Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Nicola Brauch: Das Anne Frank Tagebuch. Eine Quelle historischen Lernens in Unterricht und Studium, Stuttgart: W. Kohlhammer 2016
Philipp Mittnik: Holocaust-Darstellung in Schulbüchern. Deutsche, österreichische und englische Lehrwerke im Vergleich, Schwalbach: Wochenschau-Verlag 2017
Hannah Maischein: Augenzeugenschaft, Visualität, Politik. Polnische Erinnerungen an die deutsche Judenvernichtung, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2015
Raphael Gross: November 1938. Die Katastrophe vor der Katastrophe, München: C.H.Beck 2013
Karen Auerbach: The House at Ujazdowskie 16. Jewish Families in Warsaw after the Holocaust, Bloomington, IN: Indiana University Press 2013
Gisela Bock (Hg.): Genozid und Geschlecht. Jüdische Frauen im nationalsozialistischen Lagersystem, Frankfurt/M.: Campus 2005
Heribert Ostendorf / Uwe Danker (Hgg.): Die NS-Strafjustiz und ihre Nachwirkungen, Baden-Baden: NOMOS 2003
Matthias Reiss (ed.): The Street as Stage. Protest Marches and Public Rallies since the Nineteenth Century, Oxford: Oxford University Press 2007
Nachdem neuerdings Publikationen auf den Markt kommen, die die Besatzungszeit nahtlos in die Geschichte der Bundesrepublik Deutschland integrieren und deren Autoren für die Spezifik des alliierten Interregnums jegliches Sensorium abgeht [1], ist es vielleicht doch wieder angebracht, auf diesen Zeitabschnitt, als es das Dritte Reich nicht mehr und die Bundesrepublik Deutschland und die DDR noch nicht gab, einen neuen Blick zu werfen. Die Jahre 1945/1946 waren in viel weiterem Maße "ergebnisoffen", als das manche Historiker beschreiben, der "Weg nach Westen" (Winkler) keineswegs so vorgezeichnet, wie das retrospektiv erscheinen mag. Grund genug, auf diverse englischsprachige Publikationen zu blicken, die sich mit verschiedenen Aspekten beschäftigen, die sämtlich durch die Zäsur des Jahres 1945 ausgelöst wurden. Dazu gehört die Besatzungsherrschaft als solche, die hier anhand von zwei Bänden (zur Sowjetischen Besatzungszone und zur amerikanischen Militärpräsenz in Deutschland seit 1945) vorgestellt wird, die Ahndung von NS-Verbrechen sowie die Anfänge der Holocaust-Forschung.
Die Studie von Filip Slaveski thematisiert im weitesten Sinne die Transition vom Krieg zum Frieden, die in der Sowjetischen Besatzungszone mit besonderen Schwierigkeiten verbunden war. Wie wurden, nachdem der Krieg zwischen dem Deutschen Reich und der Sowjetunion vier Jahre lang mit äußerster Verbitterung geführt worden war, die sowjetischen Soldaten auf die Beendigung der Gewalt in der Besatzungszeit vorbereitet? Wie wurde die sowjetische Besatzung in Ostdeutschland konzipiert?
Der erste Teil des Buches ist der Gewalt gewidmet (sowohl von deutscher als auch von sowjetischer Seite während des Krieges) und zeigt den Versuch des Oberkommandierenden Schukow, wenigstens ab Herbst 1945 die Gewalt zu kontrollieren. Die Erfahrungen mit der deutschen Besatzung in der Sowjetunion ebenso wie die von den Deutschen verwüsteten Landstriche, das Grauen der Konzentrations-, Fremdarbeiter- und Gestapolager und Gefängnisse, auf die die Rote Armee seit 1944 stieß, dienten mehr noch als die sowjetische Indoktrination und Propaganda als Handlungsanweisungen, wie mit den Deutschen umzugehen sei. Schwieriger war es, die über die Deutschen hereinbrechende Aggression zu kanalisieren und den Wiederaufbau einer geordneten Zivilgesellschaft nach Kriegsende in die Wege zu leiten.
