Helmut Beifuss: Matthäus von Krakau - Ein Vorreformator und die deutschsprachigen Bearbeitungen seines Eucharistietraktates. Edition und geistesgeschichtliche Einordnung (= Schriften zur Mediävistik; Bd. 21), Hamburg: Verlag Dr. Kovač 2012, 660 S., ISBN 978-3-8300-6633-0, EUR 98,80
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Wer um 1400 Rechtgläubigkeit demonstrieren und Häresie brandmarken wollte, bezog sich gern auf die Praxis der Eucharistiefeier. Ihre Häufigkeit, die Darreichungsform, die Voraussetzungen für einen bedenkenlosen Empfang waren zentrale Streitpunkte der Laienfrömmigkeit und vielfach Ursache von Gewissensnöten. Es ist daher nicht verwunderlich, dass der zu diesem Thema verfasste Dialogus rationis et conscientiae des Prager Theologieprofessors Matthäus von Krakau unmittelbar nach seiner Entstehung um 1388 vielfach in verschiedene Volkssprachen übersetzt wurde und weite Verbreitung fand. Diese weit verzweigte deutschsprachige Tradition umfassend aufzuarbeiten und durch die Edition einer Fassung verfügbar zu machen, ist das große Verdienst der 2006 abgeschlossenen Habilitationsschrift von Helmut Beifuss, die zudem eine umfassende historische, theologiegeschichtliche und sprachgeschichtliche Kontextualisierung und Analyse leistet.
Das umfangreiche Werk gliedert sich in drei Großkapitel: 1) eine historische Kontextualisierung von Leben und Werk des Autors, 2) eine Analyse der deutschsprachigen Überlieferung und 3) eine kommentierte Edition einer Übersetzungsfassung inklusive theologischer und sprachwissenschaftlicher Analyse.
Der erste Abschnitt (15-115) liefert eine ausführliche Biografie des Matthäus von Krakau, eine geistesgeschichtliche Einordnung seiner wichtigsten Traktate und umfangreiche Exkurse zu den jeweils von Matthäus durchschrittenen Lebenswelten. Dazu gehören vor allem Prag und seine Universität und der Heidelberger Hof, deren kultur- und geistesgeschichtliche Profile jeweils anhand von Kurzbiografien der wichtigsten Gelehrten diskutiert werden. Die im Einzelnen reichhaltig zusammengetragenen Informationen sind nur bedingt als Ausgangspunkt für weitere Forschungen nutzbar, da erstens dem Band ein Register fehlt und zweitens die Vernetzung mit der Forschungsliteratur nur in geringem Maße erfolgt. Nur selten wird der Forschungsstand zu den jeweils angesprochenen Themenfeldern dargestellt. Auf nach dem Abschluss der Habilitation (2006) erschienene Literatur wird ganz verzichtet. Selbst die wichtige Dissertation von Matthias Nuding [1] wurde bewusst nicht eingearbeitet, weil dies "keine neuen Erkenntnisse gezeitigt hätte" (5). Da Beifuss aber gerade in wichtigen Details der Biografie von Positionen Nudings abweicht - so zum Beispiel bei der Frage der Übersiedlung nach Heidelberg -, wäre eine explizite Auseinandersetzung durchaus sinnvoll gewesen.
Beeindruckend ist demgegenüber das im zweiten Teil (117-319) dargebotene Panorama der deutschsprachigen Übersetzungen des Eucharistietraktats. Die zahlreichen ermittelten Handschriften wurden nicht nur auf der Basis von zahlreichen, teilweise abgelegen publizierten Katalogen analysiert, sondern entweder vom Autor selbst oder von hilfsbereiten Bibliothekaren in aufwändigen Handschriftenstudien erschlossen. Das Ergebnis ist ein vielfach gegliedertes Spektrum von akkuraten Handschriftenbeschreibungen, welche die verschiedenen Übersetzungen in fünf verschiedene Handschriftengruppen ordnet, für die jeweils ein aufwändig anhand von Variantenvergleichen begründetes Stemma herausgearbeitet wird. Hinzu kommen einige Frühdrucke, die in die Handschriftengruppe V zu sortieren sind, und eine Reihe von isolierten Handschriften, welche keiner der Gruppen zugeordnet werden konnten. Hierzu gehört auch die besonders intensiv bearbeitete und für die sich im dritten Teil anschließende Edition als Vorlage verwendete Handschrift Breslau, UB, cod. I. F. 136.
