Tao Zhang: Fehlgründungen von Universitäten im Spätmittelalter. Motive und Bedingungen für die Entstehung der mittelalterlichen Universität (= Schriften zur Ideen- und Wissenschaftsgeschichte; Bd. 11), Hamburg: Verlag Dr. Kovač 2013, XVI + 469 S., ISBN 978-3-8300-7437-3, EUR 118,80
Inhaltsverzeichnis dieses Buches
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Markus Drüding: Akademische Jubelfeiern. Eine geschichtskulturelle Analyse der Universitätsjubiläen in Göttingen, Leipzig, Münster und Rostock (1919-1969), Münster / Hamburg / Berlin / London: LIT 2014
Anita Krätzner: Die Universitäten der DDR und der Mauerbau 1961, Leipzig: Leipziger Universitätsverlag 2014
Hanspeter Marti / Karin Marti-Weissenbach (Hgg.): Nürnbergs Hochschule in Altdorf. Beiträge zur frühneuzeitlichen Wissenschafts- und Bildungsgeschichte, Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2014
Andrea Wienhaus: Bildungswege zu "1968". Eine Kollektivbiografie des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes, Bielefeld: transcript 2014
Rainer Möhler: Die Reichsuniversität Straßburg 1940-1944. Eine nationalsozialistische Musteruniversität zwischen Wissenschaft, Volkstumspolitik und Verbrechen, Stuttgart: W. Kohlhammer 2020
In seiner Heidelberger Dissertation geht Tao Zhang den Motiven und Problemen spätmittelalterlicher Universitätsgründungen in gesamteuropäischer Perspektive nach. Die im Titel hervorgehobenen Fehlgründungen dienen dabei zwar als Leitfaden der Darstellung, aber der Leser erfährt mindestens genauso viel, wenn nicht sogar mehr über die erfolgreiche Einrichtung von Universitäten. Die sehr knappe Einleitung (1-12) stellt grundlegende Charakteristika mittelalterlicher Universitätsgründungen vor und umreißt die Gesamtstruktur des Buches, das in drei Teilen Hohe Schulen in Italien, dem nordalpinen Reich und Spanien behandelt.
Das erste Kapitel (13-101) widmet sich der oberitalienischen Hochschullandschaft und zeigt am Beispiel Luccas auf, wie sich nach Etablierung der ex consuetudine entstandenen Universitäten wie Bologna die gezielte Einrichtung neuer studia generalia auf Grundlage eines päpstlichen oder kaiserlichen Privilegs in oberitalienischen Kommunen gestaltete. Im Falle Luccas gab die Befreiung der Stadt aus der Vorherrschaft Pisas durch Karl IV. 1369 den Anstoß für den Versuch einer Universitätsgründung. Im Zuge dieser Ereignisse verlieh der Kaiser der nun wieder selbstständigen Kommune das inzwischen für die Einrichtung einer Universität notwendige Privileg. Mit der eigenen Universität wollte sich Lucca wenigstens symbolisch auf dieselbe Ebene stellen wie die konkurrierenden toskanischen Kommunen Pisa, Florenz, Siena und Arezzo. Allerdings ließ sich Karl Befreiung und Privilegierung teuer bezahlen. Lucca verschuldete sich und war nicht in der Lage, die notwendigen Mittel für einen erfolgreichen Universitätsbetrieb aufzubringen. Außerdem fehlte es an qualifiziertem Lehrpersonal, um einen attraktiven universitären Unterricht aufzunehmen, und nicht zuletzt waren von Seiten der sich erst wieder konstituierenden kommunalen Obrigkeit keinerlei organisatorische Vorbereitungen für die Gründung getroffen worden. Diese drei Aspekte identifiziert Tao Zhang als maßgeblich für die erfolgreichen Universitätsgründungen in Perugia, Florenz und Pisa. Da in Lucca keine dieser Bedingungen erfüllt war, blieben die Bemühungen letztendlich erfolglos. Auch die päpstliche Privilegierung von 1387 gab keine weiteren Impulse, da mit ihr keine Entbindung der bepfründeten Universitätsmitglieder von ihrer Residenzpflicht verbunden war. So war Lucca lediglich eine 'Papieruniversität' beschieden, da keinerlei Lehrbetrieb existierte, der Bischof jedoch Promotionen vornehmen konnte. Überzeugend wird Prestigebewusstsein als das Hauptmotiv für die Planungen in Lucca angeführt. Anzumerken ist jedoch, dass es die Überlieferung nicht ermöglicht, die hinter diesen Plänen stehenden Gruppen in der Kommune zu identifizieren. Letztgültige Aussagen über die Motive der Universitätsgründung lassen sich daher kaum treffen.