Im Juni 1945 wurde die Sowjetische Militäradministration in Deutschland (SMAD) etabliert, die sich um den Wiederaufbau kümmern sollte. Obwohl Marschall Schukow sowohl Vorsitzender der Sowjetischen Militäradministration als auch Oberkommandierender der Sowjetischen Besatzungstruppen in Deutschland war, zeichnete sich schon bald ein folgenschwerer Konflikt ab: die SMAD konnte zwar die deutsche Bevölkerung im Zaum halten, nicht aber die Besatzungstruppen. Hier waren viele Offiziere entweder nicht willens oder nicht fähig, ihre Untergebenen von Mord, Raub und Vergewaltigungen abzuhalten. Hinzu kam Stalins ambivalente Haltung, der angesichts der Entbehrungen der Vergangenheit für die Exzesse der Soldaten lautstarkes Verständnis bekundete. Befreite Fremdarbeiter, die jahrelang das NS-Unrechtsregime am eigenen Leib verspürt hatten, waren häufig ebenfalls nicht gewillt, sich sofort neuen (und sei es sowjetischen) Autoritäten zu unterwerfen. Die SMAD mit ihren etwa 40.000 Angehörigen stand einer 1,5 Millionen großen Besatzungsarmee gegenüber, die ihren bitter erkauften Sieg über Deutschland zumindest eine Zeit schrankenlos genießen wollte. Die Armeeoffiziere beschränkten sich darauf, nur die schlimmsten Gewaltexzesse zu bekämpfen und vor allem eine Bestrafung ihrer Truppenangehörigen durch die SMAD zu verhindern, notfalls indem sie falsche Alibis für Verdächtige lieferten oder indem sie die Soldaten mit Waffengewalt aus der SMAD-Haft holten.
Slaveski macht eindringlich deutlich, dass für viele sowjetische Soldaten die Motivation, die Aggression zu beenden, gering war, weil der Frieden so wenig Aussichten für sie bereithielt: eine Rückkehr in eine weitgehend verwüstete Heimat, ermordete oder in alle Himmelsrichtungen zerstreute Familien, wirtschaftliche Not und stalinistische Repression. Insbesondere im Sommer 1945 gelang es der SMAD kaum, die Rechtsbrüche der Soldaten einzudämmen. Deutsche Zeugenaussagen allein reichten zur Überführung der Täter nicht aus, so dass nur die militärische Disziplinierung durch Vorgesetzte zur Verfügung stand, an der diese wie bereits ausgeführt wenig Interesse hatten. Die Zuständigkeitsbereiche zwischen Besatzungsarmee und SMAD waren überdies weitgehend unklar.
Bald schon verhärteten sich die Fronten zwischen SMAD und Besatzungsarmee, die teils zu tätlichen Auseinandersetzungen führten, was einen denkbar schlechten Eindruck bei der deutschen Bevölkerung hinterließ. Hinzu kamen verdeckte und offene Operationen des militärischen Abwehrdienstes SMERSCH und des NKWD sowie wechselseitige Denunziationen der Beteiligten. Slaveski argumentiert, dass dies sehr im Sinne Stalins war, der sich mit dem Prinzip "Divide et impera" lästige Konkurrenz vom Halse hielt. Rivalisierende Organe versuchten divergierende Besatzungsziele durchzusetzen, bei denen die Politik der Demilitariserung und Demontage zur Sicherung der Reparationen die Oberhand gewann. Erst 1947, als sich die SED-Herrschaft abzeichnete, wurden die Besatzungstruppen massiv reduziert, was zu einem Rückgang der Gewalt führte.
Der zweite Teil des Buches geht auf die frühen Jahre des Wiederaufbaus in der SBZ ein. 1946 zeichnete sich ab, dass auch Stalin die divergierenden Besatzungsziele nicht zusammenführen konnte: es gab keine Möglichkeit, sich einerseits mit den westlichen Alliierten hinsichtlich der Behandlung Deutschlands zu einigen, während andererseits die deutsche Wirtschaft für sowjetische Zwecke genutzt, die deutsche Bevölkerung terrorisiert und eingeschüchtert wurde und lediglich die deutschen Kommunisten gefördert wurden. Zwar wollte die Sowjetunion eine Kooperation mit den westlichen Alliierten, es gelang ihr aber nicht, diese zu vorteilhaften Bedingungen zu erreichen. Erst als es zu spät war, im Dezember 1948, versuchte Stalin die Beziehungen zu verbessern und empfahl auch der SED-Führung, sich für die Vereinigung der Zonen einzusetzen.
Während die sowjetische Besatzungsherrschaft für Repressivität, Hunger und Knechtung der deutschen Bevölkerung steht, ist die amerikanische Besatzung fast ausschließlich positiv konnotiert. Die 1945 beginnende Stationierung amerikanischer Streitkräfte in Deutschland wird in dem Band "GIs in Germany", der auf eine Konferenz des Jahres 2000 am Wissenschaftsforum Heidelberg zurückgeht, in vielen Facetten beleuchtet. Er folgt dem fruchtbaren Konzept der Militärgeschichte als Kulturgeschichte und bietet konzise geschriebene und solide recherchierte Aufsätze mit einer großen Fülle an neuen Einsichten zu dem spannungsreichen deutsch-amerikanischen Verhältnis, ebenso zur Diskussion um "Westernisierung" und Amerikanisierung.
