Xabier Lamikiz: Trade and Trust in the Eighteenth-Century Atlantic World. Spanish Merchants and their Overseas Networks (= Royal Historical Society Studies in History New Series), Woodbridge / Rochester, NY: Boydell & Brewer 2013, XII + 211 S., 3 Karten, 3 Tabellen, ISBN 978-0-86193-306-8, GBP 17,99
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In jüngerer Zeit hat sich die historische Forschung vermehrt der Frage zugewandt, mit Hilfe welcher Instrumente der Fernhandel in der Frühen Neuzeit, der sich über weite Teile der bekannten Welt erstreckte, aufrecht erhalten wurde. Besondere Aufmerksamkeit gilt dabei der Kategorie des Vertrauens, denn nur mit Hilfe eines substantiellen Vertrauensvorschusses war es einem Kaufmann überhaupt möglich, seine Waren an einen Ort zu versenden, den er selbst nur nach mehrmonatiger Reise zu erreichen vermochte, um anschließend wiederum etliche Monate auf Bezahlung der Ware zu warten, ohne dass ihm engmaschige und vor allem sofort greifende Kontrollmechanismen zur Verfügung standen.
Xabier Lamikiz widmet sich in seinem Buch der Frage des Vertrauens im Kontext des spanischen Atlantikhandels, was eine willkommene Ergänzung in der historischen Forschung darstellt, wo vor allem der britische Atlantikhandel besondere Aufmerksamkeit genießt. [1] Der Autor will, wie er in der Einleitung schreibt, einen Beitrag liefern "towards filling the gap in historians' understanding of how cultural factors impinged upon economic life." (13) In dieser Absicht widmet er sich den täglichen Erfahrungen von Vertrauen und Misstrauen in Kaufmannskreisen.
Besonders hervorzuheben ist, dass Lamikiz sich zwei verschiedenen Bereichen des Atlantikhandels annimmt - einmal dem zwischen Bilbao und den europäischen Küsten sowie dem Fernhandel zwischen Cádiz und Peru. Diese Zweiteilung bringt zwar einerseits große Erkenntnisgewinne in Bezug auf die behandelten Handelswege, die involvierten Kaufleute und die regionalen Besonderheiten. Andererseits zerfällt die Studie damit in zwei Teile, die auch im dritten, systematischen Teil nicht genügend zusammengebracht werden.
Der erste Teil gilt dem Wollhandel der Bilbaoer Kaufmannschaft. Lamikiz zeigt auf, dass vor allem zwei Faktoren zur Herstellung von Vertrauen von Bedeutung waren. Aufgrund der weitgehenden Rechtsautonomie des Baskenlandes, konnten die Kaufleute in Bilbao durchsetzen, dass alle Kaufleute - unabhängig ihrer Nationalität - der lokalen Jurisdiktion unterworfen waren. Auch andere Maßnahmen wie die Regulierung von Versicherungen dienten der Stärkung von institutionellem Vertrauen. Für das zwischenmenschliche Vertrauen wichtig war das Instrument des huésped. Danach waren alle auswärtigen Kaufleute verpflichtet, bei einem Bilbaoer Einwohner Quartier zu nehmen. Durch die erzwungene Kohabitation konnten sich die Bilbaoer Kaufleute nicht nur einen Teil des Handels sichern, sondern durch das Zusammenleben wurden auch persönliche Kontakte gestärkt. Im zweiten Teil des ersten Teils widmet sich Lamikiz der Bedeutung baskischer Kapitäne und Seeleute als Mittelsmänner im europäischen Atlantikhandel, eine Gruppe, deren Bedeutung häufig wenig thematisiert wird. Der Autor arbeitet sehr überzeugend heraus, welche wichtige Rolle den Kapitänen zukam, die häufig als Agenten in den Ankunftshäfen auftraten. Durch die gemeinsame Herkunft und Sprache war bereits ein besonders Vertrauensverhältnis zwischen Kapitän und Auftraggeber gegeben, das häufig noch dadurch verstärkt wurde, dass die Kapitäne zu einem gewissen Prozentsatz an den Schiffen beteiligt war. Lamikiz betont allerdings auch, dass hier ein asymmetrisches Vertrauensverhältnis bestand: Die Kapitäne waren den Kaufleuten untergeordnet.
