Rezension über:

Jan Stark: Malaysia and the Developing World. The Asian Tiger on the Cinnamon Road (= Routledge Malaysian Studies Series; 13), London / New York: Routledge 2013, XII + 174 S., ISBN 978-0-415-69914-3, USD 145,00
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Rezension von:
Stephan Conermann
Bonn
Redaktionelle Betreuung:
Tilmann Kulke
Empfohlene Zitierweise:
Stephan Conermann: Rezension von: Jan Stark: Malaysia and the Developing World. The Asian Tiger on the Cinnamon Road, London / New York: Routledge 2013, in: sehepunkte 15 (2015), Nr. 1 [15.01.2015], URL: https://www.sehepunkte.de
/2015/01/26707.html


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Forum:
Diese Rezension ist Teil des Forums "Islamische Welten" in Ausgabe 15 (2015), Nr. 1

Jan Stark: Malaysia and the Developing World

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Die hier vorgelegte Arbeit widmet sich einem höchst wichtigen Gegenstand, nämlich den sogenannten "Süd-Süd-Beziehungen" im Zeitalter der Globalisierung. Mit diesem unscharfen Begriff "Süd-Süd-Beziehungen" sollen in erster Linie Interdependenzen unter Ländern erfasst und analysiert werden, die in der Regel nicht zu den G-21-Staaten gehören. Die Dynamiken und Austauschprozesse von Nationen, die in der weltweiten Aufmerksamkeit nicht im Zentrum stehen, haben seit der Milleniumswende stetig zugenommen. Man sucht nach eigenen Wegen, jenseits der üblichen Strukturen, die Organisationen wie die Weltbank, die Vereinten Nationen oder IWF und WTO vorgeben.

Die Untersuchung geht grundsätzlich von Malaysia aus, einem Land, in dem der Verfasser lange Zeit als Dozent für International Relations gearbeitet hat. Jan Stark verfolgt in seiner Studie eine ausgewählte Zahl der mannigfaltigen Netzwerke, die dieses überaus selbstbewusste und in zunehmendem Maße regional, aber eben auch überregional einflussreiche Land in den letzten Jahrzehnten bewusst aufgebaut hat. Als theoretischer Anknüpfungspunkt dient ihm neben der Netzwerkanalyse vor allem das Konzept der Transnationalität, wobei wir vielleicht besser von Translokalität sprechen sollten. Globalgeschichte ist in letzter Zeit mehr und mehr verstanden worden als die Geschichte der gegenseitigen Verknüpfungen ('interconnectedness') und Verflechtungen ('entanglement') von Akteuren auf der Mikro-, Meso- und Makroebene. Wenn wir dabei den Anspruch auf das Globale wirklich ernst nehmen, müsse man, so Vertreter der Translokalitätstheorie wie Achim von Oppen und Ulrike Freitag, die Rolle der Akteure, Orte und Prozesse insbesondere in denjenigen Regionen beobachten und analysieren, die normalerweise nicht als Teil einer Geschichte, sondern von Regionalwissenschaftlern gemeinhin als jeweils eigene "Geschichten" diskutiert werden. Dabei geht es um Verbindungen nicht nur innerhalb der lokalen Räume, sondern auch zwischen diesen.[1] Zur Netzwerk- und Translokalitätsanalyse kommen in der Arbeit schließlich noch Überlegungen zum Phänomen des Autoritarismus hinzu, so wie sie etwa von Oliver Schlumberger ["Autoritarismus in der arabischen Welt. Ursachen, Trends und internationale Demokratieförderung" (Baden-Baden 2008); (Hg.): "Debating Arab Authoritarianism. Dynamics and Durability in Nondemocratic Regimes" (Stanford 2007)] für den arabischen Raum und allgemeiner in dem von Lars Rensmann, Steffen Hagemann und Hajo Funke publizierten Sammelband "Autoritarismus und Demokratie. Politische Theorie und Kultur in der globalen Moderne" (Schwalbach 2011) vertreten werden.