Seit 1945 lebten nicht weniger als 22 Millionen amerikanische Soldaten, Angestellte und ihre Familien in Deutschland. Generationen von Amerikanern erfuhren zumindest aus Erzählungen zurückgekehrter Veteranen von Deutschland, umgekehrt lernten Generationen von Westdeutschen den "American Way of Life" durch Amerikaner an den Stationierungsorten kennen. Tatsächlich war es, wie Thomas W. Maulucci ohne Übertreibung schreibt, eines der größten kulturellen Austauschprogramme.
Anfänglich gab es keine langfristigen Pläne für eine militärische Präsenz in Europa. So waren 1945 fast 1,9 Millionen US-Soldaten in Deutschland, 1950 aber nur noch etwa 88.000 (außerdem etwa 44.000 Familienangehörige). Der gravierende Einschnitt kam mit dem Korea-Krieg, der die Truppenstärke 1951 auf über 252.000 Soldaten in Westdeutschland anwachsen ließ. Die Stationierungsorte verwandelten sich in "Klein-Amerika" und die deutschen Gastgeber profitierten ökonomisch nicht unerheblich von den amerikanischen Soldaten. Die Rolle, die die GIs in Deutschland spielten, war vielschichtig: Sie waren ein Symbol deutsch-amerikanischer Freundschaft, ein Pfand in den Verhandlungen der Supermächte über die Abrüstung und ein Garant für westdeutsche Sicherheit. Obwohl die Amerikaner zwischen 1944 und 1949 als militärische Besatzer kamen, wurden sie schon bald von den Westdeutschen als Freunde und Beschützer gesehen - insbesondere die Luftbrücke nach West-Berlin schuf große Sympathien. Bis Mitte der 1950er Jahre war eine "Amerikanisierung von oben" festzustellen, die auf US-Regierungsprogramme (etwa in Form der Amerika-Häuser) zurückging, während es danach zu einer "Amerikanisierung von unten" kam, bei der die Westdeutschen sich bewusst amerikanischen Stil aneigneten, wobei die GIs der Transmissionsriemen dieses Kulturtransfers waren. Für viele afroamerikanische GIs symbolisierte Deutschland wiederum einen freieren Lebenswandel, da es anders als in den USA keine Rassentrennung oder systematische Diskriminierung gab.
Von 1950 bis Mitte der 1960er Jahre waren die Beziehungen zwischen amerikanischen Soldaten in der Bundesrepublik und ihren deutschen Nachbarn ausgezeichnet, während ab der Mitte der 1960er Jahre politische und gesellschaftliche Veränderungen wie Studentenbewegung, Terrorismus und Aufrüstung zu Spannungen im deutsch-amerikanischen Verhältnis führten. Zudem verschlechterte sich der Lebensstandard für die US-Soldaten in Deutschland wegen des niedrigen Dollarkurses insbesondere Ende der 1970er Jahre stetig. Ferner kam es zu gelegentlichen terroristischen Angriffen auf US-Kasernen, ebenso beeinträchtigten Demonstrationen gegen die Stationierung der Mittelstreckenraketen das transatlantische Verhältnis. Mit dem Ende des Kalten Krieges, dem Ende der Sowjetunion und des Warschauer Paktes schien auch die amerikanische Militärpräsenz 1990 in Frage gestellt.
Ein erster Teil des Buches widmet sich Strategie und Politik. Der Beitrag von Hans-Joachim Harder liefert einen Überblick über die amerikanische Truppenpräsenz in Deutschland von 1945 bis 1990, Bruno Thoß legt die Ziele der amerikanischen Streitkräfte in Deutschland in den 1950er und 1960er Jahren dar, als noch das Dogma der massiven atomaren Vergeltungsstrategie galt, Dennis Showalter zeigt die Zusammenarbeit von US Army, Bundeswehr und NATO bei Planspielen zum Krieg, Hubert Zimmermann diskutiert die Haltung der amerikanischen Regierungen zur Truppenpräsenz in Deutschland in den 1960er und 1970er Jahren. Obwohl die große amerikanische Truppenstärke anachronistisch war, trug nicht zuletzt das Interesse der westdeutschen Regierung zur Beibehaltung bei.
