José Brunner / Doron Avraham / Marianne Zepp (Hgg.): Politische Gewalt in Deutschland. Ursprünge-Ausprägungen-Konsequenzen (= Tel Aviver Jahrbuch für deutsche Geschichte; 42), Göttingen: Wallstein 2014, 256 S., ISBN 978-3-8353-1458-0, EUR 34,00
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Im Januar 2013 hat in Tel Aviv die internationale Konferenz "Violence and Politics in Germany: Origins and Consequences of Nazism" stattgefunden. Geschichts- und Sozialwissenschaftlerinnen und -wissenschaftler aus Israel, den USA, England, der Schweiz und Deutschland informierten über politische Gewaltanwendung und -diskurse und diskutierten darüber. [1] Die vorgestellten Fallstudien bilden die Grundlage des vorliegenden Bandes. Drei der meist englischsprachigen Vorträge sind nachträglich auf Deutsch übersetzt worden, so der Auftaktvortrag von Doron Avraham über Ethos von Militarismus und Gewalt. Das im Anschluss gehaltene Referat von Ishay Landa "Take Care Not to Spit against the Wind!" über die "Abwehrhaltung gegenüber sozialistischen Ideen" (8) von deutschen intellektuellen Eliten - wesentlich vertreten durch Ernst Niekisch - ist im englischsprachigen Original in den Band aufgenommen worden.
Nach diesen dem "II. Reich" zugeordneten Themen wird die politische Gewalt in der Weimarer Zeit - nach einem Überblick von Shulamit Volkov "On the Primacy of Political Violence" - von Joana Seiffert in einer Fallstudie über den Ruhrkampf bzw. die Rote Ruhrarmee in der nationalsozialistischen Erinnerungskultur untersucht. Dieser interessante Beitrag ist als eine sinnvolle Ergänzung zu den publizierten Konferenzbeiträgen in den Band aufgenommen worden. Infolge des "Kapp-Putsches" 1920 entwickelte sich im Ruhrgebiet der Ruhrkampf genannte bewaffnete Aufstand. Daran erinnerten auf Initiative lokaler Arbeiterorganisationen zahlreiche oft kommunistisch deutbare Gedenksteine und -tafeln. Ab 1933 versuchten die Nationalsozialisten die kommunistischen Gedenktraditionen zu verdrängen und begründeten eine "neuartige Ruhrkampferinnerung, mit der zunächst antikommunistische, später vor allem antisemitische Ressentiments geschürt und gleichsam positive Identifikationsangebote an die Ruhrarbeiterschaft generiert wurden." (48) Mit der seit 1936 gezeigten antikommunistischen Wanderausstellung "Der Bolschewismus - Große antibolschewistische Schau" endete die kurze Tradition der nationalsozialistischen Ruhrkampf-Erinnerung. Nun wurde das alte Feindbild des Kommunismus durch das antisemitische Feindbild des "Juden'" ersetzt, "der eindeutig außerhalb der propagierten Volksgemeinschaft zu verorten war." (52)
In drei weiteren Abhandlungen wird die politische Gewalt in der NS-Zeit angesprochen: Jost Dülffer untersucht die nationalsozialistische Außenpolitik auf dem Weg in den Zweiten Weltkrieg - "eine Politik, die Frieden predigte, um sich besser für den Krieg vorzubereiten, ohne dabei allzu viel Aufmerksamkeit der anderen Mächte zu erregen." (95) Am Beispiel des "Anschlusses" von Österreich, dem "zentralen Fall Tschechoslowakei" (95) und dem Überfall auf Polen verdeutlicht Dülffer die erfolgreiche nationalsozialistische Außenpolitik, "die Verletzung von Menschenrechten für nackte militärische Macht- und Expansionspolitik zu gebrauchen." (109) Ergänzend spürt Thomas Pegelow Kaplan nach den Zusammenhängen zwischen sprachlicher und physischer Gewalt am Beispiel des Agierens des Deutschen Sprachvereins und dessen Kontinuität nach 1945 als Gesellschaft für Deutsche Sprache nach. Sven Reichardt schließlich beteiligt sich an der Debatte über den gesellschaftlichen Konsens im faschistischen Italien und der deutschen "Volksgemeinschaft". Er kommt zu dem Schluss, dass sich die faschistischen Gesellschaften "letztlich als mobilisierende Repressionsagenturen, die Konsens und Gewalt als zwei Seiten derselben Medaille verstanden." (157)
