Christine Holike: Islam und Geschlechterpolitiken in Indonesien. Der Einzug der Scharia in die regionale Gesetzgebung, Berlin: regiospectra 2008, 101 S., ISBN 978-3-940132-04-8, EUR 17,90
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Nicht zuletzt die politischen Veränderungen in Ägypten, Tunesien und anderen islamisch geprägten Staaten haben in letzter Zeit wieder bei Sozial- und Kulturwissenschaftler/inne/n die Frage nach der sich nun verändernden Rolle der Frau in diesen Staaten aufgeworfen. Schließlich gelangen immer wieder Berichte einerseits von Bemühungen um eine stärkere, islamisch begründete Reglementierung von Frauen zu uns, andererseits formieren sich unterschiedliche feministische Bewegungen, die die Deutungshoheit konservativ-islamischer Akteure herausfordern.
In Indonesien ist es bereits 1998/99 zu einem demokratischen Umbruch gekommen. Seitdem wird dort auch verstärkt über geschlechtsspezifische Rollenbilder gestritten. Einige Provinzen haben Teile der Scharia-Gesetzgebung übernommen, die die Rechte von Frauen auf unterschiedliche Weise beschneiden.
In dem Werk "Islam und Geschlechterpolitiken in Indonesien. Der Einzug der Scharia in die regionale Gesetzgebung" analysiert die in der Politikwissenschaft an der Universität Marburg tätige Christine Holike Frauen- und Geschlechterbilder islamisch motivierter Akteurinnen in Indonesien, wie sie sich besonders in der regionalen Gesetzgebung finden. Dazu gibt Holike im zweiten Kapitel des Buches einen kurzen, aber fundierten Überblick über islamische politische Aktivistinnen und Organisationen sowie über die Rolle des politischen Islams in Indonesien bis zum Ende der Suharto-Diktatur. Da sich das Holikes Untersuchung im Schwerpunkt mit regionalen Scharia-Gesetzten beschäftigt, steht im Zentrum des dritten Kapitels der politische Dezentralisierungsprozess in Indonesien seit 1999.
Im Kernstück der Arbeit, dem vierten Kapitel, analysiert die Autorin dann - allerdings auf wenigen Seiten - islamisch motivierte Regionalgesetze, die sich auf die Reglementierung von Weiblichkeit beziehen, besonders in der Provinz Aceh. Zu würdigen ist, dass Holike sich nicht auf die bloße textimmanente Ausdeutung der Gesetze und Verordnungen beschränkt, sondern diese in den Kontext zunehmender Gewalt gegen und Diskriminierung von Frauen einordnet und schließlich diese Phänomene allesamt als Teil von Weiblichkeitskonstruktionen in Konflikten um politische Hegemonie (fünftes Kapitel) interpretiert.
Die Autorin macht aus ihrer ablehnenden Haltung gegenüber dem Großteil der islamisch motivierten politischen Akteure kein Geheimnis. Die kritische Haltung, die das Werk durchzieht, ist eine willkommene und nötige Abwechslung zu der Vielzahl lediglich beschreibender, sich jedem normativen Urteil entziehen wollender Literatur, die es zu religiös-gesellschaftlichen Themen gibt und Ausdruck eines Unbehagens vieler Wissenschaftler/innen gegenüber politisch-kritischen Aussagen in der Wissenschaft sind. Allerdings muss angemerkt werden, dass Holike gelegentlich islamische Aktivistinnen und Organisationen in einem unangemessen negativen Licht darstellt, beispielsweise, wenn sie die HIM (Himpunan Mahasiswa Islam, Islamischer Studentenverein), als "paramilitärische Gruppierung" (Holike 2008: 65) beschreibt und gar mit der FPI (Front Pembela Islam, Front der Verteidiger des Islams), einer in der Tat oft mit Gewalt agierender Gruppierung, in eine Reihe stellt.
