Dieter Heckmann (Bearb.): Das Elbinger Kriegsbuch (1383-1409). Rechnungen für städtische Aufgebote (= Veröffentlichungen aus den Archiven Preußischer Kulturbesitz; Bd. 68), Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2013, 436 S., ISBN 978-3-412-21011-3, EUR 54,90
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In den polnischen Archiven der bis 1945 zum Deutschen Reich gehörenden Gebiete befinden sich noch gewaltige Mengen an deutschsprachigem Quellenmaterial aus dem Mittelalter und der frühen Neuzeit. Eine Erschließung dieses Fundus für die wissenschaftliche Auswertung ist eine Aufgabe, die noch Generationen von Historikern beschäftigen wird. Dies lässt sich nur bewerkstelligen, wenn deutsche und polnische Wissenschaftler gemeinsam die Bestände aufarbeiten. Ein gutes Beispiel für eine solche Zusammenarbeit ist die nun im Druck vorgelegte Edition des Elbinger Kriegsbuchs der Jahre 1383 bis 1409. Dieter Heckmann, Archivoberrat am Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz in Berlin, und Krzysztof Kwiatkowski, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Historischen Institut der Nikolaus-Copernicus-Universität in Thorn/Toruń, haben diese herausragende kriegsgeschichtliche Quelle des späten Mittelalters ediert und kommentiert.
Beim Elbinger Kriegsbuch handelt es sich - auch im europäischen Vergleich - um eine fast einzigartige Überlieferung, die genaue Einblicke in das militärische Engagement der Bürger einer spätmittelalterlichen Stadt für die Landesverteidigung bietet. Das formal wie ein Rechnungsbuch aufgebaute Dokument enthält vollständige Listen von Elbinger Bürgern, die an Kriegseinsätzen des Deutschen Ordens innerhalb und außerhalb Preußens teilgenommen haben. Im Berichtszeitraum von 26 Jahren gab es dabei insgesamt 42 militärische Aktionen unter Beteiligung der Elbinger Kontingente. Nur sechs Jahre waren kriegsfrei, ansonsten wurden Elbinger Bürger im Schnitt zweimal jährlich zu den Waffen gerufen und waren häufig mehrere hundert Kilometer von ihrer Heimatstadt entfernt für viele Wochen im Kriegseinsatz. Militärisches Engagement bildete somit keine Ausnahme, vielmehr gehörte es fast zum Alltagsleben des männlichen Teils der Bürgerschaft.
Die Veröffentlichung gliedert sich in drei Hauptteile: eine Einleitung mit einer äußeren und inneren Beschreibung des Quellentextes, die eigentliche Quellenedition sowie ein prosopographisches Verzeichnis.
Bei der äußeren Beschreibung ist vor allem die gründliche Analyse des Sprach- und Schriftstils hervorzuheben, die es den Bearbeitern erlaubte, die Abfassung des Textes zwei Schreibern zuzuordnen, die auch namentlich ausfindig gemacht werden konnten. Bei der inhaltlichen Beschreibung wird zunächst die innere Organisation der Elbinger Aufgebote dargelegt, wobei grundsätzlich zwischen der Teilnahme an offensiven Aktionen (Reisen) und defensiven Aktionen (Alarm, Landwehr) unterschieden wurde. Die Reisen führten meist nach Litauen, wo der Deutsche Orden während des Berichtszeitraums mehrere Kriege führte. Einen zweiten Kriegsschauplatz dieser Epoche bildete die Insel Gotland, die im Zuge des Kampfes gegen die Piraterie der Vitalienbrüder von den preußischen Städten und dem Deutschen Orden für mehrere Jahre besetzt wurde. Die Elbinger Aufgebote waren gewöhnlich zwischen 30 und 70 Mann stark und in Zeltgemeinschaften (so genannten Mayen) organisiert. An ihrer Spitze standen Hauptmänner, in der Regel Bürgermeister oder Ratsleute der Stadt. Mit den Kriegszügen waren erhebliche Kosten für die Teilnehmer verbunden. Daher bildete die gerechte Verteilung der Kriegskosten ein wichtiges Element zur Wahrung des inneren Stadtfriedens. An den Aufzeichnungen des Kriegsbuchs lässt sich die Verteilungspolitik des Rates nachvollziehen. Einerseits wurden die wohlhabendsten Bürger mit Taxen belegt, die sich an deren Vermögen orientierten. Manche Elbinger Familien mussten daher mehrere Schützen, Pferde oder Rüstungen stellen. Andererseits hatten die einzelnen Stadtquartiere und die Zünfte Kontingente aufzubieten. Aus den Listen kann man ersehen, dass sich die Gestellungspflichtigen bei den einzelnen Kriegszügen abwechselten. Niemandem war bei der Häufigkeit der Einsätze zuzumuten, ständig seine Waffenpflicht zu erfüllen. Die durch die Edition zur Verfügung gestellten Angaben bieten die Möglichkeit, diesen Vorgang der stadtinternen Zuweisung der Kriegslasten anhand der vorliegenden Daten im Detail nachzuvollziehen und abzuprüfen.