Der zweite Teil befasst sich in drei Aufsätzen mit den Militärgesellschaften in Deutschland. Einen Überblick liefert Thomas Leuerer, der zeigt, dass bereits 1946 Familienangehörige als "civilizing force" (133) mit den Soldaten nach Deutschland kamen, von denen gehofft wurde, dass sie zur Disziplinierung der Soldaten beitragen würden, Theodor Scharnholz legt das Heidelberger Beispiel dar und Donna Alvah die Lebensbedingungen der Angehörigen des amerikanischen Militärs, die als inoffizielle Botschafter guten Willens und zur Förderung der internationalen Zusammenarbeit dienen sollten. Gerade den Women's Clubs gelang trotz sprachlicher Hürden ein wichtiger Beitrag zu einem guten deutsch-amerikanischen Verhältnis, indem sie sich wohltätigen Zwecken widmeten. Die spannungsreichen Beziehungen werden im dritten Teil thematisiert: Gerhard Fürmetz beschreibt die Bekämpfung von GI-Kriminalität durch die bayerische Polizei in den 1950er Jahren, die effektiv bis 1955 durch die Zuständigkeit der amerikanischen Militärpolizei an ihrer Tätigkeit gehindert wurde, Jennifer V. Evans zeigt in Fallstudien zu militärischen Standgerichten die Ahndung von Vergewaltigungen durch US-Soldaten im amerikanischen Sektor Berlins.
Der vierte Teil widmet sich den Beziehungen zwischen amerikanischen Streitkräften und der Bundeswehr. Klaus Naumanns Aufsatz differenziert die Vorbildfunktion des amerikanischen Militärs für den Aufbau und die Adaption des Modells durch die Bundeswehr, Wolfgang Schmidt zeigt die Amerikanisierung der Luftwaffe (nicht zuletzt auf sprachlichem Gebiet), da insbesondere Luftwaffenpersonal durch Amerikaner ausgebildet wurde. Der fünfte Teil bietet einen Ausblick auf die 1970er und 1980er Jahre: Alexander Vazansky beschreibt die internen Probleme der US Armee in Europa in den 1970ern, zu denen Drogenmissbrauch und Rassendiskriminierung gehörte und die zur Bekämpfung ergriffenen Maßnahmen. Howard J. De Nike geht auf die Unzufriedenheit innerhalb der Truppen ein, die in Demonstrationen und der Subkultur wie etwa Untergrundzeitungen ihren Ausdruck fand. Anni P. Baker befasst sich mit den Reaktionen auf die Anti-NATO-Proteste (von Bürgern, Stadtverwaltungen und staatlicher Seite) und Lou Marin, selbst ein Angehöriger der Friedensbewegung, mit den Reaktionen der GIs auf die deutsche Friedensbewegung und der dort teils betriebenen antiamerikanischen Propaganda. Ein hilfreicher Zahlenanhang zur Truppenstärke in Westdeutschland von 1945 bis 2000 schließt den gelungenen Band ab.
Zu den Streitpunkten zwischen Amerikanern und Deutschen gehören die Ahndung von NS-Verbrechen und die geheimdienstliche Tätigkeit. Diese Thematik verbindet Kerstin von Lingens Buch, das die Übersetzung ihres 2010 publizierten Werkes SS und Secret Service ist. Es schildert neben einer kurzen Vorstellung der Protagonisten Karl Wolff, einstmals Vertrauter Heinrich Himmlers und Höchster SS- und Polizeiführer in Italien, und Allen Dulles, dem späteren Chef des CIA, den Versuch Wolffs, in Zusammenarbeit mit dem damals für den amerikanischen Geheimdienst in der Schweiz stationierten Dulles eine Teilkapitulation der Wehrmacht in Italien zu erreichen, die als "Operation Sunrise" in die Geschichte einging. Allerdings blieb das Abkommen ohne größere Auswirkungen, da es erst am 2.5.1945 in Kraft trat. Anschließend werden die verschiedenen Ansätze von Amerikanern, Briten und Italienern zur Ahndung von Kriegsverbrechen vorgestellt und Wolffs Rolle als Zeuge in Nürnberg thematisiert, daraufhin Wolffs Prozess in München beleuchtet, um abschließend die geopolitischen Interessen der Alliierten zu diskutieren.
Die Autorin argumentiert, dass Wolff zunächst von Dulles und dem amerikanischen Geheimdienst geschützt wurde, als aber der Secret Service das Interesse an ihm verlor, fallen gelassen wurde und ohne die schützende Hand der Alliierten in die Mühlen der deutschen Justiz geriet. Nachvollziehbar ist, dass keine der beiden Seiten, weder die SS noch der amerikanische Geheimdienst OSS Interesse daran hatten, ihre Kontakte und die Ergebnisse der Verhandlungen der "Operation Sunrise" zu bekannt werden zu lassen. Wolff wurde aufgrund von Dulles' Wirken den Briten zur Entnazifizierung übergeben, weil deren Standards bekanntermaßen deutlich milder waren als die der Amerikaner. Der Prozess vor dem Landgericht München II wurde, so die Autorin, erst durch Opfergruppen initiiert.
