Monika Fink-Lang: Joseph Görres. Die Biografie, Paderborn: Ferdinand Schöningh 2013, 384 S., ISBN 978-3-506-77792-8, EUR 39,90
Inhaltsverzeichnis dieses Buches
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Eric Kurlander: The Price of Exclusion. Ethnicity, National Identity, and the Decline of German Liberalism, 1898-1933, New York / Oxford: Berghahn Books 2006
Benjamin Hasselhorn: Politische Theologie Wilhelms II., Berlin: Duncker & Humblot 2012
Holger Schmenk: Xanten im 19. Jahrhundert. Eine rheinische Kleinstadt zwischen Tradition und Moderne, Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2008
Durch ihre langjährige Mitarbeit an der Herausgabe der Görres-Schriften ist die Autorin bestens vertraut mit ihrem Untersuchungsgegenstand. Monika Fink-Lang bearbeitete in der Reihe der Gesammelten Schriften dabei zuletzt die Görres-Briefe aus seiner Münchener Zeit. [1] Nun legt sie eine Lebensbeschreibung vor, bei der sie ausführlich aus dem reichen Fundus der Korrespondenz zitiert. Das Buch bewegt sich folglich zwischen Lebensbeschreibung, Werkbiografie und anschaulichem Teilnehmen-Lassen an den Schicksalen des Helden. So wird gleichzeitig das umfangreiche Netzwerk des Philosophen, Politikers, Publizisten und Vorkämpfers der katholischen Sache im Vormärz in seiner Kontinuität und europäischen Dimension, aber auch in seinem Wandel sichtbar gemacht.
In zehn Kapiteln schildert Fink-Lang das Leben von Joseph Görres. Geboren 1776 in Koblenz, fällt seine Jugend in die Zeit der Französischen Revolution und ihrer Auswirkungen in den Rheinlanden. Die enge Beziehung zu seiner Heimatstadt und ihrer Umgebung gehört ebenso zu den prägenden Kindheitserfahrungen wie die beginnende Einbindung in den Koblenzer Freundeskreis mit Clemens Brentano und der Familie von Lassaulx oder die Begeisterung für Natur und Philosophie. Die vielfältigen Interessen treten jedoch zunächst hinter die patriotische Begeisterung für die Republik zurück, in deren Gefolge das literarische und satirische Talent Görres' sichtbar wird. Flugblätter und die erste eigene Zeitung, das "Rothe Blatt" (später: "Rübezahl") sind die Waffen des rheinischen Jakobiners. Die revolutionäre Zuversicht bricht zusammen, als Napoleon das Rheinland annektiert und sich "der Traum von Freiheit und Völkerglück im Gefolge der Revolution" (61) nicht mehr erfüllen lässt. Görres wendet sich daraufhin von der Politik ab und naturphilosophischen Studien zu. Er wird Gymnasiallehrer für Physik, Chemie und Physikalische Erdkunde und veröffentlicht Arbeiten, in denen er sich um eine ganzheitliche Sicht des Universums müht. In anfänglicher, ihn sein Leben lang begleitender Auseinandersetzung mit fernöstlichen Philosophien und Religionen will er die "Dreiheit von Wissenschaft, Glauben und Sittlichkeit" (82) miteinander versöhnen.