Der zweite Teil des Buches widmet sich dem Fernhandel mit Peru. Eingangs gibt Lamikiz einen Überblick über den spanischen Peruhandel und betont dabei vor allem die systematischen Veränderungen, die im 18. Jahrhundert eintraten, als das Flottensystem und die damit verbundenen Messen in Portobelo vom individuellen Schiffsverkehr abgelöst wurde. Mit den neu entstehenden Handelsmustern entstanden neue Risiken, die so Lamikiz' These, nur mit Hilfe neuer Mechanismen zur Herstellung von Vertrauen abgefedert werden konnten. Dazu gehörte die Ausweitung der Korrespondenz zwischen den Handelspartnern, welche im zweiten Kapitel dieses Teils behandelt werden. Interessant sind vor allem die Darstellungen zu den notas, detaillierte Bestellzetteln der peruanischen Kaufleute an ihre europäischen Partner, die Einsicht geben in die spezifischen Anforderungen und Wünsche der kolonialen Konsumenten. Im anschließenden Teil zu Kaufleuten und Netzwerken betont Lamikiz die gemeinsame regionale Herkunft der Kaufleute auf beiden Seiten des Atlantiks. Der Kolonialhandel mit Peru lag vor allem in Hand von baskischen Kaufleuten, die sowohl innerhalb Spaniens als auch des Reiches sehr mobil waren. Wie auch bei der transatlantischen Korrespondenz kann Lamikiz allerdings bestehenden Erkenntnissen nicht viel Neues zufügen. Da sich die von ihm herausgearbeitete Bedeutung von regionaler Identität, die Verwendung bestimmter Grußformeln oder die Bedeutung von Klatsch auch in anderen Fernhandelsbeziehungen beobachten lassen, wäre eine systematischere Würdigung dieser Phänomene wünschenswert gewesen.
Der letzte Teil des Buches ist übergreifenden Themen gewidmet, die generell im Fernhandel von Bedeutung waren. Da allerdings die Beispiele fast ausschließlich aus dem Bereich des Transatlantikhandels mit Peru kommen, ist der erste Teil des Buches nur ungenügend integriert. Dass die systematischen Schwierigkeiten, die den Handel nach Amerika begleiteten, ganz andere Herausforderungen an die kaufmännischen Netzwerke gestellt haben als der vergleichsweise überschaubare europäische Atlantikhandel ist eine Tatsache, die von Lamikiz nicht weiter analysiert wird. Die von Lamikiz in diesem Teil behandelten Themen wie persönliche Reputation, die Bedeutung von Familie und Freundschaft sowie rechtliche Rahmenbedingungen, Zahlungsschwierigkeiten und die Schwierigkeit, Entscheidungen mit einer großen Zeitdifferenz zu treffen, fügen sich nahtlos ein in die bereits bestehende Forschung. Erwähnt sei hier nur, dass anders als in Ländern wie Frankreich oder England, Firmen selten an den eigenen Sohn weitergereicht wurden, sondern eher an Neffen, da der Kolonialhandel als nicht sonderlich renommiert galt. Damit verbanden sich wiederum eigene Probleme bei der Herstellung von Vertrauen, da die verwandtschaftlichen Beziehungen weniger eng waren.
Lamikiz gibt mit seiner Studie wichtige Einblicke in das Funktionieren des spanischen Atlantikhandels. Da Lamikiz jedoch darauf verzichtet, einen größeren theoretischen Rahmen für seine Studie zu entwerfen, bleiben seine Aussagen zu Vertrauen als Kategorie eindimensional. Wenn er beispielsweise davon spricht, dass im Peruhandel baskische Kaufleute dominierten und diese bevorzugt mit anderen Basken handelten, die wirklich erfolgreichen Kaufleute jedoch über ein weit größer gespanntes Netz an Kontakten verfügten (131), dann wäre an dieser Stelle nicht nur die Hinzuziehungen der Studien von Mark Granovetter zu strong ties und weak ties in Netzwerken hilfreich gewesen, sondern auch systematische Überlegungen angebracht. [2] Damit hätten auch die beiden sich recht deutlich voneinander unterscheidenden untersuchten Handelskreise - europäischer und transatlantischer Handel - besser integrieren lassen können. So vermag Lamikiz zwar spannende Einblicke geben und dank neu ausgewertetem Quellenmaterial auch die ein oder andere Korrektur anbringen, die generellen Aussagen zur Bedeutung von Vertrauen im Fernhandel bleiben aber eher deskriptiv.
Anmerkungen:
[1] Siehe beispielsweise Sheryllynne Haggerty: Merely for Money? Business Culture in the British Atlantic, 1750-1815, Liverpool 2012.
[2] Mark S. Granovetter: The Strength of Weak Ties, in: American Journal of Sociology 78 (1973), 1360-1380; ders.: The Strength of Weak Ties: A Network Theory Revisited, in: Sociological Theory 1 (1983), 201-233.
Anne Sophie Overkamp