Valérie Bussmann: Das Denkmal im Pariser Stadtraum. Zum öffentlichen Kunstauftrag in Frankreich und seiner Erneuerung in der Ära Mitterrand (= Berliner Schriften zur Kunst), München: Wilhelm Fink 2014, 662 S., 38 Farb-, 109 s/w-Abb., ISBN 978-3-7705-5642-7, EUR 88,00
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Eine kunsthistorische Dissertation mit einer solch komplexen Problemstellung ist ein dreifaches Wagnis: Zum einen schon alleine deshalb, weil sich die administrativen Wege der Entscheidungsfindung des öffentlichen - staatlichen, regionalen und kommunalen - Kunstauftrags in Paris selbst dem Kenner nur sehr schwer ein- und durchsichtig darstellen. Zum anderen scheint das Objektfeld der Untersuchung, die gesamte Denkmallandschaft von Paris, als immenses und nahezu unüberschaubares Gebiet. Drittens aber ist es sicherlich auch deshalb gewagt, weil die kunsthistorische Fachgemeinde eine so weit ausholende Untersuchung über Verwaltungsprozesse, die zur Verwirklichung von öffentlichen Denkmälern führen, nicht gerade ungeduldig erwartet - um es vorsichtig auszudrücken. Daher hat es die Autorin im Titel ihrer Untersuchung wohlweislich vermieden, die relative Trockenheit des Themas allzu deutlich werden zu lassen.
Valérie Bussmann widmete ihre im Jahr 2011 abgeschlossene Dissertation an der FU Berlin dem aus heutiger Perspektive nur auf den ersten Blick nicht mehr wirklich relevanten Thema der kulturellen Um- und Aufwertung des öffentlichen Raumes unter François Mitterrand. Heute würde man das Problem und die Fragestellung vielleicht als "sowas von 90er" bezeichnen - allerdings nur, wenn man nichts von der anhaltenden Relevanz der umstürzenden Veränderungen Mitterrands und seines Star-Kulturministers Jack Lang auf diesem Gebiet weiß. Denn die Wiederbelebung des öffentlichen Kunstauftrags war Teil einer Gesamtstrategie der sozialen und kulturellen Erneuerung der französischen Nation, was meist nur unter dem Signum der Grands Travaux oder Grands Projets über den Rhein nach Osten drang. Diese gesamtkulturpolitische Initiative führte zwischen 1981 und der ersten Hälfte der 1990er-Jahre zu einer weltweit beachteten, jedoch in Frankreich höchst kontrovers diskutierten Erneuerung der Architektur, aber auch der gesamtfranzösischen, insbesondere der Pariser Denkmallandschaft. In den Feuilletons der Bundesrepublik Deutschland wurden diese Anstrengungen bis 1989 mit versteckter Bewunderung verfolgt, die von einer leicht durchschaubaren, dünnen Schicht aus oft pseudokritischer Ironie und Sarkasmus kaschiert wurde. Aber erst, als man in der Folge der deutschen Einigung selbst vor dem immensen städtebaulichen Problem der "Neuerschaffung" Berlins als deutscher Hauptstadt und der Reparatur seiner riesigen Teilungsbrachen stand, konnte man die Leistungen der französischen Administration unter Mitterrand für Paris und die Provinzmetropolen erahnen. Heute dagegen ist die Ironie in der Berichterstattung verschwunden wie man an der Presseresonanz zu den aktuellen kulturellen Großbauten, etwa der Fondation Louis Vuitton von Frank O. Gehry im Bois de Boulogne oder der brandneuen Pariser Philharmonie von Jean Nouvel in La Villette, erkennen kann.
