Peter Krüger: Carl von Schubert. Außenpolitiker aus Leidenschaft. Sein Beitrag zur internationalen Politik und europäischen Ordnung in der Ära der Weimarer Republik (= Zeitgeschichtliche Forschungen; Bd. 51), Berlin: Duncker & Humblot 2017, 192 S., ISBN 978-3-428-14950-6, EUR 39,90
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Peter Krüger (Hg.): Carl von Schubert (1882-1947). Sein Beitrag zur internationalen Politik in der Ära der Weimarer Republik. Ausgewählte Dokumente (= Deutsche Geschichtsquellen des 19. und 20. Jahrhunderts; Bd. 73), Berlin: Duncker & Humblot 2017, 836 S., ISBN 978-3-428-15332-9, EUR 119,90
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Gustav Stresemann kennen wohl alle Historikerinnen und Historiker in Deutschland. Kürzlich und kurzzeitig war er auch in der weiteren Öffentlichkeit wieder präsent, als die AfD die angesichts ihres Programms nur kühn zu nennende Idee hatte, ihre geplante Parteistiftung nach ihm zu benennen (was dann konsequenterweise und nach einem gewissen Lernprozess - wie bei Stresemann - auch eine grundlegende Änderung der Parteiprogrammatik zur Folge haben müsste). Carl von Schubert kennt dagegen nur noch der Kreis jener, die sich schon einmal intensiver mit der deutschen Außenpolitik in der Weimarer Republik befasst haben. Dabei kann man mit gutem Grund vermuten, dass es die Stresemannsche Verständigungspolitik nach 1923 ohne Schubert nicht oder jedenfalls nicht in der Form gegeben hätte, die sie schließlich annahm.
Einer der besten Kenner der Weimarer Außenpolitik, Peter Krüger, hatte die zentrale Bedeutung Schuberts schon früher an verschiedenen Stellen angedeutet, etwa in seiner nach wie vor gültigen Überblicksdarstellung dieser Außenpolitik. [1] Wohl erst nach dieser Veröffentlichung stieß er auf Schuberts Privatnachlass, den ihm dessen Familie zur Verfügung stellte. Über Jahre hinweg arbeitete Krüger an einer Schubert-Edition und kündigte deren Veröffentlichung wiederholt an; bei seinem plötzlichen Tod 2011 war sie bis auf die Einleitung weitgehend fertiggestellt. Nun ist sie mit Hilfe von Martin Kröger vom Politischen Archiv des Auswärtigen Amts, der auch eine knappe biographische Skizze zu Schubert beisteuert, von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften in ihrer angesehenen Editionsreihe zum 19. und 20. Jahrhundert veröffentlicht worden und damit nicht wie manch anderes fortgeschrittenes Editionsvorhaben in irgendeinem Nachlass verschwunden.
Zum Abdruck kommen 285 Stücke aus dem Zeitraum von 1914 bis 1933 (davon bis auf zwei einleitende Stücke alle aus den Jahren 1919 bis 1933). Etwa eine Handvoll stammt von Dritten; alle übrigen sind von Schubert verfasst. Vielleicht ein Dutzend ist bereits andernorts, in den "Akten zur deutschen auswärtigen Politik" (ADAP), veröffentlicht. In einigen Fällen wurden die Stücke gekürzt, wobei knappe Anmerkungen das Weggelassene zusammenfassen, wie überhaupt in den Anmerkungen viele weitere Aktenstücke verarbeitet sind. Neben einzelnen Quellen aus anderen Provenienzen entstammen die Dokumente je etwa zur Hälfte dem Privatnachlass und dem Bestand "Büro Staatssekretär" des Politischen Archivs des Auswärtigen Amts. Viele geben Gespräche wieder, die Schubert führte, oder es handelt sich um Privatdienstschreiben, die er offenbar zahlreich verschickte. Einige Stücke sind in der an sich chronologischen Reihung dort eingeordnet, wo sie dem Berichtszeitraum nach hingehören, obwohl Schubert sie erst im Winter 1932/33 im "vorläufigen Ruhestand" als Aufzeichnungen oder Zusammenfassungen niederschrieb. Dies geschah wohl, ehe er - nach Aufforderung aus Berlin - Handakten aus dem Amt zurückgeben musste, die er zunächst in seinen Privatbestand überführt hatte. In editorischer Hinsicht ist das Ganze gut gelungen; allenfalls vermisst man ein Sachregister, das durch die knappen Regesten im Inhaltsverzeichnis nicht wirklich ersetzt wird.
Um es vorwegzunehmen: In der Sache, das heißt zur Frage nach den Motiven und Abläufen der deutschen Außenpolitik der 1920er-Jahre, bringt die Edition keine grundstürzenden neuen Erkenntnisse gegenüber dem zuletzt erreichten Forschungsstand. Was sie allerdings leistet, ist zum einen eine deutliche Konturierung der Person Carl von Schuberts und seiner Arbeitsweise und Konzeptionen, und sie zeigt zum anderen noch viel detaillierter, als dies bisher bekannt war, seine zentrale Rolle für die gedankliche Erarbeitung und Durchführung der deutschen Außenpolitik und insbesondere derjenigen Stresemanns.