Die Edition des Quellentextes erfolgte anhand des von Dieter Heckmann entwickelten Leitfadens zur Edition deutschsprachiger Quellen (13.-16. Jh.). Die am Muster des Rechnungsbuchs orientierte Struktur des Textes ist dabei im Druckbild weitgehend unverfälscht wiedergegeben.
Da das Kriegsbuch vor allem Namenslisten von insgesamt etwa eintausend Elbinger Bürgern enthält, die an den Kriegszügen des Deutschen Ordens zwischen 1383 und 1409 teilgenommen haben, entschieden sich die Bearbeiter für eine Ergänzung des Editionstextes durch ein ausführliches prosopographisches Verzeichnis. Alle aus verschiedenen Schriftquellen bisher bekannten Informationen zu den in den Gestellungslisten genannten Personen sind zu Kurzbiographien zusammengefasst worden. Dies erforderte von den Bearbeitern einen erheblichen Mehraufwand an Arbeit, was sich nicht zuletzt am Umfang des Verzeichnisses erkennen lässt, das mehr als die Hälfte der gesamten Publikation ausmacht (insgesamt 232 Seiten). So steht dem Nutzer nun ein reicher Fundus an biographischen Daten zur Verfügung, der sich auch für die Erforschung vieler anderer Fragen und der sozialen Zusammenhänge in Elbing um 1400 verwenden lässt. Leider haben die Bearbeiter auf die Anfügung eines Sachindexes, der die Auswertung der umfangreichen Angaben erleichtert hätte, verzichtet.
Auch wenn die Quelle, oberflächlich betrachtet, ein ziemlich trockener Stoff ist, so gewährt sie der Forschung doch einen tiefen Einblick in einen wesentlichen, bislang viel zu wenig beachteten Aspekt bürgerlichen Lebens im späten Mittelalter. Das Elbinger Kriegsbuch belegt nachdrücklich, dass die aktive Teilnahme an Kriegszügen und der Landesverteidigung zum Alltag der Bürgerschaft gehörte. Ein nicht unbeträchtlicher Teil der männlichen Einwohnerschaft der Stadt übte das Kriegshandwerk regelmäßig und in halbprofessioneller Routine aus. Der Stadtrat musste dabei einerseits gewährleisten, dass die städtischen Aufgebote rasch in die oft weit entfernt gelegenen Einsatzgebiete geschickt wurden, gleichzeitig musste ihm daran gelegen sein, die Last der Kriegsteilnahme gerecht auf die Schultern der Bürger zu verteilen. Die Edition des Kriegsbuchs bietet in Verbindung mit dem prosopographischen Verzeichnis die Grundlage, am Elbinger Beispiel diesen Vorgang im Detail untersuchen zu können. Inwieweit die Verhältnisse einer Stadt im Deutschordensland Preußen kriegerischer waren als in anderen Regionen Europas, müsste allerdings durch vergleichende Forschungen untersucht werden.
Die gewissenhaft und gründlich bearbeitete Edition zeigt, dass die "altmodische" Volltexterschließung nach wie vor ihre Berechtigung hat. Durch solche Editionswerke, deren Erstellung den Bearbeitern langwierige Mühen abverlangen, werden den historischen Wissenschaften neue Quellengrundlagen dauerhaft und allgemein abrufbar zur Verfügung gestellt, die einen wesentlichen Ausgangspunkt für den wissenschaftlichen Fortschritt bilden.
Christofer Herrmann