Gegen das gut lesbare und mit Verve argumentierte Buch sind allerdings einige formale, methodische und inhaltliche Kritikpunkte zu erheben. Zu den formalen Fehlern gehören Falschschreibungen von Namen (Otto Bratfisch anstatt Bradfisch, 234; Jochen von Lange anstatt von Lang, 250), die den Lesefluss stören, ebenso aber auch irritierende falsche Behauptungen. So stellt die Autorin Dulles als Juraabsolventen von Princeton vor. Aficionados des amerikanischen Universitätswesens wissen, dass man eine Person, die von sich behauptet, Jura in Princeton studiert zu haben, getrost als Lügner oder Hochstapler bezeichnen kann: Es gab und gibt bis heute keine Law School in Princeton. Tatsächlich machte Dullen seinen Jura-Abschluss an der George Washington University. Dies ist ohne großen Aufwand im Internet zu eruieren, was von einer doch etwas zu flüchtigen Beschäftigung der Autorin mit einem der Hauptakteure ihrer Darstellung zeugt.
Bei der Methodik gilt immer noch: Je detaillierter die gewählte Fragestellung, umso sorgfältiger muss die Bibliografie sein. Während bei Überblicksstudien durchaus Abstriche bei der Vollständigkeit der Bibliografie erlaubt sind, sollten Fallstudien und Mikrogeschichten die relevante Literatur vollständig erfassen. Der Autorin, die nicht weniger als 13 ihrer eigenen Werke (d.h. etwa eine Seite der 14-seitigen Literaturliste) in die Bibliografie gesetzt hat, ist entgangen, dass sich schon 1964 eine Journalistin in einem Aufsatz mit dem Leben Karl Wolffs beschäftigte, die später ihre eigenen Erfahrungen mit Strafgesetz und Strafvollzug der Bundesrepublik Deutschland machen und selbst eine gewisse Berühmtheit erlangen sollte: Ulrike Meinhof. [2] Zukünftige Terroristin beschäftigt sich mit Rechtsterrorist - eigentlich ein gefundenes Fressen für Anhänger von Verschwörungstheorien - schade also, dass die Verfasserin sich durch Flüchtigkeit um einen interessanten Fund bringt. Auch beim deutschen Prozess gegen Wolff beließ es von Lingen bei der Einsicht in die Unterlagen der Zentralen Stelle Ludwigsburg anstatt sich mit den umfänglicheren Prozessakten im Staatsarchiv München auseinanderzusetzen.
Der dritte Kritikpunkt ist inhaltlicher Natur: Das Problem mancher Mikrostudien ist leider auch, dass sie so eingenommen sind von ihrem Gegenstand, dass sie es verabsäumen, ihr Beispiel im Vergleich mit anderen Fällen zu prüfen und generell den weiteren Kontext einzubeziehen, der vielleicht eine Differenzierung der steilen These erforderlich machen würde. So teilte beispielsweise - ohne jegliche erkennbare Intervention des OSS - der frühere HSSPF Russland-Mitte, Erich von dem Bach-Zelewski, das Schicksal Wolffs: von einer Anklage in Nürnberg verschont, weil er für die Anklage als Zeuge fungierte, 1951 lediglich von der Hauptspruchkammer München zur Höchststrafe, die Spruchkammern verhängen konnten, nämlich zu 10 Jahren Arbeitslager verurteilt, wurde er erst 1961 in Nürnberg-Fürth wegen eines Mordbefehls im "Röhm-Putsch" zu lebenslanger Haft verurteilt. Der Fall von dem Bach-Zelewskis stellt aber die von der Autorin behauptete Geheimdienstrolle bei der Verschonung von NS-Verbrechern stark in Frage. Wer sich mit Gerichtsurteilen (der Alliierten oder Deutschen) beschäftigt, weiß um die Zeitgebundenheit: das Wissen, das wir heute über Albert Speers Beteiligung an NS-Verbrechen haben, übertrifft die damalige Beweislage bei weitem - wäre es damals verfügbar gewesen, hätte es für ein Todesurteil ausgereicht. Es ist zwar keine beruhigende Vorstellung, aber justizielle Ermittlungen und Verfahren unterliegen eben auch einer gewissen Zufälligkeit, die nicht durch Strippenzieher im Hintergrund oder den amerikanischen Geheimdienst erklärbar ist.