Auch wäre es, bei aller notwendigen Kritik an religiös motivierter Geschlechterpolitik, die Holike äußert, wünschenswert, die eigenen normativen Implikationen explizit zu machen und deren eigene Partikularität herauszustellen. Ansonsten drängt sich leicht der Verdacht auf, dass die Autorin - im Gegensatz zu den unmündigen islamischen Frauen des globalen Südens - Einblick habe in einen von jedem Diskurs, jeder Geschichte losgelösten essentialistischen Feminismus, der unhinterfragt als Maßstab, als Subtext in der wissenschaftlichen Untersuchung präsent sein darf. Ein solches feministisches Projekt würde jedoch unweigerlich paternalistische Strukturen annehmen: Wenn Gayatri Spivak ihre Kritik am kolonialen patriarchalen System äußert, indem sie ironisch bemerkt, dass im kolonialen Indien die braune Frau vom weißen Mann vor dem braunen Mann "gerettet" wurde, so könnte man ergänzen, dass ein Feminismus, der für die islamische Frau spricht, diese koloniale Struktur erweitert und reproduziert: In Zeiten eines essentialistischen Feminismus ist es die weiße Frau, die die braune Frau vor dem braunen Mann schützen möchte.
Holike verfolgt einen interessanten Ansatz, der eigentlich eine gute Grundlage bildet, jede essentialistische Konzeption von Weiblichkeit zu kritisieren. Im theoretischen Teil des Werkes, der sich nicht am Anfang, sondern erst im fünften Kapitel findet und bereits zur Schlussbetrachtung überleitet, geht die Autorin auf Ansätze der feministischen Friedens- und Nationalismusforschung ein. Der weibliche Körper fungiert dabei als Symbol, welches von verschiedenen Akteur/inn/en mit unterschiedlichem Bedeutungsgehalt aufgeladen wird. Er ist eine Metapher, an der sich Konflikte um gesellschaftliche Hegemonie spiegeln. Die von der patriarchalen Hegemonie als latent unberechenbar empfundene Weiblichkeit durchläuft in hegemonialen Zuschreibungsprozessen daher permanenten Zähmungsversuchen, bei der es auch zu "ideologischen Schulterschlüssen" (77ff.) kommt. So können islamisch argumentierende Frauen auf diskursive Muster zurückgreifen, die bereits in der Suharto-Diktatur angelegt wurden. Das staatlich propagierte Frauenbild der "Neuen Ordnung" unter Suharto sah in der idealen Frau eine in staatlichen Organisationen eingebettete, für die Reproduktion zuständige Frau, die sich aus der Sphäre des Politischen weitestgehend herauszuhalten hatte. In ihrer Schlussbetrachtung hält Holike fest, dass Frauenbilder der Suharto-Zeit einerseits weiterhin in Diskursen präsent sind, dass das alte Regime jedoch nicht mehr als legitim gilt. Daher werden auch dessen Frauenbilder neu verhandelt, ohne jedoch völlig wegzufallen. Entgegen der Tatsache, dass islamische Parteien bei Wahlen in Indonesien in ihrem Stimmenanteil deutlich hinter dem den säkularen Parteien zurückbleiben, hält Holike zutreffend fest, dass sich neokonservative islamische Vorstellungen von Weiblichkeit weiterhin auf dem Vormarsch befinden und in nationalen Diskursen zunehmend wichtige Positionen besetzen.
Christine Holike hat ein Werk vorgelegt, das besonders im ersten Teil durch die Menge an Beispielen, mit der konservativ-islamische Frauenbilder Einzug in Diskurse und Gesetzgebungen erhalten, überzeugt. Der theoretische Rahmen erscheint sehr passend, besonders für ein Land wie Indonesien, in dem es nun in einem formal demokratischen Umfeld zu Hegemonialkonflikten kommt, die nicht zuletzt am Körper der Frau ausgetragen werden. Dennoch wäre ein explizite Darstellung der eigenen normativen Positionen wünschenswert, auch um der Kritik ein Fundament zu geben. Auch wäre es vielleicht gut gewesen, wenn Christiane Holike konkreter auf einzelne Akteurinnen der indonesischen Frauenbewegung eingegangen wäre. Diese gab und gibt es durchaus und es ist schade, dass Holike ihnen in ihrer Untersuchung keinen Platz einräumt. Durch das Nichterwähnen dieser aktiven Personengruppe kann der Eindruck entstehen, Frauen seien in den Hegemonialkonflikten um ihren Körper lediglich passive Objekte.
Es bleibt festzuhalten, dass Christiane Holike ein Werk vorgelegt hat, um das niemand herumkommen wird, der sich mit Geschlechterpolitiken in Indonesien beschäftigt. Auch im Zuge aufkommender Konflikte um den weiblichen Körper in anderen islamisch geprägten Ländern stellt Holikes Untersuchung darüber hinaus eine interessante Lektüre für alle dar, die sich mit generell mit islamisch begründeten Geschlechterpolitik beschäftigen.
Timo Duile