Auf dieser Grundlage, die in dem ersten Kapitel der Arbeit (nach der Einleitung) diskutiert und herausgearbeitet werden, zeigt Stark in den folgenden sieben Abschnitten anhand sehr unterschiedlicher Beispiele, wie Malaysia, das das europäische Entwicklungsparadigma - wie zahlreiche andere asiatische, nahöstliche und afrikanische Staaten - längst hinter sich gelassen hat, seine Netze global auswerfen konnte und welche Rolle es in den jeweiligen Verflechtungen zu spielen vermag.

Nachdem Stark zunächst die historischen Verbindungen über den Indischen Ozean, d.h. vor allem die Netzwerke von Sufis, Händlern und Seefahrern in vorkolonialer, kolonialer und post-kolonialer Zeit zwischen Afrika und Südostasien betrachtet hat ("Sufis, traders, seafarers: re-considering nineteenth century networks between Nusantara, East Africa and the Arab Peninsula"¸ 31-49), richtet er sein Augenmerk asiatischen anti-westlichen gegen- hegemonialen Vorstellungen, die eng verbunden sind mit der dynamischen Entwicklung der Wirtschafts- und Außenpolitik der Association of Southeast Asian Nations (ASEAN) und der Staaten in Asia Pacific. Es geht um neue Formen eines asiatischen Regionalismus und um Lösungsansätze, die die spezifischen regionalen Interessen berücksichtigen und westliche Dominanz und Kontrolle zu umgehen versuchen. Asiatische Gegenvisionen von Entwicklung und Demokratie haben in den letzten Jahren an Deutungsmacht gewonnen. Im Vordergrund steht die Entwicklung von identitätsstiftenden "alternative modernities" gegenüber einer "world without meaning" (Zaki Laidi). Raum und Kultur werden hier wieder in einen (neuen) Sinnzusammenhang gebracht. Dass diese Bewegungen nicht nur in Asien, sondern auch im arabischsprachigen Raum überaus einflussreich geworden sind, kann Stark sehr schön in einem weiteren Kapitel zeigen, das die jüngsten Entwicklungen im Nahen Osten in den Mittelpunkt der Analyse stellt. ("Towards the middle path? The tectonic shifts in the Islamic world", 50-65). An diese eher strukturell vergleichenden Betrachtungen über die Strömungen in Südostasien und in der arabischen Welt schließt sich ein ganz konkretes Beispiel der Wandlungen in den intellektuellen Beziehungen zwischen beiden Regionen an. ("The Asian Tiger at the Nile: knowledge transfer, modernization, and bilateral linkages between Southeast Asia and the Middle East", 66-80). Hatte sich als gängiges Narrativ bisher durchgesetzt, dass mit der historischen Ausbreitung des Islam von Westen in den östlichen synkretistischen Raum auch die Impulse zur Erneuerung des Islams stets in die gleiche Richtung gingen, so ist diese Idee einer Vormachtstellung der Azhar-Gelehrsamkeit seit einigen Jahren schon nicht mehr haltbar. Die Reformdiskurse, die neben theologischen Inhalten auch so wichtige ökonomische Dinge wie Islamic Banking und das halal-food-trading-business betreffen, kommen nun aus Südostasien und tragen dazu bei, dass sich muslimisch geprägte Vorstellung einer asiatisch-islamischen Moderne verbreiten und durchzusetzen beginnen.

Es folgt ein aufschlussreicher Abschnitt über die mentalen und realen Verflechtungen zwischen Malaysia und Guyana. ("Race, patronage and the hybrid authoritarian state: Malaysia and Guyana revisited", 81-96) Geteilte Erfahrungen stellen etwa die Rassenunruhen der Jahre 1962 bzw. 1969 dar, doch finden sich auch gemeinsame Diskurse über Arbeit, Religion und Ethnizität. Vor diesem Hintergrund skizziert Stark sehr anschaulich die engen bilateralen Beziehungen zwischen dem südostasiatischen und dem afrikanischen Staat.

