Agnieszka Zagańczyk-Neufeld: Die geglückte Revolution. Das Politische und der Umbruch in Polen 1976-1997, Paderborn: Ferdinand Schöningh 2014, 454 S., ISBN 978-3-506-76619-9, EUR 44,90
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Je länger der Zusammenbruch des osteuropäischen Staatssozialismus zurückliegt, desto unbefangener scheinen die Ereignisse des Epochenjahrs 1989 als Revolutionen gedeutet zu werden: Die Rede von der "friedlichen Revolution" in der DDR, von der "samtenen Revolution" in der Tschechoslowakei oder den "singenden Revolutionen" in den baltischen Ländern ist in Gedenkkultur und Historiographie inzwischen fest etabliert. Allein für Polen, den unbestrittenen Vorreiter des Wandels im östlichen Europa, kommt der Begriff der Revolution nicht so leicht über die Lippen - zu offen liegt der Gegensatz zwischen dem Aufbegehren der Solidarność-Bewegung von 1980/81 und dem im Klima gesellschaftlicher Erschöpfung ausgehandelten Elitenkompromiss des Runden Tisches zutage. Entsprechend kontrovers wird die Tragfähigkeit des Revolutionsbegriffs für den polnischen Weg aus dem Staatssozialismus in der dortigen Zeitgeschichtsforschung diskutiert. [1]
Vor diesem Hintergrund lässt der Titel des Buches von Agnieszka Zagańczyk-Neufeld aufhorchen, das auf ihrer Bochumer Dissertation basiert und den "Umbruch in Polen" als "geglückte Revolution" deutet. Die geweckten Erwartungen verfliegen jedoch rasch, denn der Begriff der Revolution findet sich im Text nur sporadisch wieder und bleibt für die Analyse marginal. Überdies laufen die Ergebnisse der Studie, die eine eher skeptische Sicht auf den Transformationsprozess von 1989 enthüllen und die Persistenz ideengeschichtlich hergeleiteter Hegemonieverhältnisse unterstreichen, dem Interpretament der "geglückten Revolution" diametral zuwider.
Ausgangspunkt der Studie ist vielmehr die produktive Irritation darüber, dass die mehrfach gebrochene Geschichte der polnischen Opposition gegen den Staatssozialismus sich teleologischen Erfolgsnarrativen, wie sie in der polnischen Historiographie dominieren, im Grunde versperrt. Wie war es eigentlich möglich, so die Leitfrage von Zagańczyk-Neufeld, dass sich die Protagonisten von Regime und Opposition nur wenige Jahre nach dem kollektiven Überschwang der Solidarność und der Eskalation während der Zeit des Kriegsrechts an einen Tisch setzten und zum Kompromiss die Hand reichten? Um diese Frage zu beantworten, greift sie auf Carl Schmitts Theorie des Politischen als Freund-Feind-Verhältnis sowie auf die Konzeption der agonistischen Diskurshegemonie von Ernesto Laclau und Chantal Mouffe zurück. Anhand einer unvoreingenommenen, erneuten Lektüre der zeitgenössischen Diskurse über die Wahrnehmung des jeweiligen politischen Gegners möchte sie Veränderungen in den Vorstellungen herausarbeiten, die sich beide Seiten vom politischen Konflikt machten. Ein solcher "Wandel des Denkens über das Politische" sei, so ihre Prämisse, Voraussetzung für Veränderungen der "praktischen Politik" gewesen (8f.).
