Rezension über:

Mark Haarfeldt: Deutsche Propaganda im Rheinland 1918-1936, Essen: Klartext 2017, 431 S., ISBN 978-3-8375-1867-2, EUR 29,95
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Rezension von:
Wolfgang Elz
Mainz
Empfohlene Zitierweise:
Wolfgang Elz: Rezension von: Mark Haarfeldt: Deutsche Propaganda im Rheinland 1918-1936, Essen: Klartext 2017, in: sehepunkte 19 (2019), Nr. 2 [15.02.2019], URL: https://www.sehepunkte.de
/2019/02/32019.html


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Mark Haarfeldt: Deutsche Propaganda im Rheinland 1918-1936

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Nach längerer Pause war seit der Jahrtausendwende die alliierte Besatzung in Deutschland nach dem Ersten Weltkrieg wieder das Thema verschiedener Studien; dabei wurde mehrfach insbesondere auch die deutsche Propagandakampagne um die "Schwarze Schmach", also die Präsenz von Kolonialtruppen im Rheinland, behandelt [1]. Mit der Besatzung befasst sich auch Mark Haarfeldt in seiner Konstanzer Dissertation von 2015, die nun als Buch vorliegt. Er hat dabei einen besonderen Aspekt in den Mittelpunkt gestellt, nämlich die deutsche Propaganda im Kontext dieser Besatzung.

Was war damals "Propaganda"? In einem ersten größeren Kapitel versucht Haarfeldt darzulegen, dass nach dem vermeintlichen Fehlen oder jedenfalls Versagen der deutschen Propaganda im Ersten Weltkrieg (wobei er sich wesentlich auf die exkulpierende Aussage der Militärs und insbesondere Ludendorffs stützt) ein Neuanfang notwendig gewesen sei. Dafür legt er von deutscher Seite vorgestellte zeitgenössische Propaganda-Theorien dar, hauptsächlich diejenige von Edgar Stern-Rubarth. Ob es sich dabei in der Sache tatsächlich um eine wesentliche Abweichung gegenüber der alliierten Propaganda handelte, wie es Stern-Rubarth behauptete und Haarfeldt übernimmt, sei dahingestellt. Belege dafür werden jedenfalls nicht angeführt.

Breit geht Haarfeldt im nächsten größeren Kapitel auf die komplizierte Organisation ein und vor allem auf jene vielfältigen Institutionen, die von staatlicher oder halbstaatlicher Seite in die Rheinland-Propaganda eingebunden waren, die allerdings überwiegend unter notorischem Geldmangel, manches Mal auch unter Kompetenzgerangel litten und damit in ihrer Wirkung begrenzt waren. Auch hier zeigt sich ein kleines Dilemma für den Leser: Zeitgenössisch wurde unter dem besetzten Rheinland der gesamte linksrheinische Teil Deutschlands (ohne das Saargebiet) verstanden. Wenn aber Haarfeldt im Titel und weitgehend auch in diesem Teil der Arbeit "Rheinland" verwendet, gewinnt man durchgängig den Eindruck, dass damit lediglich die preußische Rheinprovinz gemeint sei (worauf auch die Auswahl der herangezogenen Archivalien hindeutet). In späteren Teilen der Arbeit werden zwar einzelne Beispiele aus Rheinhessen und der Pfalz, den beiden weiteren deutschen Besatzungsregionen, immer mal wieder in den Text eingeflochten, aber ohne dass die Frage nach dem geographisch-politischen Betrachtungsraum je ganz geklärt würde. So werden denn auch bei den betrachteten Institutionen die Landesbüros von Bayern (für die Pfalz), von Hessen (für Rheinhessen) und von Baden (für den Brückenkopf Kehl) kurz erwähnt, während die etlichen bayerischen Verbände und Vereine, die sich später an den konkreten Kampagnen beteiligten, nicht berücksichtigt werden. Damit begibt sich Haarfeldt auch der Chance, das Kompetenzwirrwarr aufzuzeigen, das sich gerade bei der "Schwarzen Schmach" wie bei den Kampagnen gegen die Ruhrbesetzung und für den passiven Widerstand zwischen bayerischen und Reichsstellen ergab [2].

