Christian Baldus / Massimo Miglietta / Gianni Santucci u.a. (Hgg.): Dogmengeschichte und historische Individualität der römischen Juristen, Alcione 2012, VII + 734 S., ISBN 978-88-8443-453-1, EUR 35,00
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Dieser beeindruckende und gewichtige Band von insgesamt 734 Seiten, bei dem es sich um das Produkt eines Kongresses in Montepulciano im Juni 2011 handelt, enthält neben dem einführenden und dem abschließenden Kapitel zwanzig Aufsätze. Den größten Anteil bilden die vierzehn Beiträge in italienischer Sprache, desweiteren sind vier in deutscher, zwei in spanischer und - eine interessante Ungewöhnlichkeit - kein einziger in englischer Sprache gehalten. Im Anschluss an jeden einzelnen Aufsatz findet sich eine kurze Zusammenfassung in deutscher (bei den italienischen und spanischen Beiträgen) oder (bei den deutschen Beiträgen) in italienischer Sprache, so dass der Band auch durch Personen mit einem geringeren Maß an Fremdsprachenkenntnissen nutzbar ist.
Nicht nur der Umfang macht eine Auswahl bei der Präsentation der Inhalte notwendig, sondern auch die Vielfalt der behandelten Themen. So behandelt Vivianne Geraldes Ferreira in ihrem Beitrag "Das Brasilianische Recht und die europäische Romanistik" (89-116) einen zweifellos interessanten, aber für den Althistoriker nur wenig relevanten Aspekt der Rechtsgeschichte.
Iolanda Ruggiero, "Il maestro delle Pauli sententiae: storiografia romanistica e nuovi spunti ricostruttivi" (485-531) unterzieht die sententiae des Paulus, deren Zuweisung an den Juristen Paulus umstritten ist, einer erneuten Prüfung und kommt zu dem Ergebnis, dass dieses Werk entweder auf Paulus selbst oder zumindest auf seine Schule zurückgeht.
Sabrina di Maria, "La cancellaria giustinianea e l'infungibilità dei giuristi classici: l'esempio delle decisiones" (575-591) verdeutlicht den über die simple Anerkennung aus ihrem Alter heraus hinausgehenden Umgang der Rechtsgelehrten justinianischer Zeit mit den Schriften der klassischen Juristen.
Verhältnismäßig wenig gewinnbringend ist die Lektüre des Aufsatzes von Andreas Nitsch "Sprachliche Individualität der römischen Juristen" (207-227). Dieser ist hauptsächlich den Grundlagen der sprachwissenschaftlichen Theorie gewidmet und geht auf die konkrete Thematik der römischen Juristen - es wird nur am Ende kurz das Beispiel Scaevola erörtert - kaum ein. Solche umfangreichen grundlegenden Vorarbeiten wären allerdings nur dann notwendig, wenn Nitsch ein bislang kaum erforschtes Themenfeld erarbeiten würde. Angesichts der Forschungen von Tony Honoré, der etwa durch Stilvergleiche verschiedene Quaestoren in der spätantiken Gesetzgebung unterscheiden konnte, kann dieser Aspekt in der Alten Geschichte und in der Antiken Rechtsgeschichte als etabliert gelten. Es wäre daher vermutlich sinnvoller gewesen, wenn Nitsch sich hauptsächlich auf die praktische Anwendung konzentriert hätte.
Einen Beitrag zur Geldgeschichte leistet Valerio Marotta mit seinem Aufsatz "Origine e natura della moneta in un testo di Paolo D. 18.1.1 (33 ad edictum)" (161-205). Er arbeitet heraus, dass Paulus an dieser Stelle auf die aristotelische Lehre über den Ursprung und die Natur der Münze zurückgreift. Demnach sollte mit der Einführung der Münze eine Messfunktion erfüllt werden, wohingegen die Verwendung als Tauschmittel eine daraus abgeleitete Funktion ist.
Für die Wissenschaftsgeschichte von Interesse sind Johannes Michael Rainer, "Gli influssi della romanistica italiana sulla romanistica tedesca nel Novecento" (119-132) und Gianni Santucci, "La scienza romanistica tedesca vista dall'Italia: il 'dogma' della fungibilità dei giuristi romani" (133-158). Beide zeigen aus verschiedenen Perspektiven die gegenseitigen Einflüsse, welche die deutsche und die italienische Rechtsgeschichte aufeinander ausgeübt haben. Rainers Schwerpunkt liegt hierbei eher auf den deutschen, Santuccis Schwerpunkt eher auf den italienischen Quellen, obwohl beide Forscher beide Seiten ausgiebig berücksichtigen.
Einen grundlegenden Vergleich zwischen Alter Geschichte und Antiker Rechtsgeschichte bietet Sven Günther mit seinem Beitrag "Theoriebildung in der Alten Geschichte und rechtsromanistische Methodendiskussionen" (75-88). Er untersucht den gegenseitigen Einfluss beider Disziplinen aufeinander und zeigt, dass viele der angenommenen Gegensätze so nicht existieren, auch wenn die nicht selten fehlende Annäherung beider Fächer dies manchmal nahelege.
Dieser Band bietet eine reichhaltige Fundgrube für Rechts- und Althistoriker, die auch für verwandte Disziplinen (Wissenschaftsgeschichte, Geldgeschichte) ihren Wert hat. Wie dies meist bei Bänden dieses Umfangs der Fall ist, behandelt das Buch ein sehr breites Spektrum unterschiedlicher Themen, das so aus dem Titel kaum ersichtlich werden kann; ein Beispiel wurde oben bereits genannt. Es wäre daher eine Überlegung wert gewesen, ihn in zwei Teilbände zu untergliedern, was nicht nur eine bessere und klarere Unterteilung ermöglicht, sondern auch zu einem handlicheren Ergebnis dieses in seiner jetzigen Form etwas unpraktischen Werkes geführt hätte.
Raphael Brendel