Nachdem sich Pläne für eine Universitätslaufbahn in Bayern zerschlagen haben, geht Görres nach Heidelberg, wo er Vorlesungen über Philosophie, Physiologie und Ästhetik hält. Der romantische Freundeskreis mit Brentano, Eichendorff, Arnim und Creuzer weist Görres auf das deutsche Volkslied und die mythischen Traditionen Asiens hin. Seine polarisierende Art, die er immer wieder zu Papier bringt, macht dem Heidelberger Aufenthalt nach zwei Jahren ein Ende. Die folgenden Jahre in Koblenz (1808-1813), nun wieder als Gymnasiallehrer, sehen ihn "auf der Suche nach dem Ursprung der Geschichte", wie Fink-Lang ihr diesbezügliches Kapitel überschreibt. Inspirierend ist für Görres der Kontakt mit den Brüdern Grimm. Doch wieder holen ihn die politischen Veränderungen ein. Görres gründet den "Rheinischen Merkur" als Organ für die Freiheit Deutschlands, "die bis dahin einflussreichste Zeitung Deutschlands, ein Meilenstein in der Geschichte des deutschen Journalismus" (147f.). Herausgeber und Hauptautor zugleich, gerät er nach dem Wiener Kongress in die Kritik, die Zeitschrift wird Anfang 1816 verboten. Für Görres beginnen "Jahre der Konfrontation mit Preußen" (165). Er kämpft um Pensionsansprüche und Wartegeld, wird hingehalten, lehnt selbst mehrere Angebote auf Stellen außerhalb Preußens ab in der Hoffnung auf eine Professur an der neu zu gründenden Universität Bonn. Sein Buch "Teutschland und die Revolution" mit der scharfen Kritik sowohl an absoluter Monarchie wie an Demokratie führt zum Befehl, ihn zu verhaften. Durch Flucht kann er dem Gefängnis zwar entgehen, doch acht Jahre Exil in Straßburg und der Schweiz sind die Folge. In diesen Jahren geht für Görres die politische Visionsarbeit an Deutschland und Europa zwar weiter, doch vollzieht sich die Wendung zum Religiösen hin. Er wird Mitarbeiter am "Katholik", der Zeitschrift des ultramontanen Kreises um das Mainzer Priesterseminar. Seine eigene religiöse Praxis konsolidiert sich: "Der Weg zum katholischen Apologeten ist damit abgeschlossen." (216)
Äußerlich zur Ruhe kommt Görres mit der Berufung an die Universität München. Sein Fach ist die Universalgeschichte. In Vorlesungszyklen über mehrere Semester breitet er eine christlich fundierte Geschichtsschau aus, die ihren Ausgangspunkt von seinen religionsgeschichtlichen Studien nimmt. Das neue Forschungsgebiet der Münchener Zeit ist die christliche Mystik. Über Josef von Giovanelli kommt er in Kontakt mit der Südtiroler Mystikerin Maria von Mörl. Überhaupt baut er sich in den Münchener Jahren einen neuen Freundeskreis auf, der die katholische Restauration förderte und zu dem unter anderem Döllinger, Windischmann und Johann Adam Möhler gehörten.
Die letzten großen publizistischen Fehden Görres' sehen ihn als "Vorkämpfer für die katholische Sache" (263). Im "Athanasius" kritisiert er das Vorgehen der preußischen Regierung gegen den Kölner Erzbischof im Mischehenstreit. Mit der Schrift "Der Dom von Köln und das Münster von Straßburg" fördert er den Weiterbau des Kölner Doms. Mit der Schrift "Die Wallfahrt nach Trier" verteidigt er die "Demonstration des erstarkten Katholizismus" (292). In München freilich kann dieser ultramontane Katholizismus nicht ohne weiteres dominieren. König Ludwig I. wendet sich in der Lola-Montez-Affäre gegen die "Ultrakirchlichen". Bis in den Tod ist Görres davon betroffen: Gedächtnisreden in der Akademie und ein studentischer Fackelzug werden untersagt.
Monika Fink-Lang hat eine gut lesbare und bestens dokumentierte (leider ist der Wert der Anmerkungen durch die Platzierung am Ende des Buches minimalisiert!) Lebensbeschreibung von Joseph Görres vorgelegt. An ihm lassen sich die Wendungen deutscher Politik- und Geistesgeschichte von der Französischen Revolution bis zur 1848er-Revolution illustrieren. Es ist Fink-Lang gelungen, den Politiker und Wissenschaftler, den Privatgelehrten und Professor, den Revolutionär und katholischen Reaktionär, den Mann der Öffentlichkeit und den Privatmenschen Görres lebendig darzustellen und in seinen Wandlungen wie in der Kontinuität seiner Anschauungen nachvollziehbar zu machen.
Anmerkung:
[1] Vgl. Joseph von Görres: Briefe der Münchner Zeit, hrsg. von Monika Fink-Lang (Gesammelte Schriften Briefe: Bd. 1), Paderborn 2009.
Joachim Schmiedl