Andrew Erskine: The Hellenistic Stoa. Political Thought and Action, Second Edition, London: Bristol Classical Press 2011, XV + 233 S., ISBN 978-1-85399-747-1, GBP 25,00
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Man könnte es ganz kurz machen: Bei der "second edition" dieses erstmals 1990 erschienenen und auf eine 1988 in Oxford eingereichte Dissertation [1] zurückgehenden Buches handelt es sich in Wirklichkeit um einen unveränderten Nachdruck, der mit einem neuen Vorwort von drei Seiten sowie einer ergänzenden Bibliographie von sechs Seiten ausgestattet ist, während umgekehrt das ursprüngliche Vorwort und die Liste der Abkürzungen gestrichen wurde.
Da die Thesen des Buches nicht einmal im neuen Vorwort auch nur ansatzweise modifiziert wurden, sei für ihre Diskussion auf die früheren Rezensionen (auf die noch eingegangen wird, siehe Anm. 2) verwiesen und hier lediglich einige wenige Worte geäußert. Das erste Kapitel diskutiert die Abfassungszeit von Zenos Politeia (nach Erskine ist diese kein später von ihm bereutes Jugendwerk), das zweite untersucht das Verhältnis der frühen Stoiker zur Sklaverei und das dritte das zur politischen Teilnahme (laut Erskine weist die frühe Stoa eine demokratische Tendenz auf). Das vierte Kapitel widmet sich der Einflussnahme der Stoiker in der athenischen Politik des dritten Jahrhunderts, das fünfte ihrer Einstellung zu Besitz, das sechste und siebte ihrer Bedeutung für die spartanische Revolution von Agis IV. und Kleomenes III. sowie für die Reformen der Gracchen, das achte zuletzt der Auseinandersetzung der Stoiker mit der römischen Eroberung Griechenlands. In einem Anhang werden die überlieferten Informationen zu Panaitios von Rhodos gesammelt und ausgewertet.
Die wenigen Ergänzungen der "second edition" fallen sehr knapp aus. Das neue Vorwort (VII-IX) führt in die wichtigsten Forschungen der letzten zwanzig Jahre ein und hebt kurz ihre jeweilige Bedeutung hervor. Die zusätzliche Bibliographie (X-XV), "far from exhaustive" (X), enthält insgesamt 115 Titel der Jahre 1985 bis 2011, darunter auch die beiden Rezensionsaufsätze zur ersten Auflage.
Über die grundsätzliche Frage, ob ein solcher (fast) unveränderter Nachdruck sinnvoll und angemessen ist, wird man streiten können. Festzustellen ist allerdings, dass ein derartiges Vorgehen in diesem konkreten Fall eher wenig zufriedenstellend ist. Zunächst einmal findet sich im Vorwort folgende Festellung: "In retrospect, if I were to write this book again, I would say more about the place of cosmopolitanism in Stoic thought" (VIII). Wäre die Neuauflage nicht eine gute Gelegenheit gewesen, das Buch um ein zusätzliches Kapitel zu erweitern? Eine ökonomische wie elegante Lösung wäre es gewesen, dieses mitsamt allen anfallenden Addenda und Corrigenda dem unverändert nachgedruckten Text anzufügen.
Was man sich ebenfalls gewünscht hätte, wäre eine Zusammenstellung sämtlicher Rezensionen der Erstauflage von Erskines Werk. [2] Eine solche wäre umso nützlicher gewesen, da sich mehrere Besprechungen nicht in den üblichen althistorischen Fachorganen, sondern in philosophischen Zeitschriften finden. Auch ist zu bemerken, dass das Urteil der meisten Rezensionen positiv, jedoch mit Einschränkungen positiv ausfällt. [3] Die drei wichtigsten Kritikpunkte lauten: 1) Die politischen Umstände werden überbetont und somit philosophische Probleme verkannt. 2) Erskines deutlich positives Bild der frühen Stoiker führt zu einem vereinfachten Urteil über Platon und Aristoteles. 3) Die (gelegentlich bedenklichen) Hypothesen des Buches werden oft als sichere Annahmen ausgegeben, wo dies der Quellenbestand nicht zulässt. Die Liste der geäußerten Bedenken ließe sich noch um mehrere Einzelaspekte ergänzen, von denen zwei genannt seien: Die von Erskine als Folge der römischen Eroberungen erachteten Modifikationen der stoischen Philosophie sind bereits zuvor nachweisbar. Ein politischer Hintergrund der Politeia Zenos kann aufgrund deren utopischen Charakters nicht angenommen werden. Somit wäre eine Auseinandersetzung Erskines mit seinen Kritikern anlässlich der "second edition" durchaus angebracht gewesen.
