Stefan Göbel: Die Ölpreiskrisen der 1970er Jahre. Auswirkungen auf die Wirtschaft von Industriestaaten am Beispiel der Bundesrepublik Deutschland, der Vereinigten Staaten, Japans, Großbritanniens und Frankreichs, Berlin: Logos Verlag 2013, XXIV + 645 S., ISBN 978-3-8325-3493-6, EUR 53,00
Inhaltsverzeichnis dieses Buches
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Johannes Bähr: Werner von Siemens 1816-1892. Eine Biografie, München: C.H.Beck 2016
Manfred Rasch: Kohlechemie im Revier. Zur Geschichte der Ruhrchemie AG 1927-1966, Münster: Aschendorff 2018
Moritz Föllmer / Pamela E. Swett (eds.): Reshaping Capitalism in Weimar and Nazi Germany, Washington DC: German Historical Institute Washington DC 2022
Die Ölpreiskrisen der 1970er Jahre gehören für weite Teile westlicher Industriegesellschaften zu den markantesten Ereignissen der jüngeren Zeitgeschichte; umso erfreulicher ist es, dass dieses Thema in vergleichender Perspektive in einer jüngst erschienenen Dissertation behandelt wurde. Eine wirtschaftshistorische Studie zu den Auswirkungen der beiden Ölpreiskrisen stellte bisher ein Forschungsdesiderat dar.
Das Buch ist in sieben Kapitel aufgeteilt und stellt nach einer kurzen Einleitung, einer Vorgeschichte und einem Überblick über den Verlauf der Ölpreiskrisen die wirtschaftlichen Auswirkungen auf fünf Länder - Bundesrepublik Deutschland, USA, Japan, Großbritannien und Frankreich - dar. In den länderspezifischen Kapiteln bedient sich der Autor eines einheitlichen Schemas, das die Energiewirtschaft, die Außenwirtschaft, Konjunktur und Inflation, den Arbeitsmarkt, die institutionelle Wirtschaftspolitik sowie den Strukturwandel in den Blick nimmt. Dieses Raster dient ebenso als Gliederung für das vergleichende fünfte Kapitel, bevor Lehren für Gegenwart und Zukunft sowie ein abschließendes Fazit gezogen werden.
Bereits im einleitenden Kapitel werden die grundsätzlichen Probleme der Arbeit deutlich. Stefan Göbel verzichtet sowohl darauf den Forschungskontext zu beleuchten als auch methodisch-theoretische Überlegungen anzustellen. Stattdessen werden die Ölpreiskrisen der 1970er Jahre in den zivilisationshistorischen Kontext von der Nutzbarmachung des Feuers bis zur Energienutzung am Ende des 20. Jahrhunderts eingeordnet. Anschließend zeichnet der Autor den Verlauf der beiden Ölpreiskrisen in den 1970er Jahren nach. Der Yom-Kippur-Krieg 1973 brachte "das Pulverfass endgültig zur Explosion" (25). Folgenreicher als die Ölverknappung war die Erhöhung des Ölpreises, in dessen Folge die Importländer kurzfristig enorme zusätzliche Aufwendungen aufbringen mussten, während die OPEC-Staaten gewaltige Zahlungsbilanzüberschüsse erwirtschaften konnten. Dabei kommt Göbel zu dem Schluss, dass die OPEC infolge der ersten Ölpreiskrise zu einem "bestimmenden Player der Weltwirtschaft" (32) aufgestiegen sei. Göbels Beschreibung bleibt hier recht oberflächlich und beschränkt sich auf die Übernahme politik- und wirtschaftswissenschaftlicher Forschungspositionen. Dies gilt ebenso für die zweite Ölpreiskrise, in deren Folge die Weltwirtschaft die bis dahin größte globale Depression nach dem Zweiten Weltkrieg erlebte: "Die Wirren der späten 1970er Jahre und die daraus resultierenden Emotionen verschärften die Panik nur noch weiter." (42)
In seinem zentralen Kapitel stellt Göbel die wirtschaftlichen Folgen der beiden Ölpreiskrisen ausführlich dar. Hierbei wird stets die vorangegangene Boomphase als Vergleichsperspektive miteinbezogen, und es wird der Zäsurcharakter der 1970er Jahre hervorgehoben. In der Bundesrepublik wurde die Energieeinsparung in mehreren Energieprogrammen akzentuiert und der Ölanteil am Energieträgermix deutlich reduziert, wohingegen Erdgas und Kernenergie an Bedeutung gewannen. Gleichwohl blieb die Bundesrepublik auf den Import von Rohstoffen angewiesen. Dabei erschwerten der Aufwertungsdruck gegenüber der DM und die lahmende Konjunktur der westdeutschen Handelspartner die Fortsetzung eines erfolgreichen