Das dritte und mit Abstand längste Kapitel befasst sich mit den "Kampagnen", die ab 1919 gegen die Besatzung gefahren wurden. Oberstes Ziel war die Revision des Versailler Vertrags. Die Adressaten waren dabei vielfältig, zunächst aber richteten sich solche Kampagnen immer an die Deutschen in den besetzten und unbesetzten Gebieten: Hier sollte vor allem die "nationale Einheit" propagandistisch hergestellt werden, und die Bewohner des besetzten Rheinlands sollten sich vor allem als Deutsche fühlen und entsprechend agieren. Wenn dabei die Nation in den Vordergrund gestellt wurde und nicht etwa die neue Republik, hatte dies verschiedene Gründe. Zum einen hätte die Betonung der Republik die Gefahr mit sich gebracht, die dieser neuen Republik abholden Gruppen nicht anzusprechen. Zum anderen war insbesondere im propagandistischen Kampf gegen den Separatismus (und anfangs auch gegen die Autonomisten-Bewegung im Rheinland, die sich lediglich von Preußen, aber nicht vom Reich abspalten wollte) eben die Nation der Bezugsrahmen, deren Einheit gewahrt werden sollte und aus der mit einer Kriminalisierungsstrategie die Separatisten ausgeschlossen wurden. Dies bedeutete jedoch eine Gratwanderung: Tatsächliche oder vermeintliche Erfolge der Propaganda wurden nicht der Republik, sondern eben der "Nation" zugeschrieben; das wurde erst in den späten 1920er Jahren offenbar erkannt, als unter nun ganz anderen Bedingungen die Wasser der "Befreiung" des Rheinlands stärker auf die republikanischen Mühlräder gelenkt werden sollte.

Ein weiterer Adressat war die öffentliche Meinung im Ausland zwecks Korrumpierung der Stellung Frankreichs. Dies galt im Besonderen für die Kampagne zur "Schwarzen Schmach", die von Haarfeldt recht knapp abgehandelt wird, so dass frühere Veröffentlichungen hierzu wesentlich detaillierter informieren und kaum etwas Neues zu finden ist. Allerdings hatte die deutsche Propaganda auch nur überschaubaren Erfolg: Die ausländischen Reaktionen auf den Einsatz schwarzer bzw. (nordafrikanischer) nichtweißer Soldaten in der französischen Besatzungsarmee und auf die dagegen gerichtete deutsche rassistische Kampagne waren zwar im Einzelnen sehr scharf und übertrafen teilweise noch die deutschen Vorwürfe, erzielten aber doch bei weitem nicht die erhoffte Wirkung und führten insbesondere nicht zur grundlegenden Korrumpierung der französischen Besatzungsherrschaft.

Sehr ausführlich geht Haarfeldt sodann auf die Kampagnen gegen die französisch-belgische Ruhrbesetzung von 1923 ein, die gewissermaßen den Höhepunkt der deutschen Rheinland-Propaganda nach dem Ersten Weltkrieg bildeten. Im Kern ging es darum, den deutschen passiven Widerstand aufrechtzuerhalten, indem erneut die nationale Einheit hervorgehoben und das Opfer des Einzelnen zum Opfer für das Vaterland stilisiert wurde. Auch hier war die deutsche Propaganda auf Dauer nicht erfolgreich: Der passive Widerstand wurde vor Ort bereits im späten Frühjahr in Frage gestellt, und er bröckelte zusehends, bis er schließlich im Herbst von der Regierung Stresemann aufgegeben wurde. Propagandistisch war es nicht gelungen, die Menschen in den besetzten Gebieten dauerhaft davon zu überzeugen, dass von Reichsseite ausreichend viel unternommen würde, ihre Lage erträglich zu halten. In der Folgezeit, insbesondere nach der außenpolitischen Wende von 1924 hin zur zunächst vorsichtigen Verständigungspolitik gegenüber Frankreich, wurde die deutsche Propaganda vom Auswärtigen Amt gebremst und damit wesentlich zurückhaltender, weil ebendiese Annäherung an den westlichen Nachbarn nicht durch Kampagnen gefährdet werden sollte.

Die deutsche Propaganda schwenkte nun eher in Richtung einer Kulturpropaganda, etwa mit der Rheinland-Jahrtausendfeier von 1925, und selbst die Rheinlandreise Hindenburgs 1926 nach der alliierten Räumung der Ersten Zone verlief in gedämpften Tönen. 1930 nach der "Befreiung" des Rheinlandes war die propagandistische Inszenierung schon wieder deutlich lauter, was Haarfeldt allerdings nur andeutet und dabei insbesondere darauf verzichtet, die französische Verärgerung über diese Inszenierung zu schildern. In einem gewissermaßen nachgeschobenen Kapitel untersucht er noch die propagandistische Aufbereitung der Remilitarisierung des Rheinlands von 1936, wobei deutlich wird, wie sehr es dem Regime mit jetzt ganz anderen Propagandamitteln gelang, dies nun als die "wirkliche Befreiung" zu proklamieren.

Haarfeldts Studie gibt einen guten Einblick in etliche Institutionen, die an der deutschen Propaganda beteiligt waren und zumeist von Reichsbehörden gesteuert oder diesen sogar direkt zugeordnet oder attachiert waren. Allerdings wirkt sie doch über weite Passagen hinweg wenig plastisch, weil nur an einzelnen Stellen die Propaganda ganz konkret in ihrer Ausführung demonstriert wird. Das kann auch nicht dadurch ausgeglichen werden, dass sehr häufig Zeitungsartikel herangezogen werden: Solche Zeitungsäußerungen in einer pluralen Presselandschaft wie derjenigen der Weimarer Republik ungeprüft immer zu "deutscher Propaganda" zu erklären, verwässert den Begriff unnötig. Dies wird besonders greifbar im Vergleich mit den Ereignissen von 1936, als tatsächlich eine staatlich gelenkte Presse zu einem Teil des Propaganda-Apparates geworden war.

