Markian Prokopovych: In the Public Eye. The Budapest Opera House, the Audience and the Press, 1884-1918 (= Musikkulturen europäischer Metropolen im 19. und 20. Jahrhundert; Bd. 12), Wien: Böhlau 2014, 350 S., ISBN 978-3-205-77941-4, EUR 49,00
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Diese Rezension erscheint auch in der Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung.
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Markian Prokopovychs Studie stellt in der Reihe 'Musikkulturen europäischer Metropolen im 19. und 20. Jahrhundert' eine wertvolle Ergänzung dar, da der Fall Budapests sich in mancher Hinsicht sowohl von westeuropäischen Metropolen mit der dort vollzogenen Verbürgerlichung des Publikums im Laufe des 19. Jahrhunderts als auch von den zentral- und osteuropäischen Kulturen, in denen die Oper oftmals eine wichtige Funktion in der fortschreitenden Nationalisierung des Kulturlebens innehatte, unterscheidet.
Im Mittelpunkt des Buches steht die Budapester Oper als Schauplatz ungarischer Nationsdiskurse und Budapester Modernisierungsdebatten sowie die Frage danach, inwiefern die Oper und ihr Publikum Teil der europäischen Kulturlandschaft und des europäischen Musikmarktes waren. Fragen nach der Aufgabe der Oper im nationalen Kontext spielen hierbei ebenso eine Rolle wie Fragen nach der Rezeption der Moderne sowie der "Urbanisierung" des Budapester Opernpublikums und seines Verhaltens. Grundlage der Analyse bilden zeitgenössische Zeitungsartikel, die für die ungarische Musikgeschichtsschreibung bislang meist vernachlässigt wurden, jedoch gerade für den Fokus der Untersuchung wertvolles Material bieten, da sie oftmals genau auf das hier interessierende Zusammenspiel von Oper und größeren gesellschaftspolitischen Vorgängen abzielen. Aufgrund ihrer Gründungsgeschichte und institutionellen Verknüpfung mit der ungarischen Politik wurde die Budapester Oper vom Feuilleton immer wieder als Spiegel der politischen und sozialen Verhältnisse in Ungarn dargestellt. Gegründet von der liberalen aristokratischen Elite Ungarns, deren Ziel nach dem Ausgleich von 1867 die Aussöhnung mit dem Wiener Hof war, mit großzügiger finanzieller Unterstützung von Kaiser Franz Joseph erbaut und im laufenden Betriebe vom ungarischen Parlament in Budapest subventioniert, blieb die Budapester Oper trotz aller nationaler Beteuerungen lange Zeit ein elitärer Ort, an dessen Führungsstil und Repertoireauswahl sich polemische Pressedebatten entzündeten.
Die zehn ausgewählten Fallbeispiele konzentrieren sich daher auf Schlüsselereignisse mit großem Presseecho: oft Skandale hinter den Kulissen, aber auch stilistisch umstrittene Aufführungen oder Aufführungen von Werken zentraler ungarischer oder moderner Komponisten. Kontext und Vorgeschichte dieser Ereignisse werden jeweils soweit dargestellt, wie es für das Verständnis der Vorgänge notwendig ist, was die prinzipiell chronologische Ordnung der Kapitel ein wenig unterwandert, dem Lesefluss und Verständnis allerdings zugutekommt. Die Fallbeispiele selbst lassen sich als close reading der Quellentexte verstehen, das Zusammenspiel von verschiedenen Faktoren - Inhalt und musikalischer Gehalt einer bestimmten Oper, lokale und überregionale Bedeutung des Komponisten, Vorgänge in der Institution Oper und ihrer Leitung, lokalpolitische Ereignisse sowie ungarische Nationalitätsdiskurse - wird plastisch und gut nachvollziehbar geschildert. Während sich manche Kapitel auf die Budapester Rezeption moderner Komponisten konzentrieren (zum Beispiel die Kapitel über Richard Wagner, Richard Strauss oder Béla Bartók), steht in anderen die Aufnahme neuer Genres und Kompositionsstile im Vordergrund (zum Beispiel die Kapitel zum Ballett Excelsior, zu Gustav Mahlers Operetten-Inszenierungen oder zu Johann Strauß' Zigeunerbaron), wieder andere Kapitel konzentrieren sich auf die Rolle der Oper in den Budapester Identitätsdiskursen (zum Beispiel die Kapitel über die Operneröffnung, über Giuseppe Verdi, über Ferenc Erkel oder Karl Goldmark). Es gelingt dem Autor hervorragend, in den einzelnen Fallbeispielen lokalhistorische Aspekte mit musikwissenschaftlichen Überlegungen zu verknüpfen, indem sowohl auf den internationalen Kontext der zentraleuropäischen Operngeschichte eingegangen wird als auch Verbindungen zu den anderen Budapester Theaterhäusern gezogen werden, die die Oper im kulturellen Gefüge der Stadt verorten.
In the Public Eye ist eine gut lesbare Studie, die nicht nur als spannende Einführung in das Kulturleben Budapests zu verwenden ist, sondern gerade aufgrund ihres kulturwissenschaftlichen Fokus auch für Expertinnen und Experten der ungarischen Musikgeschichte neue Einsichten bieten dürfte.
Katharina Wessely