Exports; umgekehrt konnte ein Teil der Ölpreiserhöhungen durch die Aufwertung der DM kompensiert werden. Göbel zeichnet hier minutiös die Folgen der beiden Ölschocks für den Arbeitsmarkt, die Finanz-, Geld- und Wirtschaftspolitik der fünf Länder nach, kommt dabei aber kaum zu neuen Erkenntnissen und ist zudem redundant in der Darstellung. Dass die traditionellen deutschen Wirtschaftsbranchen wie Werften, Bergbau sowie Textil- und Stahlindustrie besonders hart von der ersten Ölpreiskrise getroffen wurden, erfährt man nahezu wortgleich bei seiner Beschreibung des Arbeitsmarktes (102) wie auch im Unterkapitel zum Strukturwandel (121). Dabei basieren seine Ergebnisse ausschließlich auf der bekannten (zeitgenössischen) Forschungsliteratur, ohne den interpretativen Charakter politik- und wirtschaftswissenschaftlicher Literatur aus seinem Untersuchungszeitraum zu reflektieren. Noch schwerer wiegt allerdings die mangelnde Einordnung seiner Darstellung in die aktuelle zeithistorische Forschungsdebatte. Weder die These eines radikalen Strukturbruchs und der Entwicklung eines neuen Produktionsregimes noch andere Interpretationsvorschläge werden zur Kenntnis genommen. [1]
Für die USA hebt Göbel den ersten Ölpreisschock als radikalen Wendepunkt der Energiepolitik, die wachsenden Zahlungs- und Handelsbilanzdefizite sowie die Durchsetzung einer monetaristischen Politik und die Expansion des Dienstleistungssektors hervor. Mit dem Regierungsantritt Ronald Reagans 1981 gewannen Deregulierung, Stärkung des Marktprinzips und die Verminderung des Staatsanteils an Bedeutung. Japan wurde aufgrund seiner Energieimportabhängigkeit besonders schwer von der ersten Ölpreiskrise getroffen und versuchte dieser Abhängigkeit über die Substituierung und Diversifizierung von Energieträgern und Bezugsregionen zu begegnen. Während im Fall von Großbritannien die Entdeckung großvolumiger heimischer Öl- und Gasvorkommen in der Nordsee und das Lavieren britischer Regierungen zwischen ökonomischer Notwendigkeit und wahltaktischen Erwägungen betont werden, stellt Göbel für Frankreich den Ausbau der Nuklearenergie und die enge Verbindung zu den arabischen und nordafrikanischen Förderländern heraus.
In seinem vergleichenden Analysekapitel werden die bisherigen Ergebnisse nochmals länderübergreifend nach Themenfeldern zusammengeführt. Hierbei unterstreicht Göbel trotz nationaler Divergenzen vor allem die übergreifenden Entwicklungstrends: Die Wachstumsgeschwindigkeit des Energieverbrauchs schwächte sich ab, Energieverbrauch und Wirtschaftsleistung wurden voneinander entkoppelt, die Energieimportabhängigkeit wurde vermindert, die Arbeitslosigkeit stieg an, Inflationsbekämpfung und Geldmengensteuerung gewannen an wirtschaftspolitischer Bedeutung und die staatliche Gesamtverschuldung stieg an.
Insgesamt bietet Göbels Darstellung eine breite Übersicht zu den energiewirtschaftlichen und wirtschaftspolitischen Konsequenzen der beiden Ölpreiskrisen; gleichwohl erfährt der Leser hier nur wenig Neues. Die wirtschaftshistorische Forschungslücke zu den Auswirkungen der beiden Ölpreiskrisen wird durch die vorliegende Studie nur ansatzweise geschlossen. Aus geschichtswissenschaftlicher Perspektive bietet das Buch aufgrund der weitgehenden Reduzierung auf politik- und wirtschaftswissenschaftliche Literatur und der mangelnden Einordnung in den aktuellen Forschungskontext nur begrenzt Erkenntnisgewinne. Zur ökonomischen Umbruchphase der 1970er Jahre lässt sich somit noch Einiges schreiben.
Anmerkung:
[1] Anselm Doering-Manteuffel / Lutz Raphael: Nach dem Boom. Perspektiven auf die Zeitgeschichte seit 1970, Göttingen 2012; Rüdiger Graf: Öl und Souveränität. Petroknowledge und Energiepolitik in den USA und Westeuropa in den 1970er Jahren, München 2014; Konrad H. Jarausch (Hg.): Das Ende der Zuversicht? Die siebziger Jahre als Geschichte, Göttingen 2008; Niall Ferguson et al. (eds.): The Shock of the Global. The 1970s in Perspective, Cambridge 2010.
Christian Marx