Stefan Bürger / Bruno Klein (Hgg.): Werkmeister der Spätgotik. Position und Rolle der Architekten im Bauwesen des 14. bis 16. Jahrhunderts, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2009, 240 S., ISBN 978-3-534-22346-6, EUR 59,90
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Der Sammelband, hervorgegangen aus Lehrveranstaltungen und einem Forschungsprojekt des Instituts für Kunst- und Musikwissenschaft der TU Dresden, widmet sich der Frage nach der Stellung und der Arbeitsweise der Werkmeister im Spätmittelalter. Die Werkmeister dieser Epoche stehen dabei am Übergang zwischen den in der älteren Literatur als Handwerkern postulierten mittelalterlichen Baumeistern und den schöpferisch-freien Architekten der Renaissance. Dass man sich mit derartigen stereotypen Vorstellungen von den bauplanenden Persönlichkeiten der komplexen Arbeitswelt der Architekturpraxis nicht hinreichend nähern kann, dürfte inzwischen jedem klar sein.
Bruno Klein weist daher in seinem Einführungstext darauf hin, dass die Forschungsgeschichte einer kritischen Revision und die Terminologie einer grundlegenden Überprüfung unterzogen werden müssen. Notwendig sei dabei die Klärung der Begriffe Baumeister, Werkmeister, Architekt und Bauherr. Der vorliegende Band soll hierzu einen ersten Beitrag liefern. Er gliedert sich in vier Abschnitte: Definitionen - Aufgaben der Werkmeister - Bestallung, Verdingung, Entlohnung - Quellenanhang.
Auf die hohe, aber nur ungenügend ausgewertete Quellendichte zur Tätigkeit der Werkmeister im 15./16. Jahrhundert wird von mehreren Autoren ausdrücklich hingewiesen. Es handelt sich vor allem um 'sperriges' Quellenmaterial wie Rechnungen oder Verträge, die vielfach noch nicht bearbeitet wurden. Bei der Sichtung und Auswertung dieser Bestände muss die zukünftige Forschung ansetzen. Der Band zeigt demzufolge auch dort seine Stärken, wo nahe an den Quellen oder an der Analyse des Baubefundes gearbeitet wird. Hervorzuheben sind dabei die Beiträge von Norbert Nussbaum über die Raumentwürfe des Hans von Burghausen und die Ökonomisierung des Bauens sowie von Leonhard Helten über die Arbeit Rutgers aus Köln für die Stadtkirchen in Kampen und Leiden. Beide Autoren untersuchen den Entwicklungsprozess von planerischen und konzeptionellen Neuerungen in der Sakralarchitektur um die Wende zum 15. Jahrhundert. Erkennbar sind dabei jeweils Ökonomisierungs- und Rationalisierungstendenzen, die zu ästhetisch neuen und zukunftsweisenden Lösungen führten.
Nah an den Schriftquellen bewegt sich der Beitrag von Franz Bischoff über Bewerbungs-, Empfehlungs- und Anforderungsschreiben von Werkmeistern im 15. und frühen 16. Jahrhundert. Dieser Quellentypus ist in mehrerlei Hinsicht aufschlussreich, denn er zeigt sowohl die Selbsteinschätzung der Werkmeister in den Bewerbungsschreiben als auch ihre Beurteilung durch dritte Personen oder Institutionen in den Empfehlungsbriefen. Außerdem erhält man aus den Briefen zuverlässige Angaben über das gesamte Betätigungsfeld von zahlreichen Werkmeistern der Epoche. Besonders wertvoll ist dieser Beitrag auch deshalb, weil Franz Bischoff als Ergänzung einen Quellenanhang mit immerhin 103 Bewerbungs- und Empfehlungsschreiben aus dem gesamten deutschsprachigen Raum anfügt.
Weniger überzeugend erscheinen dem Rezensenten die Ausführungen von Stephan Hoppe zu Vorbildern aus dem Bereich der Grafik oder Malerei für Architekturlösungen im frühen 16. Jahrhundert. Dabei ist die Überlegung grundsätzlich sicherlich richtig und sollte eingehender untersucht werden, die im Beitrag vorgeschlagenen Verknüpfungen sind aber bei weitem nicht so schlüssig, wie behauptet wird. Die Untersuchung von Ulrich Knapp zum Werk eines anhand seines Steinmetzzeichens identifizierten Bildhauers, der unter anderem in Tübingen, Eutingen und Bebenhausen tätig war, passt eigentlich nicht in den Band, denn es fehlen konkrete Hinweise darüber, ob der namenlose Steinmetz überhaupt als Werkmeister tätig gewesen ist.