Methodisch solide und vorbildlich recherchiert, mit transnationalem Ansatz und trotz aller "Schwere" des Gegenstands elegant und lesbar geschrieben, ist Laura Jockuschs Darstellung der Jüdischen Historischen Kommissionen in der frühen Nachkriegszeit. Während in Deutschland immer noch das Diktum vom "Beschweigen der Vergangenheit" (Hermann Lübbe) kursiert, zeigt die Arbeit von Laura Jockusch, dass sofort nach Kriegsende die Überlebenden selbst Quellen zum Holocaust sammelten und veröffentlichten, Ausstellungen organisierten, Ghetto-Lieder aufschrieben und Kunst der Shoah sicherten. Der Mythos des Schweigens dürfte damit endgültig ins Reich der Legende verwiesen werden. Neuere Schätzungen gehen davon aus, dass allein in den späten 1940er Jahren etwa 400 (!) Bücher und Zeitschriften jüdischer Überlebender über den Holocaust publiziert wurden - lange bevor es eine institutionalisierte Holocaust-Forschung gab. [3] Problematisch ist nicht nur, dass diese frühen Anstrengungen lange nicht wahr genommen wurde - einer weiteren Öffentlichkeit ist die Arbeit der Jüdischen Historischen Kommissionen erst durch den Band "Kinder über den Holocaust" bekannt [4] - sondern auch dass die frühen Protagonisten der Holocaust-Forschung bis heute schnöde ignoriert werden. So hält sich bis dato die Vorstellung, dass die Holocaust-Forschung erst in den 1960er Jahren von professionellen Historikern begonnen wurde, während die Überlebenden unfähig (oder auf alle Fälle nicht "objektiv" genug!) gewesen seien, um sich wissenschaftlich mit dem Genozid zu beschäftigen.
Jockuschs Buch aber führt den Leser in einen Kosmos jüdischen Schaffens nach der Katastrophe. Wie weiterleben, wenn das Schlimmste schon passiert ist? Für die Angehörigen der Historischen Kommissionen in den Displaced Persons Lagern gab es eine Antwort: Quellen sammeln, Bücher schreiben, um wenigstens dem Vergessen entgegenwirken. Die Menschen waren ermordet worden, aber Tagebücher, Briefe, Fotos kündeten weiter von ihnen und ihrem entsetzlichen Tod. Zwar waren die meisten Mitglieder der Historischen Kommissionen keine ausgebildeten Historiker, doch was ihnen an Professionalität fehlte, machte ihr Eifer in mancher Hinsicht wieder wett.
Die Historischen Kommissionen aus fünf Ländern (Frankreich, Polen, Deutschland, Österreich und Italien) stehen im Mittelpunkt von Jockuschs Analyse, die die Dekade von der Gründung der ersten jüdischen historischen Kommission in Frankreich 1943 bis zum Beschluss der Schaffung von Yad Vashem 1953 umfasst. Sie fragt, wer die Angehörigen dieser jüdischen historischen Kommissionen und was ihre Motive waren, welches Material sie sammelten und welche Methoden sie verwendeten, inwiefern sie Rückgriffe auf die Zeit vor dem Holocaust machten oder eine eigene Historiografie schufen, wie ihre Interaktion mit Juden und Nicht-Juden aussah, was die Ergebnisse ihrer Arbeit waren und welche Narrative sie vermittelten.
Das erste Kapitel gibt einen Überblick über die Tradition der jüdischen Historiografie nach Pogromen und Katastrophen, die sogenannte khurbn-forshung (wörtlich Vernichtungsforschung), die ihre Wurzeln in Osteuropa hat. Obwohl Juden aus Mittel- und Westeuropa keine derartige Tradition hatten, entstanden auch hier bereits während der NS-Herrschaft erste Quellensammlungen wie etwa die Sammlung von Alfred Wiener, die heute in London befindlich ist und allein über 350 zeitgenössische jüdische Augenzeugenberichte zum Novemberpogrom 1938 beinhaltet.
In Frankreich begann die Dokumentation bereits 1943 noch unter dem Vichy-Regime in Grenoble, in Paris entstand schließlich das Centre de Documentation Juive Contemportaine, das eigene Monatsschriften und verschiedene Buchreihen herausgab. Frühe Veröffentlichungen umfassten die Durchgangslager in Gurs oder Drancy ebenso wie Darstellungen zum jüdischen Widerstand in Frankreich oder den ins Französische übersetzten Stroop-Bericht aus dem Warschauer Ghetto. Finanziert wurden die Projekte teils vom American Jewish Joint Distribution Committee.