Die neueste Zeitgeschichte kommt in fünf Arbeiten zur politischen Gewalt in der BRD und DDR am ausführlichsten zur Sprache. Zuerst beschäftigt sich Tobias Ebbrecht-Hartmann in dem zusätzlich in den Band aufgenommenen Beitrag "Kampfplatz Kino" mit Filmen als Gegenstand politischer Gewalt in der Bundesrepublik. Im Zentrum steht zunächst der Streit um den heute unbekannten antikommunistischen Dokumentarfilm "Kreuzweg der Freiheit" (1951). Es geht weiter mit dem "Fall Veit Harlan" und dem anhaltenden Boykott des Films "Unsterbliche Geliebte" (BRD 1951) des Regisseurs des antisemitischen Hetzfilms "Jud Süß". Das dritte ausführlicher angesprochene Beispiel ist der Film "Unternehmen Entebbe" über die "Befreiung von rund hundert Geiseln durch eine israelische Militäreinheit, die von einem deutsch-palästinensischen Kommando nach Entebbe entführt worden waren." (175) In der gewalttätigen Abwehr gegen die Vorführung dieser Filme - so der Autor - zeigten sich Deutungsstreitigkeiten über den Umgang mit der NS-Vergangenheit.
In zwei Studien wird die "Rote Armee Fraktion" thematisiert: Sarah Colvins Untersuchung über den 1968 in der Zeitschrift "Konkret" erschienen Essay "Gewalt" aus der Vorgeschichte der "RAF" wird ergänzt durch die gleichfalls zusätzlich zu den Konferenzbeiträgen in den Band aufgenommene Skizze von Vojin Saša Vukadinović über die "Ablösung einer marxistisch inspirierten, sozialrevolutionären Rechtfertigung von Gewalt durch eine mystifizierende Rhetorik, in der Gewalt einer alles umfassenden Macht entgegengesetzt wird." (12). So die erklärenden Worte der Herausgeber zum Inhalt der Studie mit dem Untertitel "Angewandter Zionismus, internationaler Proletarismus und NS-Apologetik der Roten Armee Fraktion".
Die letzten beiden Texte sind der Wende "vom geteilten zum wiedervereinten Deutschland" (12) gewidmet. Andrew I. Port konstatiert, dass bei Darstellungen des Mauerfalls oft die Brutalität der DDR-Sicherheitsdienste insbesondere zu Beginn der Proteste übersehen worden ist. Abschließend setzt sich Franziska Meyer mit der Darstellung von Gewalt in zwei literarischen Texten der Gegenwartsliteratur auseinander.
Was bringt der Band Neues? Nicht viel. Etablierte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sowie Nachwuchskräfte haben sich mit allgemeinen und besonderen Fragestellungen zur Geschichte der politischen Gewalt in Deutschland in den vergangenen 200 Jahren beschäftigt. Es werden teilweise interessante und wichtige Aspekte des großen Themas "Politische Gewalt in Deutschland" angesprochen, von denen die Studien von Joana Seiffert, Jost Dülffer und Tobias Ebbrecht-Hartmann hervorzuheben sind.
Anmerkung:
[1] Vgl. den Konferenzbericht von Marianne Zepp: Violence and Politics in Germany: Origins and Consequences of Nazism. Bar Ilan Universität; Minerva Institute für deutsche Geschichte, Universität Tel Aviv; Israelbüro der Heinrich Böll Stiftung in Tel Aviv, 13.01.2013-14.01.2013. URL: http://www.h-net.org/reviews/showpdf.php?id=38886 (12.11.2014)
Kurt Schilde