Kateřina Čapková: Czechs, Germans, Jews? National Identity and the Jews of Bohemia, New York / Oxford: Berghahn Books 2012, XIII + 281 S., ISBN 978-085-745-474-4, GBP 75,00
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Kateřina Čapkovás detail- und materialreiche Arbeit über jüdische Identitäten in der Tschechoslowakei der Zwischenkriegszeit ist nun auf Englisch erschienen. [1] Čapková versteht dabei die Juden nicht in erster Linie als Opfer des tschechisch-deutschen Nationalitätenkonflikts, sondern konzentriert sich in ihrer Analyse auf die aktiven Akteure jüdischer Identitätspolitik. Die zentralen Kapitel zu deutschen Juden, Tschecho-Juden und Zionisten untersuchen die Verbands- und Vereinsarbeit der verschiedenen nationalen Richtungen sowie der in ihnen engagierten Personen. Dass dabei einzelne Protagonisten in mehreren Vereinen, teils auch in solchen unterschiedlicher Nationalität, eine Rolle spielen, liegt in der Natur der Sache: Die Tatsache, dass es sich um überlappende Identitätskonzepte handelt, die im Einzelfall auch gegeneinander ausgetauscht werden konnten, ist eine der Kernthesen des vorliegenden Buches. Besonders Tschecho-Juden und Zionisten bauten ihre Identitätspolitik auf denselben building blocks auf, bezogen sich auf dieselbe gemeinsame Geschichte und teilten grundsätzliche Einstellungen zum tschechischen Umfeld und zum tschechoslowakischen Staat. Die individuelle Wahl für die eine oder die andere Identität, so Čapkovás Schlussfolgerung, hing mehr vom persönlichen Umfeld als von prinzipiellen politischen Unterschieden der beiden Konzepte ab.
Die Autorin unterscheidet verschiedene Ebenen nationaler Identität: die Identitätspolitik der Betroffenen, die staatlichen Maßnahmen zur Feststellung und Fixierung von Identitäten sowie die Identifikation mit einer bestimmten Nation von Seiten der nicht-organisierten Mehrheit der Bevölkerung. Čapková entscheidet sich dafür, nur die erstgenannte Ebene zu untersuchen, wodurch die Arbeit an methodischer und terminologischer Klarheit gewinnt und den großen Vorteil besitzt, den Handlungen der Protagonisten zu folgen anstatt aus der Position der Historikerin den Subjekten der Geschichte eine bestimmte Identität zuzuschreiben. Nichtsdestotrotz werden Fragen nach individueller Identifikation und vor allem nach staatlichen Rahmenbedingungen in Einleitung und Conclusio sowie in den beiden einführenden Kapiteln zur jüdischen Gesellschaft in Prag und Böhmen sowie zur Stellung der Juden als Minderheit in der Ersten Republik thematisiert.
Weiterhin fällt positiv auf, dass diese Arbeit sich explizit auf die jüdische Gesellschaft in Böhmen bezieht, und nicht auf die gesamte Tschechoslowakei. Im Unterschied zu einer Vielzahl an Studien zu verschiedensten Themengebieten werden die Befunde, die aufgrund von Recherchen zu böhmischen Vereinen gewonnen wurden, eben nicht auf das gesamte Staatsgebiet ausgedehnt. Aufgrund der großen Unterschiede in der demografischen Situation sowie der Geschichte der jüdischen Gemeinden in Böhmen und Mähren, Mährisch-Schlesien, der Slowakei und der Karpatho-Ukraine zieht die Verfasserin die Letzteren zwar immer wieder zu Vergleichen heran, unterstreicht aber auch die Notwendigkeit eigener vergleichbarer Studien zu diesen Gebieten. Als weitere Vergleichspunkte zu einzelnen Fragestellungen dienen überdies die Nachbarländer Deutschland und Polen; durch diese Vergleiche treten die Spezifika der böhmischen Situation noch deutlicher hervor. Im Unterschied zu den jüdischen Gemeinden in Deutschland oder Österreich waren die böhmischen Gemeinden beispielsweise kaum mit jüdischen Migranten aus Osteuropa konfrontiert: Einstellungen, Lebensweisen und Traditionen eines Großteils der jüdischen Bevölkerung waren daher viel "westlicher" als in weiter westlich gelegenen Gebieten, wodurch sowohl Assimilationsbewegung als auch Zionismus eine andere Ausprägung erhielten.
Generell beeindruckt das Buch durch den großen Material- und Detailreichtum der Quellen: Herangezogen wurden neben umfangreicher Sekundärliteratur Archivdokumente, Briefe und Memoiren aus tschechischen, israelischen und österreichischen Archiven und in tschechischer, deutscher, hebräischer, jiddischer sowie englischer Sprache, ergänzt durch einzelne Texte auf Polnisch und Slowakisch.
Dass es sich bei Identitäten, insbesondere nationalen Identitäten, um Konstrukte handelt, ist mittlerweile in der historischen Forschung beinahe schon zum Allgemeinplatz geworden; Čapková zeigt in ihrer wichtigen Studie auf, wie sehr es noch notwendig ist, diese allgemeine Prämisse zum Gegenstand konkreter Analysen zu machen. Ihre Ergebnisse stellen wichtige Grundlagen für zukünftige Untersuchungen zur tschech(oslowak)ischen Geschichte dar.
Anmerkung:
[1] Tschechische Fassung: Kateřina Čapková: Češi, Němci, Židé? Národní identita Židů v Čechách, Praha 2005.
Katharina Wessely