Im befreiten Lublin in Polen entstand im August 1944 die Zentrale Jüdische Historische Kommission, die Augenzeugenberichte von Ghetto- und Lagerinsassen, Partisanen, Flüchtlingen und in die Sowjetunion Deportierten ebenso wie von Juden in Verstecken zu sammeln begann. Ihr Direktor war Philip Friedman, der in Wien promoviert hatte, zu den Mitarbeitern gehörte Joseph Wulf, der Auschwitz überlebt hatte. Im März 1945 zog die Kommission nach Lodz, das als inoffzielle Hauptstadt und jüdisches Zentrum von Nachkriegspolen fungierte. Bis zum Sommer 1945 gelang es, fünf Bezirkskommissionen in Krakau, Breslau, Warschau, Bialystok und Kattowitz sowie 21 lokale historische Kommissionen zu etablieren. Differenzierte Fragebögen und Gespräche sollten zumindest die Reste dessen, was einmal Europas größte und blühendste jüdische Gemeinschaft gewesen war, retten. Bis 1947 waren bereits 3000 Holocaust-Zeugnisse von Überlebenden gesammelt worden, außerdem wurden Dokumente von der deutschen Ghettoverwaltung und den Judenräten zusammengestellt. Philip Friedmann veröffentlichte 1945 eine erste Monografie zu Auschwitz-Birkenau, die auf Dokumenten und Berichten von Überlebenden basierte. Andere schrieben zu jüdischen Gemeinden unter deutscher Besatzung. Daneben wurden Anfragen von Überlebenden nach Angehörigen beantwortet und Hilfe bei der Ermittlung von NS-Verbrechen in Polen geleistet.
Der Historischen Kommission war insbesondere daran gelegen, das Bild der Juden als passive Opfer zu korrigieren, weswegen sie den heldenhaften Kampf und Aufstand etwa im Warschauer Ghetto, in Bialystok, Wilna, Treblinka und Sobibor betonte. Wegen der wachsenden Stalinisierung verließen die meisten Gründungsmitglieder der Historischen Kommission Polen. Obwohl ein wichtiges Ziel, die Institutionalisierung der Holocaust-Forschung, mit dem 1947 gegründeten Jüdischen Historischen Institut erreicht war, war unabhängige Forschung nicht mehr möglich. Linientreue Kommunisten ersetzten die Forscher, der Holocaust musste als Folge des deutschen Monopolkapitalismus und Imperialismus beschrieben werden.
Die Geschichte der Historischen Kommissionen in Deutschland, Österreich und Italien ist mit den dort existierenden Displaced Persons-Lagern eng verbunden, wo zwischen 250.000 und 330.000 Juden lebten, die sich als "Rest der Geretteten" (She'erit Hapletah) sahen. [5] In München war die Zentrale Historische Kommission im November 1945 entstanden. Ihr Direktor war Israel Kaplan, der Kaunas, Riga-Kaiserwald und das Dachauer KZ-Außenlager Kaufering überlebt hatte. Ab August 1946 bis Dezember 1948 erschien die jiddische historische Zeitschrift Fun Letstn Khurbn (Von der letzten Vernichtung) in München. Mit fieberhaftem Eifer wurden Zeugnisse gesammelt, selbst Schulkinder in den Displaced Persons-Lagern aufgefordert, Aufsätze zu ihren Erinnerungen an die NS-Herrschaft zu schreiben. Umfragen wurden auch an deutsche Oberbürgermeister und Landräte gerichtet, die über das Schicksal der deutschen Juden vor Ort Bescheid geben mussten. Von 1945 bis 1948 wurden 2550 Zeugnisse (darunter 300 von Kindern und Jugendlichen) gesammelt. Die Münchner Zentrale Historische Kommission löste sich im Januar 1949 mit der Emigration Kaplans auf.
In der Britischen Zone konzentrierte sich die historische Arbeit in den Kommissionen in Belsen und Göttingen, deren Arbeit bis zum Herbst 1949 fortgesetzt wurde. In Linz benannte Simon Wiesenthal die Jüdische Historische Kommission 1947 in Jüdische Historische Dokumentation um, ihr primäres Ziel war die Unterstützung der Ahndung von NS-Verbrechen durch die Sammlung von Dokumenten. Ein ähnliches Vorhaben betrieb Towia Frydman in Wien. In Italien schließlich dominierte die Partisanenbewegung die Historischen Kommissionen. Dort wurde die Zeitung "Farn Folk" (Für das Volk) in Rom ab August 1946 publiziert. Geplant waren auch ein "Partisanenalmanach", eine Art Handbuch über die jüdischen Partisanen, und ein Yitzkor Buch (Gedenkbuch) für die gefallenen Partisanen, die jedoch an Druckproblemen und Geldmangel scheiterten.
