Stephan Conermann: "Islam in Südostasien" . Einführung, in: sehepunkte 14 (2014), Nr. 3 [15.03.2014], URL: https://www.sehepunkte.de
/2014/03/forum/islam-in-suedostasien--185/
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Von Stephan Conermann
Das erste thematische Forum der Islamischen Welten in diesem Jahr ist dem Islam in Südostasien gewidmet! Dabei verweist die Bezeichnung "Südostasien" auf einen durch keine gemeinsamen Charakteristika gekennzeichneten Raum. Vielmehr erfanden ihn offenbar die Alliierten im Zweiten Weltkrieg, als es darum ging, die von den Japanern eingenommenen Gebiete zurückzuerobern. Insofern hat eigentlich auch eine "Südostasienwissenschaft" nur wenig Sinn, obgleich sie sich an vielen Universitäten in Deutschland etabliert hat. Die Fachvertreter sind in der Regel keine Philologen, sondern Politik- und Sozialwissenschaftler (Soziologen, Kulturanthropologen, Ethnologen). Von der deutschen Islamwissenschaft ist Südostasien bisher vollkommen vernachlässigt worden, da sich historisch im Fach ein Schwerpunkt auf die vermeintliche "Kernregion" des Nahen Ostens herausgeschält hat. Erst im Zuge der Globalisierung scheint in der Disziplin ein gewisses Interesse an der Region aufzukommen. Dabei ist der Islam vor Ort weit verbreitet, vor allem natürlich in Brunei, Malaysia und in Indonesien, dem Land mit der größten muslimischen Bevölkerung der Welt (215 Millionen). Doch auch in Singapur, Kambodscha, Laos, Myanmar, Osttimor und Vietnam existieren muslimische Minderheiten.
Das Forum bietet somit einen Einstieg in die wissenschaftliche Beschäftigung mit dieser hochinteressanten und überaus dynamischen Welt. Wie nicht anders zu erwarten, sind die Arbeiten zu Indonesien deutlich in der Mehrzahl, wobei sich die meisten von ihnen auf bestimmte gesellschaftliche Entwicklungen seit dem 1998 eingeleiteten Reformprozess beziehen. Eine Ausnahme stellt nur die Studie von Michael F. Laffan dar, der sich mit Nederlands-Oost-Indië befasst (1800-1942). Im Zentrum seines gelungenen Buches steht der (im Sinne von Edward Said) "Orientalismus" des niederländischen Gelehrten Christiaan Snouck Hurgronje (1857-1936). (Conermann über Laffan)
Wer sich eine schnelle Übersicht über die Erfolge (oder Misserfolge) der Reformen nach 1998 verschaffen möchte, der lese die 21 Artikel in einem von Genia Findeisen, Christina Großmann und Nicole Weydemann herausgegebenen Sammelband. Behandelt werden u.a. die Themen politische Institutionen, Militär, Menschenrechte, Rechtswesen, Religion, Wirtschaft, Soziales und Umwelt. Das Fazit kann als verhalten positiv gedeutet werden. (Duile über Findeisen/Großmann/Weydemann)
Die anderen Abhandlungen über Indonesien haben, wie gesagt, Einzelthemen zum Gegenstand. Beschäftigt sich eine Arbeit vor dem Hintergrund der deutlich spürbaren Islamisierungstendenzen unter der muslimischen Bevölkerung auf dem Archipel - auf einer rein textuellen Basis - mit der am 20. April 1998 in Jakarta ins Leben gerufenen "Gerechtigkeits- und Wohlfahrtspartei" (Conermann über Kandale), so präsentiert uns Chris Wilson das Ergebnis seiner Feldforschung in Maluku in Ost-Indonesien. Dort war es 1998/99 und erneut ab 2002 zu Spannungen und Konflikten zwischen Christen und Muslimen gekommen, die tausende Todesopfer und hunderttausende Flüchtlinge forderten. Wilson kann überzeugend nachweisen, dass Religion nicht - wie häufig behauptet - der Hauptfaktor in diesen Auseinandersetzungen gewesen ist, sondern ökonomische Ungleichheit, ethnische Spannungen und der Streit