Schließlich ist die Arbeit noch in einer anderen Hinsicht diskussionswürdig, nämlich in einem offenbar als Grundannahme wiederkehrenden Ausgangspunkt: Haarfeldt lehnt die ältere Forschungsmeinung ab, von französischer Seite sei auf eine Abspaltung des Rheinlands vom Reich hingearbeitet worden; somit, meint er, sei die deutsche Propaganda von einem völlig falschen Bild des Gegners ausgegangen. Dem offensichtlich entgegenstehende Aktionen französischer Behörden im Rheinland seien autonomem Handeln entsprungen, das nicht der Regierungspolitik entsprochen habe. Beispielsweise führt ihn diese Annahme auch dazu, mit Blick auf die Französisch-Sprachkurse im Besatzungsgebiet der Sprachregelung der Besatzungsmacht zu glauben, dieses Angebot diene vor allem dem Zweck, im Alltag die Kommunikation zwischen Besatzern und Besetzten zu erleichtern - also ganz anders als es die deutsche Propaganda sah, die hier eine intendierte "Verwelschung" des Rheinlands unterstellte.

Nun mag die französische Rheinland-Politik in den ersten Nachkriegsjahren tatsächlich nicht kohärent gewesen sein. Aber gerade für die Regierung Poincaré, unter der 1923 die Ruhrbesetzung stattfand, lassen sich Ideen von der tatsächlichen oder weitgehenden Abtrennung des Rheinlands vom Reich gut aufzeigen. Dass dies nicht an die große Glocke gehängt wurde angesichts des erwartbaren anglo-amerikanischen Widerstands gegen eine territoriale Statusänderung des Rheinlands, den man ja bereits bei den Pariser Friedensverhandlungen erfahren hatte, ist nicht gleichzusetzen mit der Feststellung, es habe keine Ambitionen von französischer Seite in diese Richtung gegeben. Zum Beleg für diese Pariser Ziele kann man etwa die vor einigen Jahren veröffentlichen französischen außenpolitischen Akten für 1923 heranziehen [3]. Wenn Poincaré am 6. November 1923 seinen Rheinlandkommissar Tirard in einem Brief auffordern wollte zu sondieren, ob man das Rheinland nicht etwa nach dem Modell des Westfälischen Friedens faktisch abtrennen und nur noch ganz lose Beziehungen zum Reich unterhalten lassen könne [4], so wurde der entsprechende Entwurf wohl nur deshalb nicht abgesandt, weil London ihm genau zu dieser Zeit in den Arm fiel: Eine britische Untersuchung, zu der man den Münchner Konsul in die vom Separatismus betroffenen Gebiete geschickt hatte, überzeugte zumindest die englische Regierung zweifelsfrei davon, dass Frankreich auf dem Umweg über die Unterstützung ebendieses Separatismus die Abtrennung bewerkstelligen wolle.

Kurz: Die deutsche Propaganda war durchaus die Reaktion auf bestimmte französische Pläne, und von daher wäre eine Studie sinnvoll, die auch die französische Propaganda im Rheinland (und gegenüber der eigenen Bevölkerung) ähnlich intensiv in den Blick nimmt, wie dies Haarfeldt für die deutsche Propaganda leistet. Wo er sich nämlich über französische Propaganda äußert, betrifft dies nur die von deutscher Seite wahrgenommenen Phänomene - was als Intention dahintersteckt, müsste wohl aus französischen Quellen erschlossen werden.


Anmerkungen:

[1] Vgl. u. a. David G. Williamson: The British in Interwar Germany. The Reluctant Occupiers, 1918-30, London u.a. 22017; Christian Koller: "Von Wilden aller Rassen niedergemetzelt". Die Diskussion um die Verwendung von Kolonialtruppen in Europa zwischen Rassismus, Kolonial- und Militärpolitik (1914-1930), Stuttgart 2001; Iris Wigger: Die "Schwarze Schmach am Rhein". Rassistische Diskriminierung zwischen Geschlecht, Klasse, Nation und Rasse, Münster 2007 (erweiterte englische Ausgabe: London 2017); Peter Collar: The Propaganda War in the Rhineland: Weimar Germany, Race and Occupation after World War I, London / New York 2013; Dick van Galen Last / Ralf Futselaar: Black Shame. African Soldiers in Europe, 1914-1922, London u.a. 2015.

[2] Dies wird breit in der in Anm. 1 erwähnten Studie von Collar herausgearbeitet, die allerdings von Haarfeldt nicht genutzt wurde.

[3] Documents diplomatiques français. 1920-1932., éd. par le Ministère des Affaires étrangères. Commission des archives diplomatiques, 1923, Tome 1 (1er janvier - 30 juin) - 1923, Tome 2 (1er juillet - 31 décembre), Brüssel u.a. 2010-2013.

[4] Vgl. ebda., II, S. 480-481 (dort Anm. 1).

Wolfgang Elz