Berna Pekesen: Zwischen Sympathie und Eigennutz. NS-Propaganda und die türkische Presse im Zweiten Weltkrieg (= Studien zur Zeitgeschichte des Nahen Ostens und Nordafrikas; Bd. 18), 2014, 242 S., ISBN 978-3-643-12468-5, EUR 29,90
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Die enge Zusammenarbeit zwischen dem Deutschen Reich und der Hohen Pforte während des Ersten Weltkrieges ist sehr gut bekannt. Doch wie war es um die deutsch-türkischen Beziehungen während des Zweiten Weltkrieges bestellt? Grundsätzlich sind hier zwei Phasen zu unterscheiden: Zunächst die Zeit von der Unterzeichnung der britisch-türkischen Beistandserklärung im Mai 1939 bis zum Abschluss des in Ankara von dem deutschen Botschafter Franz von Papen (1879-1969) und dem türkischen Minister für Auswärtige Angelegenheiten Şükrü Saracoǧlu (1887-1953) am 18. Juni 1941 unterzeichneten deutsch-türkischen Freundschaftspaktes. Hintergrund waren neben den deutschen militärischen Erfolgen im Westen und Norden vor allem der - für die Türkei sehr problematische und als bedrohlich empfundene - Beitritt Bulgariens zum Dreimächtepakt (Deutsches Reich - Italien - Japan) am 1. März 1941 und die anschließende Eroberung von Jugoslawien und Griechenland. Die zweite Phase dauerte bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges. Vor diesem politischen Hintergrund analysiert Berna Pekesen die Methoden und Inhalte der NS-Propaganda in der Türkei von 1939 bis 1945, wobei sie zwar die Presse als Beispiel nimmt, doch darüber hinaus auch zahlreiche hochinteressante Archive auswerten konnte. Allerdings brechen diese Quellen Mitte 1943 abrupt ab, so dass genaue Aussagen über die Propagandatätigkeit der Deutschen Botschaft und ihrer Multiplikatoren in der Türkei für diese Zeit kaum möglich sind. Hilfreich für das Verständnis des weiteren Textes ist die Definition des Begriffes "Propaganda" durch die Verfasserin. Sie versteht darunter "eine besondere Form der politischen Beeinflussung und der systematisch geplanten und angewandten Massenkommunikation. Ihr besonderes Merkmal und Ziel war es, nicht bloß zu informieren oder gar zu argumentieren, sondern vor allem zu überreden und zu manipulieren. Sie bediente sich dabei einer ideologisch aufgeladenen Sprache, welche die Informationen entweder falsch vermittelte oder ganz unterschlug und damit die Wirklichkeit verzerrte." (5)
Auf einen kurzen Überblick über die Entwicklung der türkischen Presse folgt eine historische Kontextualisierung. Pekesen geht auf die wichtigsten Phasen und Ereignisse in den deutsch-türkischen Beziehungen seit dem Ersten Weltkrieg ein und schildert dann sehr anschaulich die Konflikte zwischen der - dem Auswärtigen Amt zugeordneten - Deutschen Botschaft und den verschiedenen NS-Parteiorganisationen in Istanbul. "Aus den langwierigen Kompetenzkämpfen mit dem Goebbels'schen Propagandaministerium über die Auslandspropaganda ging", so fasst sie zusammen, "am Vorabend des Krieges das Auswärtige Amt als Sieger hervor. (...) Bis zum Abbruch der diplomatischen Beziehungen im August 1944 erhielt die Deutsche Botschaft Instruktionen und Anregungen über die Gestaltung der Pressearbeit in der Türkei in erster Linie von der Presse- und Informationsabteilung des Auswärtigen Amtes." (83-84) Die Hauptakteure waren neben dem bereits erwähnten Franz von Papen der Botschaftsrat Hans Kroll (1898-1967) und der Presseattaché Franz. F. Schmidt-Dumont (1882-1952). In erster Linie versuchte man es mit Kulturpropaganda: Förderung des Studiums türkischer Studenten in Deutschland und Verbreitung nationalsozialistischer Ideale über die Medien Film, Musik und Literatur. Berna Pekesen beschreibt die große Palette von etwaig "positiv" besetzten Propagandathemen: die einstige Waffenbrüderschaft, Ähnlichkeit der beiden jungen aufstrebenden Völker, Gemeinsamkeiten zwischen den beiden großen Nationalhelden Hitler und Atatürk, Gleichklang der der neuen geistigen Haltung der beiden Völker, die Verdammung von "Versailles", das traditionell gute Wirtschaftsverhältnis zwischen beiden Ländern und die "Siegespropaganda" bis zur Winterkrise 1941/42. Bis