Ein letztes Kapitel geht auf die Verbindungen zwischen den einzelnen Historischen Kommissionen ein und auf die frühen Versuche, ein Netzwerk der Holocaustforscher zu gründen. Philip Friedman hatte schon 1947 bemerkt, dass nur ein "Kollektiv" von Forschern die immensen Forschungsaufgaben bewältigen könne. Bereits im Mai 1945 wurde die Frage einer Konferenz der jüdischen historischen Kommissionen und Dokumentationsprojekte angesprochen, die dann in Paris im Dezember 1947 mit einem Treffen von 32 Delegierten aus 13 Nationen im Centre de Documentation Juive Contemporaine realisiert wurde. Es ging um nicht mehr und nicht weniger als die Etablierung einer jüdischen Historiografie des Holocaust.
Die Fragen, die von den Historischen Kommissionen und bei der Konferenz in Paris aufgeworfen wurden, bewegen Historiker heute noch: wie mit der bruchstückhaften Quellen umgehen? Wie objektiv kann ein Zeitzeuge sein, wie kann der Gegensatz zwischen Geschichte und Gedächtnis überbrückt werden? Mit welcher Sprache die unaussprechlichen Verbrechen schildern? Gab es eine gemeinsame jüdische Holocaust-Erfahrung und was ist der Zweck von Holocaust-Forschung? Wie bei Historikern nicht anders zu erwarten, überwog die Uneinigkeit. Osteuropäische Juden kritisierten die Dominanz der französischen Verfolgungserfahrungen auf der Konferenz, die dazu führten, dass Ghettos und Vernichtungslager fast nicht erwähnt wurden. Die Konferenzsprachen Französisch und Jiddisch schlossen einige Teilnehmer von vornherein von einer Teilhabe an der Diskussion aus. Noch standen nationale Belange zu stark im Vordergrund, um das ambitionierte transnationale Vorhaben durchführbar zu machen. Beeindruckend ist, dass manches, was erst jetzt als innovativer Ansatz gewürdigt wird, schon damals im Kern angedacht war, wie beispielsweise vergleichende Studien zur NS-Besatzungspolitik oder eine integrale Einbeziehung von Quellen der Opfer und Täter.
Laura Jockusch ist ein außergewöhnliches Buch zur Geistes- und Wissenschaftsgeschichte gelungen, das den Beginn der Holocaust-Forschung beschreibt, aber auch einen Beitrag zur Institutionengeschichte leistet, indem es den Weg der Sammlungen der Historischen Kommissionen bis nach Yad Vashem in Jerusalem oder ins YIVO Institut in New York nachzeichnet. Auf beeindruckende Weise zeigt dieses Werk, wie viel über die vermeintlich bekannte Geschichte der Nachkriegszeit uns völlig neu ist.
Anmerkungen:
[1] Vgl. Friedrich Kießling: Die undeutschen Deutschen. Eine ideengeschichtliche Archäologie der alten Bundesrepublik 1945-1972, Paderborn 2012; Jörg Echternkamp: Die Bundesrepublik Deutschland 1945/49-1969, Paderborn 2013.
[2] Ulrike Marie Meinhof: Das "einwandfreie" Leben des Waffen-SS-Generals Karl Wolff, in: Blätter für deutsche und internationale Politik 9 (1964), 906-910.
[3] Eva-Maria Thimme / Sophia Charlotte Fock: Zurück ins Land der Scheiterhaufen. Die Sammlung Literatur aus DP-Lagern in der Berliner Staatsbibliothek, in: Publizistik in jüdischen Displaced-Persons-Camps im Nachkriegsdeutschland, Frankfurt am Main 2014, 97-110. Stefan Wimmer: Publikationen aus jüdischen DP-Camps an der Bayerischen Staatsbibliothek, ebd., 169-183.
[4] Feliks Tych u.a. (Hgg.): Kinder über den Holocaust. Frühe Zeugnisse 1944-1948. Interviewprotokolle der Zentralen Jüdischen Historischen Kommission in Polen, Berlin 2008.
[5] In diesem Zusammenhang sei auch auf die frühe Dokumentation des aus Lettland stammenden amerikanischen Psychologen David P. Boder hingewiesen, der im Jahr 1946 zahlreiche Tonbandaufnahmen von Überlebenden anfertigte, die übers Internet abrufbar sind: http://voices.iit.edu Vgl. auch David P. Boder: Die Toten habe ich nicht befragt, Heidelberg 2011.
Edith Raim