Zagańczyk-Neufeld geht ihre Untersuchung chronologisch an. Nach zwei einleitenden Kapiteln, die den theoretischen Zugriff sowie den historischen Hintergrund erläutern, wendet sie sich ihrem Gegenstand in vier analytischen Hauptkapiteln zu. Die Abgrenzung der vier Phasen folgt dabei den bekannten ereignisgeschichtlichen Zäsuren: Zunächst wird die "Erschütterung der Hegemonie" durch die Oppositionsgruppen der späten 1970er Jahre und die Solidarność-Bewegung untersucht. Anschließend deutet die Autorin die Zeit des Kriegsrechts 1981-1983 als "Wende im Denken des Politischen" und verfolgt mit der Vorgeschichte des Runden Tisches 1983-1989 den Weg der "Realisten" an die Macht, bevor sie schließlich die "neue agonistische Konstellation" im demokratischen Polen bis zur Verabschiedung der Verfassung 1997 in den Blick nimmt. In dem nachvollziehbaren Bemühen, auch dem mit den polnischen Verhältnissen wenig vertrauten Leser das Verständnis zu erleichtern, trennt die Autorin nicht konsequent zwischen der Analyse des Diskurses über das Politische und der Darstellung der politischen Ereignisgeschichte. Dies bringt nicht nur Redundanzen mit sich, sondern ist leider auch der Stringenz der Argumentation abträglich.
Schwerer wiegt jedoch die über weite Strecken unausgewogene Quellengrundlage: So stützt Zagańczyk-Neufeld ihre Analyse des Parteidiskurses in erheblichem Maße auf die retrospektive Memoirenliteratur der Parteielite wie die "Politischen Tagebücher" des führenden Reformkommunisten Mieczysław Rakowski und die nach 1989 publizierten Schriften Wojciech Jaruzelskis. Zeitgenössische offizielle Verlautbarungen zitiert sie meist nicht nach dem Original, sondern nach dem "Archiv der Gegenwart". Auch für die Diskurse der Opposition zieht sie in hohem Maße retrospektive Erinnerungen sowie Nachdrucke von Artikeln der Untergrundpresse in westlichen Exilzeitschriften wie der Pariser "Kultura" heran. Gerade im Hinblick auf führende Akteure wie Rakowski und Jaruzelski gibt sie deren nachträglichen Rechtfertigungsdiskursen erstaunlich viel Raum und folgt durchweg ihren Selbstinszenierungen als "Parteireformer" bzw. als überlegener "Stratege". Die problematische Quellenauswahl mag auch dazu beitragen, dass die Autorin den Zeitgenossen bisweilen mit dem wisdom of hindsight spezifische Deutungsmuster unterstellt, deren Genese es eigentlich zu rekonstruieren gälte. So behauptet sie schon für 1983, es sei "klar" gewesen, dass die Planwirtschaft nicht mehr zu retten gewesen sei (230). Ihren selbst formulierten Anspruch, die zeitgenössische Wahrnehmung des Politischen diskursanalytisch freizulegen, kann sie somit nicht durchgängig einlösen.
Solche methodischen Unsauberkeiten leisten gemeinsam mit sprachlichen Schwächen mancher Stilblüte und leider auch gravierenden Fehlurteilen Vorschub. Wenn Zagańczyk-Neufeld die "neopositivistische Strategie der Solidarność-Führung in den Jahren 1976-1981" (sic!) auf die "Angst [der oppositionellen Eliten] vor dem Verlust der politischen und sozialen Sicherheit" zurückführt (159), mag man das noch als eigenwillige Wertung hinnehmen. Dass sie aber die ersten Monate des Kriegsrechts, mithin einen Höhepunkt staatlicher Repressionspolitik, euphemistisch zu einer "Zeit der mehr oder weniger friedlichen Koexistenz von Regime und Opposition" umdeutet (204), ist schlichtweg verfehlt. Auf tönernen Füßen steht auch die wiederholt vorgetragene Kritik der Autorin an der polnischen Forschung, deren Ergebnisse sie gleichwohl nur selektiv rezipiert. [2]
Die zentrale These ihres Buches, es sei im Laufe der 1980er Jahre "zu einer wichtigen Veränderung im Denken über das Politische" gekommen, in deren Verlauf "aus existentiellen Feinden [...] politische Gegner" wurden (349), macht die Autorin trotz der genannten Mängel plausibel. Für ihre Datierung des diskursiven Wandels auf die Zeit des Kriegsrechts kann sie hingegen keine überzeugenden Belege beibringen, da ihre Untersuchung für diesen Zeitraum überwiegend den Entwicklungen der "praktischen Politik" nachgeht. Demgegenüber gewichtet sie den diskursiven Wandel in den Jahren nach 1983 insgesamt zu gering.