Im dritten Teil erfolgt jedoch zunächst eine theologiegeschichtliche Einordnung des Traktatthemas in die Eucharistiediskussion von der Kirchenväterzeit bis ins Prag der 1380er Jahre, in denen vor allem Matthias von Janov eine häufigere Laienkommunion forderte (321-339). Eine daraufhin zusammengetretene Prager Synode wies 1388 diese Forderungen klar zurück, was offenbar den auf der Synode anwesenden Matthäus von Krakau zur Abfassung seines Dialogus veranlasste. Darin inszenieren zwei allegorische Figuren einen inneren Monolog um die Frage der Häufigkeit des Abendmahls. Das von Zweifeln eingeschüchterte 'Gewissen' wird im Lehrgespräch mit 'Vernunft' von der Nützlichkeit eines häufigen Ganges zum Abendmahl unterrichtet. Ein angedeutetes Schlussurteil des allegorisch personifizierten 'Willens' gelangte offenbar nicht mehr zur Ausführung.
Für die Edition des deutschen Textes (486-592) schied sowohl der Versuch einer Rekonstruktion eines Archetyps als auch eine Edition einer Leithandschrift mit Verzeichnung der Varianten aus, weil die Fülle der überlieferten Fassungen eine Benutzbarkeit der Edition sehr erschwert hätte. Denkbar wäre allenfalls eine auf eine Handschriftengruppe beschränkte kritische Edition gewesen. Der Editor entschied sich jedoch aus gut nachvollziehbaren Gründen für die textgenaue Wiedergabe einer isoliert überlieferten Fassung: Die Breslauer Handschrift I. F. 136 enthält eine sehr frühe, wohl um 1389 zu datierende Übersetzung, welche die lateinischen Vorlage inhaltlich sehr treffend wiedergibt und sich zudem auf einem stilistisch sehr hohen Niveau bewegt. Die Handschrift wird sehr ausführlich beschrieben (380-394). Die sprachliche, kodikologische und paläographische Analyse (394-431) geht bis in die Einzelheiten der Zeichensetzung, der Groß- und Kleinschreibung, der Ausführung einzelner Buchstaben und Verschreibungen.
Bei der Edition wurde versucht, den paläographischen Befund möglichst exakt zu reproduzieren, wobei auf sprachliche Normalisierungen und die Einführung einer Interpunktion verzichtet wurde. Streichungen wurden im Fließtext als solche dargestellt; selbst offenkundige Fehler wurden nicht emendiert, sondern lediglich kenntlich gemacht. Eine solche Darbietungsform erschwert die Benutzbarkeit, ist aber aufgrund des Mehrwertes für sprachhistorische Fragestellungen vertretbar. Nicht den modernen Ansprüchen genügt allerdings die druckgraphische Gestaltung des Editionstextes. Kritischer Apparat und Sachkommentar erscheinen nicht getrennt unter dem Text, sondern undifferenziert als Endnoten. Die in mittel- und frühneuhochdeutschen Texten darzustellenden Sonderzeichen (v.a. kleines e und o über den Vokalen und Halbvokalen) konnten im Druck nicht zufriedenstellend realisiert werden.
Neben dem deutschen Editionstext wurde synoptisch ein lateinischer Text gesetzt, welcher zum größten Teil aus der Edition von Władisław Seńko und Adam L. Szafrański [2] übernommen wurde. Da diese Edition jedoch nur zwei Handschriften berücksichtigte, wurde der Text punktuell anhand anderer Überlieferungszeugen ergänzt.
Den Abschluss des Bandes bilden knappe Ausführungen zur Rezeption des Textes (619-630), welche selbst einen Jean Gerson und Bernhard von Waging einschließt, und zur sprachlichen Analyse (605-618). Die zum größten Teil morphologischen Beobachtungen ergaben ein Bemühen des Übersetzers um einen überregionalen Anstrich mit schlesischen Dialektspuren.
Für sprachgeschichtliche Fragestellungen ist das recht kleine Textkorpus jedoch nur bedingt aussagekräftig. Die Benutzbarkeit des Bandes für allgemeinhistorische und theologiegeschichtliche Fragestellung ist vor allem wegen der fehlenden Vernetzung mit der Forschung limitiert. Nichtsdestoweniger stellt die weit ausgreifende Kontextualisierung, detaillierte Analyse und umfassende Aufarbeitung der handschriftlichen Tradition des Traktats eine beeindruckende Leistung dar.
Anmerkungen:
[1] Matthias Nuding, Matthäus von Krakau. Theologe, Politiker, Kirchenreformer in Krakau, Prag und Heidelberg zur Zeit des Großen Abendländischen Schismas (Spätmittelalter und Reformation; 38), Tübingen 2007.
[2] Władisław Seńko/Adam L. Szafrański, Mateusza z Krakowa Opuscula theologica. Dotyczace spowiedzi i komunii (Textus et studia historiam theologiae in Polonia exultae spectantia; 2,1), Warschau 1974, 354-409.
Thomas Woelki