Insgesamt lässt sich über Erskines Werk sagen, dass seine Verdienste und Erkenntnisse in jedem Fall einen erweiterten und ergänzten Nachdruck rechtfertigen würden, einen unveränderten (oder nur derart geringfügig modifizierten) jedoch nicht. So sind die vorgebrachten Gegenargumente (insbesondere der beiden Rezensionsaufsätze) zu schwerwiegend, als dass sie mit Schweigen übergangen werden könnten oder eine bloße Einreihung in die Literaturliste genügen würde. Auch ist Erskines Behandlung des Themas keineswegs so erschöpfend, dass jegliche Ergänzungen nur noch zusätzliche Details liefern könnten. Zweifellos ist es erfreulich, dass Erskines keineswegs unbedeutendes Buch somit auch der aktuellen Historikergeneration durch den Verlag zugänglich gemacht wird, doch ist Andy Crane, dem ersten Rezensenten der Neuauflage, zuzustimmen, wenn er feststellt: "ultimately the second edition appears to be something of a missed opportunity". [4] Gerade die in der ersten Auflage erbrachte Leistung zeigt, dass diese Gelegenheit durchaus mit Gewinn genutzt hätte werden können.
Anmerkungen:
[1] Die Urfassung dieser Dissertation, die deutschlandweit wohl nur in der Bayerischen Staatsbibliothek in München vorhanden ist, bietet aufgrund des hohen Grades an Übereinstimmung im Inhalt gegenüber der publizierten Fassung keinen Mehrwert. Bei den ermittelten Abweichungen ist stets die Buchfassung die reichhaltigere und/oder korrektere.
[2] Die beiden Rezensionsaufsätze: Peter Green, Philosophers, kings, and democracy or, how political was the Stoa, in: Ancient Philosophy 14 (1994), 147-156 (erneut in: Peter Green, From Ikaria to the stars, Austin 2004, 210-221) und Paul A. Vander Waerdt, Politics and philosophy in Stoicism, in: Oxford Studies in Ancient Philosophy 9 (1991), 185-211. Weiterhin wurden folgende Besprechungen ermittelt: Thomas W. Africa, in: American Historical Review 96 (1991), 1514-1515; Paul A. Cartledge, in: Classical Review 105/N.S. 41 (1991), 105-106; Thomas N. Habinek, in: American Journal of Philology 113 (1992), 460-462; Victoria Tietze Larson, in: Classical World 85 (1992), 265; Voula Tsouna MacKirahan, in: Canadian Philosophical Reviews 11 (1991), 241-243; Walter Nicgorski, in: American Political Science Review 85 (1991), 996-997; Margaret E. Reesor, in: Review of Metaphysics 44 (1990), 139-140; Jean A. Straus, in: Antiquité classique 60 (1991), 463-464; Richard Wallace, in: Greece & Rome 2.S. 38 (1991), 113 mit 115, Anm. 11; Stephen A. White, in: Journal of the History of Philosophy 30 (1992), 294-296. Nicht konsultiert werden konnten die beiden Rezensionen von Menahem Luz/Jeanne S. Constable, in: International Studies in Philosophy 26 (1994), 109-110 und Malcolm Schofield, in: Times Higher Educational Supplement (siehe dazu die Rückseite der Neuauflage, wo ein kurzes Zitat aus dieser Besprechung geboten wird).
[3] Uneingeschränkt positiv urteilen die vier Rezensenten Larson, Reesor, Straus und Wallace. Zu einem mit Einschränkungen positiven Urteil gelangen die sieben Besprechungen von Africa, Cartledge, Green, Habinek, MacKirahan, Vander Waerdt und White. Noch skeptischer fällt das Urteil von Nicgorski aus.
[4] Andy Crane, in: Bryn Mawr Classical Review März 2012, Nr. 57 (http://bmcr.brynmawr.edu/2012/2012-03-57.html). Ein ähnliches Urteil wurde übrigens auch schon über die erste Auflage in der Rezension Habineks gefällt: "Yet despite its obvious strengths one cannot help feeling that this book represents something of a missed opportunity" (461).
Raphael Brendel