Vor allem aber bleibt ihre Erklärung für diesen Prozess allzu schematisch. Offenkundig verstellt gerade die Fokussierung auf die Macht- und Konfliktdimension von Politik, die mit dem Rückgriff auf Schmitt verbunden ist, den Blick auf die komplexe Dynamik, die für die Konturen des Politischen im Übergang von der Einparteiendiktatur zur pluralen Demokratie charakteristisch war. Dass der politische Raum durch die Schaffung von Gegenöffentlichkeiten und das Sichtbarmachen von politischen Alternativen überhaupt erst einmal als solcher konstitutiert werden musste, blendet Zagańczyk-Neufeld weitgehend aus. Stattdessen erliegt sie der Versuchung, Konflikte stets als Konstellationen antagonistischer Gegenkräfte zu deuten, die um hegemoniale Deutungsmacht kämpfen. Bei ihr stehen sich deshalb stets "linke" und "rechte" Oppositionelle, "Fundamentalisten" und "Pragmatiker", "Parteireformer" und "Dogmatiker" gegenüber, ohne dass klar würde, wie sich diese Zuschreibungen jeweils aus der diskursiven Gemengelage ergäben.
Ihrer ideengeschichtlichen Lesart des Hegemonie-Konzepts von Laclau / Mouffe folgend, interessiert sich die Autorin zudem mehr für die Kontinuitäten hegemonialer Diskurse als für die Frage, wie sich diskursive Hegemonie unter veränderten Rahmenbedingungen jeweils aufs Neue etablierte. Indem sie situativ ganz unterschiedlich auftretende politische Haltungen schematisch auf Traditionsmuster der polnischen Ideengeschichte des 19. Jahrhunderts zurückführt und schlussendlich additiv als "Diskurs der Neopositivisten / Evolutionisten / Realisten / Liberalen" zusammenfasst (340), nivelliert sie letzten Endes den historischen Wandel der untersuchten Diskurse zugunsten abstrakter überzeitlicher Kategorien. Erwägungen über das dissidentische Credo der "Anti-Politik" sucht man bei ihr folglich ebenso vergebens wie Hinweise auf das Aufkommen des Zivilgesellschafts-Diskurses ab Mitte der 1980er Jahre. Dem Liberalismus wendet sie sich gar erst in einem knappen Exkurs auf den letzten Seiten ihres Buches zu, nur um ihn umstandslos dem "linken" bzw. "linksliberalen" Spektrum zuzuordnen.
Zagańczyk-Neufelds Studie lenkt den Blick zu Recht auf den bislang wenig beachteten diskursiven Wandel, der in Polen seit Mitte der 1980er Jahre den Übergang vom antagonistischen Politikverständnis beider Konfliktparteien zum partnerschaftlichen Zivilgesellschafts-Diskurs der Transformationseliten ermöglichte. Umso bedauerlicher ist es, dass sie die Dimensionen dieses tiefgreifenden Wandels aufgrund der unausgewogenen Quellenbasis und des dichotomisierenden Interpretationsansatzes ihrer Arbeit nicht recht zu fassen bekommt. Der Mehrwert des gewählten theoretischen Zugriffs für die historische Erklärung des in der Tat widersprüchlichen polnischen Wegs aus dem Staatssozialismus bleibt damit offen.
Anmerkungen:
[1] Siehe etwa die Podiumsdiskussion führender polnischer Zeithistoriker unter dem Thema "Solidarność" - rewolucja, powstanie czy reforma? Dyskusja panelowa ["Solidarność" - Revolution, Aufstand oder Reform?]. In: Andrzej Friszke / Krzysztof Persak / Paweł Sowiński (Hgg.): Solidarność od wewnątrz. 1980-1981. Warszawa 2013, 343-360.
[2] Ignoriert wird etwa Andrzej Friszkes quellengesättigtes Standardwerk zur Opposition der 1970er Jahre: Czas KOR-u. Jacek Kuroń a geneza Solidarności [Die Zeit des KOR. Jacek Kuroń und die Genese der Solidarność]. Kraków 2011.
Florian Peters