um Landrechte und Jobs. (Tamma über Wilson) Auch die Ergebnisse von Adam T. Tyson zur Beantwortung der Frage nach den Gründen der Wiederbelebung traditioneller Gewohnheitsrechte (adat) nach dem Abtritt Suhartos beruhen auf einem längeren Aufenthalt auf Sulawesi. Im Zusammenspiel verschiedener lokaler Akteure dient das adat-System, das sich auf Besitzverhältnisse, Rituale, Kleidungsvorschriften, Regeln für Feste und Heiratsbeziehungen, Austauschverhältnisse, Vererbungsregeln und Titel und Entscheidungsstrukturen in Gemeinden beziehen kann, als Möglichkeit, im Rahmen der staatlicherseits betriebenen Dezentralisierungspolitik eine eigene regionale Identität aufzubauen. (Tamma über Tyson)
Im indonesischen Kontext ist natürlich die Rolle der pesentren, also der weit verbreiteten islamischen Internate, in denen neben dem normalen Schulstoff religiöse Inhalte vermittelt werden, für die Frage nach der Verbreitung islamistischen Gedankenguts von großer Bedeutung. In einem der hier vorgestellten Werke wird argumentiert, dass versucht wird, eine Kontrolle über diesen beliebten Schultyp über eine Eingliederung in das staatliche Erziehungssystem zu erreichen. (Rahman über Pohl) Als problematischer erweist sich die Tendenz, in gewissen Regionen die Scharia zur Rechtsgrundlage zu machen. Insbesondere in der Provinz Aceh ist es wiederholt zur Anwendung drastischer Strafen bei Übertretung islamischer Gebote gekommen. Betroffen von den Regeln und Gesetzen sind vor allem natürlich Musliminnen. Christine Holike geht den Auswirkungen dieser grundlegenden Veränderungen der weiblichen Lebenswelten nach und kann zeigen, dass auf dem Rücken bzw. auf dem Körper der Frauen politische Auseinandersetzungen und Konflikte ausgetragen werden (Duile über Holike)
Es bleiben noch drei Werke, die erfreulicherweise über den indonesischen Kontext hinausgehen. Einen erhellenden Einblick in die Lage der Muslime in Malaysia, Thailand und Myanmar (und Indonesien) liefern die Beiträge in einem von Fritz Schulze und Holger Warnk herausgegebenen Band. (Schüller über Schulze/Warnk) Da Thailand, die Philippinen und Indonesien gemeinhin als Vorreiter einer fortschreitenden Demokratisierung in Südostasien angesehen werden, kommt eine Studie über den Stand dieses Prozesses in den drei Ländern sicher gerade recht. Auf der Basis politikwissenschaftlicher Modelle, die auf der Grundlage der jüngeren Transformationsforschung entwickelt worden sind, werden von dem Autor in erster Linie Defizite benannt. Zwar sei die Arbeit - trotz einer gewissen Überbetonung des liberaldemokratischen Idealtypus - theoretisch gut abgesichert, doch fehlten ihr, so der Rezensent, die Mesa- und Mikroebenen als Folien zum lebenswirklichen Abgleich der Ergebnisse. (Arenz über Porchet) Den Abschluss bildet eine lesenswerte Abhandlung über die Lage der malaiischen Muslime in Singapur. Durch verschiedene politische Maßnahmen ist ungewollt in einem sich selbst als "wachsam säkular" bezeichnenden System eine religiöse Minderheit konstruiert worden, die der offiziellen Einteilung der Bevölkerung in die ethnischen Gruppen "Inder, Chinesen, Malaien und andere" zuwiderläuft. Allerdings scheint es auch schwierig, in einer sehr ausdifferenzierten multikulturellen Gesellschaft die religiöse Sphäre gänzlich von der weltlichen zu trennen. (Rahman über Nasir/Pereira/Turner)
Ich hoffe, dass alle wie immer Freude an dem Forum haben, in dem - meinem persönlichen Eindruck nach - wieder einmal viele interessante und informative Werke besprochen werden!