Es seien schließlich noch einige weitere kritische Bemerkungen zur Publikation erlaubt. Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass Titel und Untertitel des Bandes suggerieren, es handele sich um eine Darstellung zu Rolle und Funktion des spätmittelalterlichen Werkmeisters im Allgemeinen oder zumindest für den ganzen deutschen Bereich. Tatsächlich erhält der Leser aber nur eine Sammlung von Aufsätzen zu sehr speziellen Einzelaspekten des Themas, die sich regional weitgehend auf Sachsen und Süddeutschland beschränken. Lediglich der schon erwähnte Aufsatz von Franz Bischoff basiert auf Quellenmaterial aus dem gesamten deutschen Bereich. Man hat es hier mit einer heute leider weit verbreiteten Tendenz der Verlage zu tun, die Arbeiten mit einer spezialisierten Themenstellung verkaufsfördernd unter einem Titel anpreisen, der vorgibt, ein Thema allgemeingültig und umfassend zu behandeln.
Aber auch von Seiten der Autoren wird die Fixierung auf den sächsisch-süddeutschen Raum nicht als Defizit angesprochen. Vielmehr erwecken manche Beiträge den Eindruck, allgemeingültige Erkenntnisse zu präsentieren, obwohl es sich tatsächlich nur um Ergebnisse von regionalen Studien handelt. So präsentiert Stefan Bürger ein Schema, das alle am spätmittelalterlichen Bauprozess beteiligten Personen und ihre Aufgabenstellungen beschreibt (29). Dieses genaue Organisationsschema spiegelt faktisch aber nur die speziellen sächsischen Verhältnisse wider. In anderen Gebieten des Reiches gab es zum Teil erheblich davon abweichende Zuständigkeiten im Bauwesen. So vermisst der Rezensent Hinweise auf die wichtige Stellung der Kirchenfabrik/Kirchenväter bei der Kirchenbauorganisation. Diese Institution, die vor allem im Norden (aber nicht nur dort) eine zentrale und vermittelnde Rolle im Spannungsfeld von Bauherrschaft und Bauausführenden spielte, ist von der kunsthistorischen Forschung bisher kaum beachtet worden.
Zu bemängeln ist auch der mitunter unreflektierte Umgang mit alteingesessenen Begriffen und Vorstellungen zur mittelalterlichen Baupraxis. Der von Bruno Klein in der Einführung angemahnten Forderung nach einer kritischen Revision der Forschungsgeschichte sowie einer grundlegenden Überprüfung der Terminologie hätten sich manche Autoren des Bandes selbst etwas gewissenhafter annehmen sollen. So wird etwa der von der älteren Literatur vielfach überfrachtete und mystifizierte Begriff der 'Bauhütte' in mehreren Beiträgen recht unkritisch verwendet. Stattdessen wäre vielmehr zu fragen, wo und ob es die 'Bauhütte' als zentrale Institution des Kirchenbaus überhaupt gegeben hat. In den Backsteingebieten des Nordens gab es auf jeden Fall keinerlei Bauhütten. Der Unterschied zwischen Werkstein- und Backsteinregionen wird im Band ebenfalls nicht angesprochen. Dies ist aber gerade in Bezug auf den Werkmeister eine sehr bedeutende Differenz, denn in den Werksteinregionen waren die Werkmeister fast immer Steinmetze, in den Backsteingebieten dagegen Maurer. Es wäre hier zu untersuchen, ob und wie sich dieser Unterschied auf die Funktion und Arbeitsweise der Werkmeister auswirkte.
Eine andere, mehrfach vorkommende Aussage stellt pauschal fest, dass man im Spätmittelalter wesentlich schneller gebaut hätte als im Hochmittelalter. Auch zu dieser Frage müsste erst noch gründlich geforscht werden, und ich bin mir keineswegs sicher, ob das Ergebnis so eindeutig ausfallen wird, wie es viele Autoren annehmen. Es sei nur daran erinnert, dass die beiden größten Kirchen der Romanik, Speyer I und Cluny III, in kaum mehr als 30 Jahren fertiggestellt wurden. Mit einem solchen Bautempo konnte kaum einer der spätmittelalterlichen Großbauprojekte mithalten.
Insgesamt gesehen ist das Grundanliegen des Bandes wichtig und die meisten Beiträge durchaus lesenswert, doch wirkt die Publikation keineswegs homogen und die Auswahl der Artikel erscheint doch etwas zufällig zusammengestellt. Ein Leser, der das erwartet, was der Titel verspricht, wird am Ende etwas enttäuscht sein.
Christofer Herrmann