zum Angriff auf die Sowjetunion zielten die deutschen propagandistischen Aktivitäten eigentlich auf England, allerdings konnte diese Karte angesichts der Tatsache, dass die Türkei seit 1939 de facto mit Großbritannien verbündet war, nur sehr vorsichtig eingesetzt werden. In der zweiten Phase baute man ein anti-sowjetisches Feindbild auf. Man hob generell die bolschewistische Gefahr für Europa hervor, betonte die "Sowjetgreuel" und warnte die Türkei vor der Bedrohung der Meerengen durch die UdSSR. Hinzu kam noch ein dezidierter Antisemitismus, der allerdings bei der zu einem großen Teil ohnehin antijüdisch orientierten türkischen Presse auf offene Ohren stieß. Das typische offizielle Mittel der Einflussnahme waren diplomatische Interventionen der deutschen Seite gegen ihrer Meinung nach Verunglimpfungen der nationalsozialistischen Politik in den Medien. Darüber hinaus bemühte man sich, einzelne Journalisten durch Anzeigenvergaben und materielle Zuwendungen für sich zu gewinnen. Zwar änderte sich die anti-deutsche Haltung in der türkischen Presse Mitte des Jahres 1941, doch kann von einem durchschlagenden Erfolg nicht die Rede sein. Die Verfasserin resümiert: "Die Haltung, die die türkischen Instanzen gegenüber den oftmals anmaßenden deutschen Beschwerden einnahm, lässt sich nach 1941 kaum auf einen gemeinsamen Nenner bringen." (129) Insgesamt kam man "den deutschen Forderungen in verschiedener Weise entgegen. Im weiteren Verlauf des Krieges schlug das Pendel dann mehr auf die eine Seite, dann auf die andere Seite, ohne jedoch einer der beiden Seiten eindeutig Übergewicht zu geben." (138)
Soweit die ersten fünf Kapitel des Buches. Nun folgen in jeweils gesonderten Abschnitten zwei Fallbeispiele aus ausgewählten Presseorganen. Es handelt sich dabei zum einen um die "germanophile" Cumhuriyet, zum anderen um die "anti-deutsche" Tan. Unter der Leitung des Herausgeberehepaars Mehmet Zekeriya Sertel (1890-1980) und Sabiha Sertel (1895-1968) nahm die 1934 ins Leben gerufene Zeitschrift Tan eine sehr sowjetfreundliche Haltung ein. Insbesondere nach der politischen Wende im Juni 1941 gingen die Deutschen in Istanbul daher massiv gegen die Tan und die dort vertretene harte Kritik am Faschismus und Nationalsozialismus vor. Obgleich die Redakteure nicht mundtot gemacht werden konnten, geriet die Redaktion, wie die Verfasserin sachkundig skizziert, zunehmend unter Druck. Interessant ist dann auch der Fall der von Yunus Nadi (1879-1945) geleiteten Cumhuriyet, die neben der Hakimiyet-i Milliye (später Ulus) das wichtigste kemalistisch orientierte Organ darstellte. Obgleich man sich bis 1941 durchaus an der offiziellen Politik orientierte und eine pro-alliierte Position bezog, waren Yunus Nadi und sein Sohn Nadir (1908-1991), der quasi als Chefredakteur fungierte, gegen eine entsprechende Entlohnung dazu bereit, deutschlandfreundliche Artikel zu veröffentlichen. Allerdings missfielen diese Vorgänge der türkischen Pressegeneraldirektion und den höchsten politischen Kreisen so sehr, dass es am 11. August 1941 zu einem offiziellen Verbot der Cumhuriyet kam. Auf deutscher Seite zog man daraus seine Lehren und gründete im Mai 1941 die mit eigenen Geldern finanzierte Wochenzeitschrift Gün, die man aber schon nach drei Monaten auflöste und in ein Tagesblatt namens Yirminci Asιr umwandelte. Die fast gleichzeitige Unterzeichnung des deutsch-türkischen Freundschaftsvertrages und die damit verbundene Wiederzulassung der Cumhuriyet veranlasste die Deutschen jedoch, das Projekt alsbald wieder aufzugeben.
Obgleich sich der Erfolg oder Misserfolg der deutschen Propaganda in Istanbul in der Zeit von 1939 bis 1945 nicht klar beantworten lässt, informiert die Studie von Berna Pakesen kundig über einen spannenden und bisher nicht gut bearbeiteten Aspekt der deutsch-türkischen Beziehungen während des Zweiten Weltkrieges. "Den Deutschen blieb", so das Fazit der Verfasserin, "nicht jeder Erfolg verwehrt, das wäre eine Übertreibung, aber es gibt gute Gründe für die Aussage, dass weniger 'deutsche' Ideen überzeugten als deutsches Geld." (208)
Stephan Conermann