Prince Ferdinand Schwarzenberg: Journal de la Cour de Vienne (1686-1688). Texte édité et annoté par Jean Bérenger (= Bibliothèque d'études de l'Europe Centrale; No. 12), Paris: Editions Honoré Champion 2013, 264 S., ISBN 978-2-7453-2550-1, EUR 55,00
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Die Erforschung des Wiener Hofes im 17. und 18. Jahrhundert hat seit einer Reihe von Jahren enorme Fortschritte zu verzeichnen. Freilich war der Nachholbedarf enorm, wenn man als Vergleichsmaßstab die lange Zeit wesentlich zahlreicheren Studien zum Versailles Ludwigs XIV. heranzieht. Und immer noch bleibt einiges zu tun, um diesen bedeutendsten Hof im Heiligen Römischen Reich deutscher Nation zu erfassen, der ein ganz anderes Profil als der französische aufwies und ein wichtiger Referenzpunkt für zahlreiche kleinere, vor allem deutsche Höfe war. Von daher ist es höchst willkommen, dass Jean Bérenger, der beste französische Kenner Österreichs im Zeitalter Leopolds I. (reg. 1657/58-1705), mit der anzuzeigenden Publikation eine Quellenedition vorgelegt hat, die eine Innensicht des Wiener Hofs bietet und zugleich zumindest in Teilen als Ego-Dokument bezeichnet werden kann.
Der Autor des "Journal", Ferdinand von Schwarzenberg (1653-1703), ist ein weit weniger bekannter (und nach allgemeiner Auffassung auch weniger bedeutender) Staatsmann als sein Vater Johann I. Adolf, der es unter Leopold I. bis zum Reichshofratspräsidenten gebracht und für sein Haus die Reichsfürstenwürde erworben hatte. Doch auch Ferdinand konnte eine beachtliche Karriere vorweisen: Er war ab 1678 Oberststallmeister der Kaiserinwitwe Eleonora Gonzaga-Nevers, seit 1683, dem Todesjahr seines Vaters, Geheimer Rat und wurde 1685 zum kaiserlichen Oberststallmeister erhoben. Später wurde er dann Obersthofmeister der regierenden Kaiserin Eleonore Magdalena von Pfalz-Neuburg (9-11). Er hatte also einige der angesehensten Ämter am Wiener Hof inne; in den allerengsten Kreis der führenden Entscheidungsträger schaffte er es dagegen nicht.
Von Ferdinand von Schwarzenberg sind zwei Tagebuch-Fragmente erhalten, das vorliegende, das im Archiv Krumlov (Tschechien) überliefert wurde und auch im Original französischsprachig ist, und ein deutschsprachiges, das die Jahre 1697/98 abdeckt. Warum Schwarzenberg genau diese Jahre in einem Tagebuch behandelt hat bzw. ob es weitere, verlorengegangene Tagebücher gegeben hat und wie der Wechsel von der französischen in die deutsche Sprache begründet ist, ist nicht bekannt (15).
Der Quellentext wird von Jean Bérenger ausführlich und kenntnisreich eingeleitet. Er stellt nicht nur den Verfasser, sondern auch das Habsburgerreich, die kaiserliche Familie und den Hof mit seinen Regierungsinstitutionen vor. Der Akzent liegt dabei auf der österreichisch-dynastischen Dimension der Herrschaft Leopolds I., aber auch die in Wien angesiedelten Reichsinstitutionen werden behandelt (41-46). Als wichtige Themen, die den Wiener Hof in den Jahren 1686 bis 1688 beschäftigten, werden der Große Türkenkrieg, der Konflikt mit dem ludovizianischen Frankreich, der auf einen neuen Krieg im Westen hinauslief, und die Krönung Erzherzog Josephs zum König von Ungarn im Dezember 1687 vorgestellt.
Den Aussagewert des Journals sieht Bérenger in seiner "Analyse du texte" (67-78) vor allem auf der Ebene der "affaires personelles" Schwarzenbergs (67f.) und in seinen Ausführungen zur kaiserlichen Familie (68f.), zum "personnel gouvernemental" (69-71), zu den Reichsangelegenheiten, dem Türkenkrieg und der Situation in Ungarn (71-78). Diese inhaltlichen Akzente spiegelt auch das Quellen- und Literaturverzeichnis (245-253) wieder, das besonders im Bereich der Politik- und Verfassungsgeschichte sehr ausführlich ist, einige Aspekte der neueren Hofgeschichtsforschung dagegen weniger intensiv erschließt.
Die eigentliche Edition umfasst circa 150 Seiten (81-231) und deckt die Zeit von November 1686 bis Januar 1688 ab, freilich äußerst ungleichmäßig. Insbesondere gibt es eine etwa halbjährige Lücke vom 4. Januar bis zum 14. Juli 1687. Für die übrige Zeit liegen nahezu tägliche Einträge vor, die jedoch sehr unterschiedlich lang und tiefgehend sind. Der wissenschaftliche Apparat ist eher schlank gehalten (da es beispielsweise keine Textvarianten gibt, kann er das auch sein), enthält aber Angaben zu Personen, erschließt die im Text genannten Orte und liefert zahlreiche weitere Informationen, etwa zu Zeitangaben, Münzwerten und Ereignissen. Lückenlos sind diese Angaben freilich nicht; so fällt auf, dass zu den meisten Frauen, die erwähnt werden, keine Erläuterungen dargeboten werden.
Das ist insofern bedauerlich, als die Quelle eine Fülle von Informationen auch zu den adligen Frauen am Wiener Hof enthält. Gerade für Schwarzenberg, der im Dienste zweier Kaiserinnen stand, war die weibliche Komponente der höfischen Netzwerke offenbar von erheblichem Interesse. So berichtet er recht ausführlich über Krankheit, Tod, Beisetzung und Erbe der 1686 verstorbenen Kaiserinwitwe Eleonora Gonzaga-Nevers (85, 97-99, 101, 120, 123, 136, 163) und verfolgt mit großer Aufmerksamkeit die Besetzung des Postens der Obersthofmeisterin der regierenden Kaiserin Eleonore Magdalena von Pfalz-Neuburg (102f.).
Auch das in den letzten Jahren so intensiv untersuchte Hofzeremoniell wird in der Quelle immer wieder thematisiert, beispielsweise im Zusammenhang mit dem Besuch des Herzogs von Mantua am Kaiserhof, der wegen der zunehmend frankophilen Politik Herzog Ferdinando Carlos politisch höchst sensibel war. In diesem Zusammenhang kam es zu einem der an den frühneuzeitlichen Höfen so zahlreichen Zeremonialkonflikte, als der Herzog einen Lehnstuhl als Sitz beim Diner mit dem Kaiser beanspruchte und ihm daraufhin nahegelegt wurde, unter dem Vorwand einer gesundheitlichen Indisposition in seinem Appartement zu speisen (104-107).
Durch die umfangreiche Einleitung, den wissenschaftlichen Apparat, das Glossar (233-239) und die Zeitleiste (241-243) sowie das Personen- und Ortsregister ist die Quelle so gut erschlossen, dass die Edition auch in der universitären Lehre eingesetzt werden kann. Vor allem aber stellt sie der Wissenschaft weiteres Material bereit, um die Erforschung eines der wichtigsten Höfe des 17. Jahrhunderts weiter voranzutreiben.
Matthias Schnettger