Stefanie Knöll (Hg.): Narren - Masken - Karneval. Meisterwerke von Dürer bis Kubin aus der Düsseldorfer Graphiksammlung 'Mensch und Tod', Regensburg: Schnell & Steiner 2009, 182 S., ISBN 978-3-7954-2109-0, EUR 34,90
Inhaltsverzeichnis dieses Buches
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Diese Rezension erscheint auch in KUNSTFORM.
Tanya J. Tiffany: Diego Velázquez's Early Paintings and the Culture of Seventeenth-Century Seville, University Park, PA: The Pennsylvania State University Press 2012
Marcus Wood: Black Milk. Imagining Slavery in the Visual Cultures of Brazil and America, Oxford: Oxford University Press 2013
Eckhard Leuschner / Thomas Wünsch (Hgg.): Das Bild des Feindes . Konstruktion von Antagonismen und Kulturtransfer im Zeitalter der Türkenkriege. Ostmitteleuropa, Italien und Osmanisches Reich, Berlin: Gebr. Mann Verlag 2013
Die künstlerische Auseinandersetzung mit dem Sterben und dem Tod gehört zu den klassischen Forschungsgebieten der Kunstgeschichte. In den letzten Jahren hat die interdisziplinäre Beschäftigung mit dem Thema dazu beigetragen, die Forschung durch neue Fragestellungen und Diskussionen zu bereichern. So werden beispielsweise auf der seit 2010 jährlich ausgerichteten "Transmortale" in Kassel Forschungsansätze zu Sterben, Tod und Trauer über die Disziplinen hinweg erörtert und verknüpft. Die vielschichtige Beziehung der Todesthematik zur Figur des Narren in der Bildenden Kunst des Mittelalters und der Frühen Neuzeit hat ebenfalls zahlreiche Veröffentlichungen hervorgebracht. Grundlagenarbeit auf diesem Gebiet leistete insbesondere der Ethnologe und Fastnachtsforscher Werner Mezger. Die vorliegende Publikation "Narren - Masken - Karneval" knüpft thematisch hier an. Sie wurde als Auftakt einer Reihe von Katalogen konzipiert, welche die Grafiksammlung "Mensch und Tod" des Instituts für Geschichte der Medizin an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf thematisch erschließen sollen. Diesem Vorhaben entsprechend ist das Buch in einen Aufsatz- und einen Katalogteil gegliedert. Neben der generellen wissenschaftlichen Erforschung der Sammlung verfolgt die Publikation ein weiteres Ziel: Im Vorwort weist die Herausgeberin Stefanie Knöll darauf hin, dass neuere Zeugnisse und damit die Kontinuität des Assoziationsgeflechts Narr und Tod in der Forschung bisher weitgehend unbeachtet geblieben seien. Um diese Lücke zumindest ansatzweise zu schließen, ziele die Publikation darauf ab, neben mittelalterlichen und frühneuzeitlichen auch Darstellungen des 19. und 20. Jahrhunderts erstmals systematisch anhand interdisziplinärer Fragestellungen zu untersuchen.
Die ersten drei Aufsätze sind dem Thema "Narr" gewidmet. Thorsten Noacks Aufsatz zum Wandel medizinischer und gesellschaftlicher Konzepte des Wahnsinns fungiert einleitend als ein Abriss der Geschichte der Narrheit vom 13. Jahrhundert bis in die Gegenwart. In seinem Fazit resümiert der Medizinhistoriker, dass Narrenbilder der Vergangenheit und der Gegenwart kaum mehr Parallelen aufweisen würden. Die Narrheit bzw. der Wahnsinn halte der Gesellschaft keinen Spiegel mehr vor, sondern sei zum gesellschaftlich Stigma und bloßen medizinischen Symptom verkommen. Dem lässt sich entgegnen, dass eine Gesellschaft kein sonderlich positives Bild von sich zu vermitteln vermag, wenn psychisch kranke Menschen stigmatisiert und ausgegrenzt werden. Dies haben auch Politiker erkannt, die in ihren Reden anführen, die Zivilisation bzw. Menschlichkeit einer Gesellschaft könne danach beurteilt werden, wie sie ihre schwächsten Mitglieder behandle. Auch auf künstlerischer Ebene werden Narrheit und Wahnsinn nach wie vor als mahnende Sinnbilder eingesetzt und als solche verstanden. Die beiden anderen Beiträge zur Thematik des Narren behandeln kunsthistorische Fragen. Sophie Oosterwijk thematisiert in ihrem Aufsatz die Beziehung von Narr und Tod in Deutschland, England und Frankreich, um zu demonstrieren, wie eng beide miteinander verbunden sind. Einen engeren Bezugsrahmen wählt Michael Overdick in seinem Aufsatz, der fünf Darstellungen von Tod und Verdammnis in den Illustrationen zu Sebastian Brants "Narrenschiff" einer ikonografischen Analyse unterzieht.