So ist es eben ein Wagnis von Valérie Bussmann, sich dem öffentlichen Kunstauftrag, insbesondere seiner Erneuerung in der Ära Mitterrand anzunehmen:
"Auf der Grundlage von umfassenden Werk- und Quellenanalysen zeichnet die Autorin Voraussetzungen, Zielsetzungen und Kontroversen der Kulturpolitik unter Mitterrand nach. Anhand der kritischen Betrachtung ausgewählter Programme und vorrangig in Paris realisierter Werke etwa von Jean-Michel Alberola, César, Jean Dubuffet, Jan Dibbets, Joseph Kosuth, Jochen Gerz, Bernard Pagès, Jean-Pierre Raynaud, Krzysztof Wodiczko und vielen anderen hinterfragt sie die staatliche Auftragspolitik im Verhältnis zur historischen Tradition und zu zeitgenössischen Diskussionen um Kunst im öffentlichen Raum. Die Analyse von Werken Daniel Burens und Richard Serras veranschaulicht unterschiedliche künstlerische Auffassungen wie etwa vom Konzept der Ortsspezifik, aber auch das bisweilen divergierende Verhältnis von Künstlern und öffentlichem Auftraggeber. Dabei legt die Autorin Diskrepanzen zwischen Politik- und Kunstanspruch dar und zeigt Widersprüche staatlicher Auftragspolitik auf."
In diesem Abstract des Klappentextes der Publikation verbergen sich im Grunde schon die methodischen Probleme des Ansinnens, und es drängen sich gleich mehrere Fragen auf: Ist es in einer einzigen Studie sinnvoll und überhaupt möglich, die verschlungenen Wege der Kulturpolitik zu analysieren, indem man "umfassende Werkanalysen" der Denkmäler anstellt? Kann man denn umfassende Werk- und Quellenanalysen anstellen, wenn man gleichzeitig panoramatisch eine solche Vielzahl von Künstlern in den Blick nimmt? Und kann denn die Kulturpolitik überhaupt dadurch untersucht werden - was schwierig genug ist - indem die unterschiedlichen Denkmalauffassungen von international tätigen Künstlern befragt werden? Kurz: Das Feld erscheint zu weit, die Ansprüche zu divergent und die Perspektiven zu heterogen.
Hinzu kommt, dass die Autorin mit einer nahezu einhundertseitigen Hinführung zunächst auch noch die grundlegenden und die Kunstgeschichte seit Generationen beschäftigenden Themen des Denkmals und des Denkmalbegriffs klären will. Nach dieser etwas langwierigen Darstellung des Denkmalbegriffs, insbesondere seiner Pariser Ausprägung, folgt ein ebenso ausführlicher Hauptteil zum kulturpolitischen Hintergrund des öffentlichen Kunstauftrags in Frankreich seit den 1950er-Jahren. Erst dann werden im dritten Hauptteil exemplarisch Personendenkmäler, Monumente zeitgenössischer Kunst im öffentlichen Raum sowie das in Denkmälern repräsentierte Thema des bicentenaire der Französischen Revolution angespielt. Letzteres nur auf gut 40 von rund 550 Textseiten, obwohl es unzweifelhaft die Kulturpolitik der Ära Mitterrand bestimmte, die wiederum den eigentlichen Fokus im Titel der Untersuchung bildet. So erscheinen in dieser Zusammenschau mindestens drei Dissertationsthemen vereint, die nur schwer in einem einzigen Buch zu bündeln sind.
Ein wenig irritierend wirkt darüber hinaus auf den Leser, dass dieses Buch, das doch aus einer Dissertation entstand, die vermutlich durch viele Korrekturgänge lief, bevor die Publikation hoffentlich auch noch durch ein Verlagslektorat geprüft wurde, viele Fehler aufweist. Im Gegensatz dazu wirken die "Übergenauigkeiten" - etwa in der Zitierweise der Anmerkungen (wie etwa "sqq." statt "ff." etc.) - etwas aufgesetzt.
Aber dennoch: Die Autorin legt mit ihrem Panorama ein wichtiges und grundlegendes, wenn auch etwas sperriges, Werk vor, das auch und gerade in Deutschland noch immer notwendig ist und in den Bibliotheksabteilungen zur französischen Kunst und Kultur nicht fehlen darf. Denn die politische und kulturelle Bedeutung der Pariser Denkmalsetzungen - etwa im Vergleich zu den architektonischen "Grands Projets" - wurde bisher sträflich unterbewertet. Darauf reagiert das Buch Valérie Bussmanns.
Ernst Seidl