Schuberts Herkunft und familiäre Verbindungen in Militär, Diplomatie und Wirtschaft des Kaiserreichs hatten ihm, dem studierten Juristen und vor allem im Handels- und Wirtschaftsrecht Ausgebildeten, den 1907 erfolgten Start in die diplomatische Laufbahn erleichtert. Aber sehr schnell konnte er auf den verschiedenen Anfangsverwendungen in Washington, Brüssel, Lissabon und London sowie im Weltkrieg in Bern zeigen, über welche hervorragenden Qualitäten er verfügte. So wundert es nicht, dass er im Mai 1919 nach Versailles beordert wurde, um die deutsche Delegation zu unterstützen, und ihm 1920, obwohl in untergeordneter Funktion, faktisch der Neuaufbau der Botschaft in London übertragen wurde. Sein weiterer Karriereweg verlief auch danach steil bergauf: 1920 ertrotzte er sich mit einem angedrohten Rücktritt den Posten des Leiters der England-Abteilung im neu organisierten Auswärtigen Amt. Er konnte sich die entsprechende Drohung leisten, denn obwohl er nach der Zeit in Bern über Verschuldung klagte, wäre er als Enkel des Großindustriellen von Stumm-Halberg auch beim Dienstaustritt zumindest finanziell wohl weich gelandet. Mit dem Wechsel nach Berlin erreichte er schon die erweiterte Führungsebene des Amtes, und seine Stellung gewann zusätzlich an Bedeutung, als die Abteilung 1922 um die Zuständigkeit unter anderem für Amerika erweitert wurde.
Was ihm in dieser Funktion allerdings noch fehlte, war der unmittelbare Einfluss auf die deutsche Außenpolitik. So weisen ihn die Stücke aus jener Zeit auch eher als internen Kritiker dieser Außenpolitik aus, insbesondere in Bezug auf die operative Handhabung der Reparationsfrage. Hier zeigt sich das Mantra, dem er in seiner ganzen Karriere folgte: Nicht hastiges Reagieren auf äußere Ereignisse und Einflüsse, sondern Handeln im Rahmen einer wohlüberlegten Gesamtkonzeption, bei der die einzelnen Schritte bis ins Detail durchdacht und die möglichen Reaktionen des Gegenüber aus dessen eigenen Interessen heraus durchgespielt werden müssen, erlaubt die Führung einer konsequenten Außenpolitik. Die Gelegenheit zur Umsetzung dieser Vorstellung erhielt er mit dem Amtsantritt Stresemanns als Kanzler und Außenminister im Herbst 1923, als er, zunächst als Stellvertretender Staatssekretär, unmittelbaren Zugang zum Minister gewann. (Formal gelangte er im Dezember 1924 zum Staatssekretärsposten, den er faktisch auch vorher schon weitgehend ausgefüllt hatte.) In der folgenden Phase wurden die beiden ein kongeniales Gespann: Schubert konzipierte und Stresemann exekutierte die Außenpolitik, die 1924 zum Dawes-Plan, 1925 nach Locarno und 1926 in den Völkerbund führte. Schuberts Konzept und Stresemanns Handeln orientierten sich dabei an wenigen Grundgedanken: Das Ziel, die Wiederzulassung Deutschlands als gleichberechtigte Großmacht, war nur zu erreichen, wenn man sich in die Interessenlagen der anderen, insbesondere Großbritanniens und Frankreichs, hineinversetzte und sie berücksichtigte. Diese Interessen verlangten zum einen ein wirtschaftlich stabiles und weitgehend friedliches Europa, nach dem auch die USA ein massives Bedürfnis hatten; damit könnte - so das dauerhafte Fernziel Schuberts - am Ende ein europäischer Wirtschaftsraum entstehen, der als Zollunion den von ihm stets als Bedrohung wahrgenommen wirtschaftlichen Zusammenbruch Europas verhindern sollte. Ein Ausgleich mit Frankreich war aber zum anderen nur möglich, wenn man dessen Sicherheitsinteressen berücksichtigte, und dafür benötigte man die Vermittlung Großbritanniens: Nicht das Gegeneinanderausspielen der beiden westeuropäischen Großmächte bot Chancen, sondern nur das Einwirken Londons auf Paris. Dass dies zu einer konsequenten Westorientierung führte, ergibt sich von selbst - Rücksicht auf die Sowjetunion, diese "Bande in Moskau", wie Schubert sie einmal titulierte (305), war zwar notwendig, aber von einer Schaukelpolitik weit entfernt.
