daran noch einen diachronen "Formwandel des Rituals" darzustellen (Zusammenfassung, 160f.), scheint kaum aussagekräftig. Ebenso fehlt es an eindeutigen Definitionen. So werden die Begriffe Stiftung und Verbrüderung gegeneinander gesetzt, ohne sie zu reflektieren. Oder ist der Übergang von einer Stiftung zu einer Verbrüderung derart fließend, dass er sprachlich kaum geschieden werden kann? Evident zu sein scheint, dass die persönliche Anwesenheit des Herrschers bei der Verbrüderung zwingend notwendig ist. Darf sie deshalb diskussionslos postuliert werden? Die Frage stellt sich, da Wagner dies Argument im speziellen Teil seiner Arbeit zur Datierung der Handschriften einsetzt.
Es folgen in drei weiteren Kapiteln die Fallstudien zu den Herrscherbildern der jeweiligen Handschriften. Dabei ist die methodische Vorgehensweise gleich, nur in Nuancen den Ansprüchen der einzelnen Überlieferungen angepasst. Einer kurzen Beschreibung der Handschrift und einer ausführlichen der Herrscherbilder folgt ihre Einordnung in den historischen und funktionalen Kontext, also die Fragen nach der jeweiligen Verbrüderung und dem liturgischen Gebrauch des Manuskripts. Die Entstehung aller drei untersuchten Handschriften will Wagner dabei in Krisensituationen sehen.
Die Darstellung Lothars I., bisher zwischen 849 und 851 datiert, will Wagner ins Jahr 842 setzen. Das Bild Heinrichs II. ordnet er wie bisher ins Jahr 1022 ein. Die Darstellungen aus Echternach will Wagner im Zusammenhang eines erschlossenen Herrscherbesuchs im Jahr 1040 sehen.
Ein kurzes Resümee von neun Seiten (301-309) beschließt das Buch. Hier werden die wichtigsten Gedanken knapp skizziert. Dabei scheint manches etwas holzschnittartig: Ob die von Wagner postulierte Krisensituation in Echternach wirklich dazu führte, dass es "dem Miniaturenmaler und seinen Mitbrüdern [...] nicht in erster Linie um herrschaftstheologische Vorstellungen von königlicher Herrschaft gegangen sei", sondern darum, "Heinrich III. mittels ihrer Bildnisse nachdrücklich auf seine Pflichten als tugendhafter Herrscher hinzuweisen" (307), erscheint doch fragwürdig.
Sicherlich bereichert die Arbeit das Bild des Königtums um einen weiteren Aspekt. Die Herrscherdarstellungen selbst werden ausführlich im Zusammenhang ihrer Handschriften erläutert und gewürdigt. Allerdings werden die in der Einleitung angesprochenen Fragen in der kurzen Zusammenfassung nicht wieder aufgegriffen. Es wird darauf verzichtet, das Bild des Königs mit den Ergebnissen der Untersuchung detailreicher zu zeichnen. Insofern bleibt es bei drei Fallstudien zu Herrscherbildern des frühen und hohen Mittelalters. Ob dies der zu schmalen Quellenbasis geschuldet ist oder die gewählte Methode keine weiterführenden Ergebnisse zulässt, bleibt zu überlegen.
Rolf Kuithan