Dasselbe gilt für die im zweiten Kapitel (103-260) behandelten Universitäten des Reiches, Polens und Ungarns. Tao Zhang sieht auch hier in erster Linie fürstliches und städtisches Prestigedenken als Gründungsmotiv. Das überzeugt, wenn die kurpfälzische Linie der Wittelsbacher mit der 1386 erfolgten Gründung Heidelbergs mit den luxemburgischen und habsburgischen Gründungen Prag (1348) und Wien (1365) gleichziehen wollte. Die städtischen Gründungen in Köln und Erfurt reagierten am Ende des 14. Jahrhunderts auf solche Entwicklungen und passten ihre langen Traditionen höherer Bildung institutionell den neuen Gegebenheiten an. In den Entstehungsprozessen der ersten Universitäten des nordalpinen Reiches und seiner östlichen Nachbarn werden die Versuche sichtbar, aus den unterschiedlichen Vorbildern aus Italien, Frankreich und Italien langsam und unter erheblichen Schwierigkeiten einen neuen Universitätstypus zu formen. Dieser entfaltete im 15. Jahrhundert seine volle Wirkung. Im Gegensatz zu anderen Gründungen wurden in Basel (1460) vor allem wirtschaftliche Motive für die Einrichtung der Universität angeführt. Die Hoffnungen auf wirtschaftlichen Aufschwung durch die Universität wurden jedoch enttäuscht, als die erhofften hohen Studentenzahlen ausblieben. Insgesamt profitierte die nordalpine Hochschullandschaft von dem verstärkten Bemühen um die wirtschaftliche Absicherung der neuen Universitäten vor allem durch die Nutzung kirchlicher Einkünfte. Dieses Vorgehen hatte jedoch aufgrund der erforderlichen Maßnahmen zum Teil eine erhebliche Verlängerung des Gründungsprozesses zur Folge. Außerdem konnten finanzielle Probleme, politische Umstände und insbesondere Kriege die Einrichtung von Universitäten verzögern (Ingolstadt 1459-1472) oder gänzlich verhindern (Pforzheim 1459-1468, Regensburg 1487). Ein überdurchschnittliches persönliches Engagement einzelner Fürsten trug sicherlich zum Erfolg ihrer Gründungen bei. Die Fokussierung Tao Zhangs auf die Motive und das Handeln der jeweiligen fürstlichen Gründer und städtischen Obrigkeiten, die in den Gründungsdokumenten betont werden, verhindert allerdings die angemessene Würdigung ihrer zunehmend aus Universitätsabsolventen bestehenden Beratergremien und Kanzleien. Diesen Kreisen ist im 15. Jahrhundert größerer Einfluss nicht nur auf die Ausgestaltung der Gründungsprozesse, sondern auch auf die Initiative zu den Universitätsgründungen selbst zuzuschreiben. Das sollte über die Betonung der Person des Fürsten in den Gründungsdokumenten nicht aus dem Blick geraten und stärker in die Überlegungen miteinbezogen werden.
Nach Etablierung Palencias 1220 gingen die meisten Universitätsgründungen auf der im dritten Kapitel (261-397) behandelten iberischen Halbinsel zunächst auf königliche Initiative zurück, päpstliche Privilegien wurde oft erst nach Aufnahme des Lehrbetriebs gewährt. Als Motive werden für das Königreich Kastilien das Interesse an Wissenschaft und die intellektuelle Absicherung der reconquista angeführt. Salamanca profitierte dabei seit 1254 maßgeblich von den Dotierungen, die Alfons X. gewährte. Die Idee zur portugiesischen Universitätsgründung in Lissabon (1288) wurde hingegen von einer Reihe interessierter Kleriker angestoßen. Seit dem Ende des 13. Jahrhunderts wurde das Königreich Aragon, in dem die ex consuetudine entstandene Universität Montpellier lag, das Zentrum weiterer Universitätsgründungen. Die städtische Initiative Léridas wurde zunächst von päpstlicher und ab 1300 von königlicher Seite unterstützt, sodass eine Universität nach italienischem Vorbild mit Schwerpunkt auf der Rechtsausbildung entstehen konnte. Nach dem Verkauf Montpelliers an die französische Krone wurden mit Perpignan (1349) und Huesca (1354) zwei neue Hochschulen gegründet, um weiterhin Studienmöglichkeiten in Aragon zu bieten. Einzigartig ist das Scheitern des Gründungsversuchs in Barcelona. Die städtische Obrigkeit lehnte 1398 den Plan Martins I. von Aragon ab, weil sie ihre weitgehende Autonomie von einer privilegierten Korporation mit geistlichem Gerichtsstand bedroht sah. Dem König gelang es zwar, 1401 eine Medizinuniversität einzurichten, aber eine alle Fakultäten umfassende Hohe Schule wurde erst im 16. Jahrhundert realisiert.
In einer kurzen Schlussbemerkung werden die Ergebnisse der drei Teile zusammengefasst. Ein umfassendes Literaturverzeichnis sowie ein Personen- und Ortsregister runden das Werk ab. Leider werden die auf umsichtiger Auswertung der überwiegend gedruckten Quellen und auf kritischer Diskussion der einschlägigen Forschungsliteratur beruhenden Erkenntnisse zu den drei europäischen Hochschulräumen kaum zueinander in Beziehung gesetzt. Tao Zhang stellt jedoch eine beeindruckende Grundlage für die weiterführende Bearbeitung vergleichender Fragestellungen bereit. Sein Verdienst besteht in der selten geleisteten Überwindung nationaler Grenzen, die universitätshistorische Forschungen in Europa immer noch nachhaltig prägen.
Maximilian Schuh