Entsprechende Pläne Schuberts, die 1924 nach London, 1925 nach Locarno und 1926 nach Genf führten, hatte er bereits seit 1922 in Anfängen und dann immer detaillierter und, den weiteren Entwicklungen angepasst, mit der ihm eigenen Penibilität und Pedanterie ausgearbeitet. Solche bis an die Grenze der Leistungsfähigkeit gehende Pedanterie verlangte er auch von seinen Untergebenen und den Diplomaten, was ihn nicht gerade zu einer einfachen Person machte, zumal er im Urteil gegenüber anderen Personen sehr scharf sein konnte. Eine leichte Entfremdung trat ab 1927 selbst gegenüber Stresemann ein, als dieser wegen der häufigen krankheitsbedingten Abwesenheit von Berlin, aber auch aus innenpolitischen Rücksichten nicht mehr auf jeden Ratschlag Schuberts reagierte. So hatte er nach Stresemanns Tod 1929 abgesehen von einem Kreis enger Mitarbeiter (Gaus, Köpke, Ritter) wenig Freunde im Amt und in der Politik. Nach dem Übergang zu den Präsidialkabinetten führte das 1930 zunächst zu seiner Versetzung nicht etwa auf den von ihm heiß ersehnten Botschafterposten in London, sondern auf denjenigen in Rom, den er wohl zu Recht als Abschiebung empfand und von wo aus er zum weitgehend wirkungslosen Kritiker der deutschen Außenpolitik und der aus seiner Sicht chaotischen Berliner Geschäftsführung wurde. Schließlich wurde er 1932 in den vorläufigen Ruhestand versetzt, wobei die Hintergründe nicht ganz klar sind, aber wohl Intrigen am "Hofe" Hindenburgs, wo man ihn als "rosenrot" (769) einschätzte, und der Rechten, denen er als "roter Hund" (782) galt, zu seiner Beurlaubung führten. Dieses Rot-Prädikat hatte er sich erworben, weil er (wie auch Stresemann als Außenminister) zeit seiner Berliner Tätigkeit auf die SPD als zuverlässigsten Partner in der Außenpolitik gesetzt hatte.
Den faktischen Abschied aus dem Dienst, dem 1933 auf der Grundlage des "Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums" die Versetzung in den endgültigen Ruhestand folgte, glaubte er zunächst nicht ertragen zu können: Sein "Leben sei damit zu Ende" (778). Seine Leidenschaft hatte der deutschen Außenpolitik gegolten, und ihr hatte er viele Jahre seines Lebens gewidmet. So zog er sich resigniert auf das ererbte Weingut an der Ruwer zurück; politisch äußerte er sich in der verbliebenen Lebenszeit, also auch während des Nationalsozialismus, nicht mehr öffentlich.
Die Leidenschaft findet sich auch im Titel der politischen Biographie, deren Veröffentlichung die Edition begleitet. Ursprünglich hatte Krüger sie als Einleitung zu den Quellen geplant; bei seinem Tod blieb sie jedoch ein Fragment, denn sie bricht auf dem "Weg nach Locarno" im Sommer 1925 ab. Als Einleitung wäre sie aber wohl auch viel zu umfangreich geworden, denn der Verfasser geht sehr detailliert Schuberts Entwicklung und den Projekten nach, die von ihm entworfen und ab 1923 in die Tat umgesetzt wurden. So ist sie gewissermaßen als Exegese zur ersten Hälfte der Edition zu nutzen. Insbesondere schärft Krüger den Blick für die verstreuten, aber zahlreichen Äußerungen Schuberts zu seinem großen Ziel, der wirtschaftlichen Integration Europas, die dann wohl unweigerlich auch zu einem gewissen Maß an politischer Integration geführt hätte. Oder anders formuliert: Schubert schwebte eine um die inzwischen zentrale Wirtschaftskomponente erweiterte Neuauflage des Europäischen Konzerts der Großmächte vor, das in Form eines ständigen Konsultationsprozesses, der ihm ohnehin das gebotene Mittel der Außenpolitik zu sein schien, die jeweiligen Interessen der Beteiligten abzugleichen verstand. Dass dabei Gewalt ausgeschlossen bleiben musste und - wie Schubert zunehmend sah - selbst Grenzrevisionen kaum noch möglich sein würden, ergab und ergibt sich fast von selbst.
Durch beide Veröffentlichungen werden unsere Kenntnisse über einen bis dato wenig prominenten, aber dennoch mitentscheidenden Akteur der Weimarer Außenpolitik beträchtlich erweitert. Sie bestätigen zudem die Kernaussage Krügers in dessen erwähnter Überblicksdarstellung: Nicht etwa nur die Frage nach den letzten Zielen einer Außenpolitik erlaubt es, diese qualitativ zu bewerten; es sind vielmehr die Methoden, die den Unterschied ausmachen und die damit indirekt auch die Ziele bestimmen.
Anmerkung:
[1] Peter Krüger: Die Außenpolitik der Republik von Weimar, Darmstadt 1985, 21993.
Wolfgang Elz