In dem 7. Kapitel konzentriert sich der Text dann auf den Versuch, nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion ein Netzwerk zwischen Malaysia, ASEAN und den neuen zentralasiatischen Ländern (hier dienen als Beispiel: Kasachstan und Usbekistan) zu spannen. ("The failure to create a networked Islamic space: Malaysia and Central Asia in the 1990s", 97-114) Die Visionen reichten - je nach Perspektive - von einer transnationalen islamischen Community über ein türkisches Imperiums bis hin zu einer asiatischen Wertegemeinschaft. Letztlich setzte sich aber keine der Vorstellungen durch. Die Visionen scheiterten hauptsächlich daran, dass die zentralasiatischen Ökonomien weitgehend zusammenbrachen und sich im Laufe der Zeit ein innovationsfeindliches nepotistisches Clansystem herausbildete, an dessen Spitze Angehörige der ehemaligen kommunistischen Elite miteinander um die Macht kämpften. Obgleich sich somit die Träume einer über gemeinsame asiatische oder islamische Werte definierten Gesamtgemeinde nicht realisieren ließen, ist es seit dem Beginn des 21. Jahrhunderts dennoch zu einer Intensivierung der politischen und wirtschaftlichen Zusammenarbeit zwischen Mittelasien, dem Vorderen Orient und Südostasien gekommen. Am Beispiel von Kasachstan kann Stark diese Verflechtungen sehr schön aufzeigen. ("The Snow Leopard's Vision 2030: Central Asia, ASEAN and regional cooperation", 115-129)

In seinen abschließenden Überlegungen ("Instead of a conclusion: Khilafah, transnational Islamic networks and the Caliphate state in Southeast Asia", 130-139) reflektiert Stark noch einmal über den gegenwärtigen Zustand der Globalität aus nicht-europäischen Sicht. China, Zentralasien, ASEAN und Länder wie Brasilien, Indien und Iran forderten die westlichen Bemühungen, weiterhin kulturelle und ökonomische Dominanz global auszuüben, nicht nur heraus, sondern sie entwickelten auch Gegendiskurse in Bezug auf Herrschaftsausübung, Regierungsformen und gesellschaftliche Ordnung. Malaysia und die Association of Southeast Asian Nations träten in diesem neuen globalen Spiel als wichtige neue Stimmen für einen "südlichen" Regionalismus hervor. In Zukunft würde der Vernetzung der sogenannten "Nusantara- Region", d.h. die islamisch geprägten Teile Südostasiens, mit den Nachbarn in Zentralasien und Afrika eine zunehmend größere Rolle zukommen. Die Arbeit endet mit einer Reflexion über transnationale Netzwerke: "Networks in the broader meaning of regional inter-linkages, people-to-people-flows, travelling networks and spatial-alter-globalisms often work against the nation-state as we know. These networked counter-phenomena might oppose the state, they offer new meanings, they challenge and alter it. (...) this translates into four plots on (Islamic) terrorism, on alternative trade networks that are also Islamic in nature, on security concerns of the beleaguered state and on emerging regional counter discourses that might have networking capabilities as well." (129)

Jan Stark hat insgesamt einen überaus anregenden Text vorgelegt, der sich allerdings nur schwer zusammenfassen lässt. Er ist voll von überraschenden, tiefsinnigen und anregenden Überlegungen, Analysen und Synthesen. Diese intellektuelle Frische macht den eigentlichen Reiz der Arbeit aus. Wer allerdings einen stringenten Text erwartet, in dem die Fragestellungen präzise formuliert und am Ende auf der Basis einer klaren Argumentation nachvollziehbare Antworten gegeben werden, wird enttäuscht. Der Verfasser bevorzugt einen - in den anglo-amerikanischen Geisteswissenschaften durchaus üblichen - essayistischen Stil, der eine Reihe von Brüchen und Sprüngen zulässt, ohne dabei jedoch an Prägnanz zu verlieren.


Anmerkung:

[1] Siehe Ulrike Freitag / Achim vom Oppen (eds.): Translocality. The Study of Globalising Processes from a Southern Perspective. Leiden / Boston 2010.

Stephan Conermann