Die folgenden drei Beiträge sind im Themenkomplex "Maske" zusammengefasst. Wenn auch nicht alle dieses Thema behandeln, folgen doch alle drei dem Ziel der Publikation, den Schwerpunkt auf Darstellungen des 19. und 20. Jahrhunderts zu legen. So befasst sich Anja Schonlau mit allegorischen Seuchendarstellungen in Gerhart Hauptmanns Pestdrama "Die schwarze Maske" (1928), während Miriam Seidler sich mit dem Tod im Puppentheater des 19. Jahrhunderts auseinandersetzt. Ebenfalls aus dem 19. Jahrhundert datieren die drei Maskenball-Darstellungen, die Stefanie Knöll in Verbindung mit Tod und Totentanz untersucht. Bei den Lastern der Maskierten, darunter Leichtsinn, Vergnügungssucht und Selbstverliebtheit, handelt es sich laut Knöll um traditionelle Eigenschaften der Narrenfigur. Diese seien am Ende des 18. Jahrhunderts auf Maske und Maskenball übertragen worden, als der Narr als Personifikation von Sünde und Gottlosigkeit obsolet geworden sei. Diese Interpretation vernachlässigt etwas das breite Bedeutungsspektrum der Narrenfigur; auch lassen sich sündhafte Eigenschaften nur zu leicht als "närrisch" interpretieren.
"Karneval" ist das Thema der letzten drei Aufsätze. Hier untersucht Ruth von Bernuth die Bedeutung des Todes im Fastnachtspiel des 15. und 16. Jahrhunderts und Gertrude Cepl-Kaufmann analysiert Carl Zuckmayers Erzählung "Die Fastnachtsbeichte" (1959). Einen interessanten Ausblick auf den Eingang von Todes- und Jenseitsvorstellungen in das gegenwärtige Karnevalsbrauchtum bietet der volkskundliche Beitrag Wolfgang Oelsners. Dieser zeigt mithilfe einer Analyse von Karnevalsschlagern, öffentlichen Zeremonien und Ritualen der Traditionskorps auf, dass ungeachtet der lebensbejahenden Eigenart des Karnevals der Todesgedanke die Festlichkeiten begleitet: Das Ende des Karnevals wird zelebriert, indem begangene Laster stellvertretend einer Symbolfigur angeheftet werden, die in der Nacht zum Aschermittwoch verbrannt, ertränkt oder begraben wird. In den Evergreens des Karnevals wird der Tod direkt thematisiert, wenn auch die besungenen Jenseitsvorstellungen wenig Realitätsgehalt besitzen. Interessant sind dabei auch Oelsners Überlegungen zu der Frage, ob es nach dem Wegfall der theologischen Mahnung für den Feiernden überhaupt noch warnende Botschaften gebe.
Dem Aufsatzteil folgt ein Katalogteil, der 70 Blätter der Grafiksammlung "Mensch und Tod" des Instituts für Geschichte der Medizin der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf vorstellt, die mit etwa 3000 Einzelblättern und 200 Büchern aus sieben Jahrhunderten zu den herausragenden Sammlungen auf dem Gebiet Sterben, Tod und Totentanz zählt. Unter den 70 besprochenen Blättern finden sich auch einige bisher nicht publizierte Zeichnungen. Die Katalogeinträge sind chronologisch geordnet und reichen von den Totentanzdarstellungen eines lateinischen Stundenbuchs (nach 1498) bis zu einer Arbeitsskizze zur Düsseldorfer Hoppeditz-Skulptur von Bert Gerresheim (2007). Die Einträge geben ausführliche Informationen zu den einzelnen Grafiken einschließlich relevanter Literaturangaben; die zugehörigen Abbildungen sind in guter Qualität und gegebenenfalls farbig gedruckt. Einzelne Abbildungen wurden jedoch zwischen den Katalogtexten eingezwängt und sind derart klein geraten, dass Beschriftungen und Details nur schwer erkennbar sind.
In der Summe bietet die auf Narren, Tod und Karneval fokussierte Thematik des Bandes einen attraktiven Auftakt zur Erschließung der Düsseldorfer Grafiksammlung "Mensch und Tod". Obwohl Grafiken aus über fünf Jahrhunderten besprochen werden, weisen die Autoren immer wieder auf Kontinuitäten, Beziehungen und Parallelen verschiedener Ideen und Konzepte hin oder thematisieren Veränderungen, Gegensätze und deren Ursachen. Auf der negativen Seite muss angemerkt werden, dass einige der Aufsätze viel Altbekanntes wiederholen oder sich mit Problemen beschäftigen, die für das jeweilige untersuchte Werk eine eher untergeordnete Rolle spielen. Positiv hervorzuheben ist dagegen insbesondere die verstärkte Berücksichtigung von Darstellungen des 19. und 20. Jahrhunderts, die eine willkommene Abwechslung innerhalb der Forschungsliteratur bietet.
Saskia Jogler