Johannes Frackowiak (Hg.): Nationalistische Politik und Ressentiments. Deutsche und Polen von 1871 bis zur Gegenwart, Göttingen: V&R unipress 2013, 313 S., ISBN 978-3-8471-0152-9, EUR 34,99
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Lisa Bicknell / Benjamin Conrad / Hans-Christian Petersen (Hgg.): Kommunikation über Grenzen. Polen als Schauplatz transnationaler Akteure von den Teilungen bis heute (= Mainzer Beiträge zur Geschichte Osteuropas; Bd. 6), Münster / Hamburg / Berlin / London: LIT 2013, 158 S., ISBN 978-3-643-11971-1, EUR 24,90
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Diese Rezension erscheint auch in der Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung.
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Die deutsch-polnischen Beziehungen stellen innerhalb der deutschen Geschichtsschreibung über Ostmitteleuropa nach wie vor ein besonders intensiv behandeltes Themengebiet dar. Wie vielfältig die in diesem Zusammenhang betriebenen Einzelprojekte sind, haben nicht zuletzt die mittlerweile drei Tagungen Deutsche Polenforschung seit 2010 gezeigt. Parallel dazu schlug sich diese Entwicklung in der Konzipierung eines fünfbändigen Handbuchs nieder. [1] Jede neu hinzukommende Publikation sollte sich also um eine präzise methodische Verortung bemühen.
Der von Johannes Frackowiak herausgegebene Band, der auf einem im September 2011 vom Hannah-Arendt-Institut in Dresden veranstalteten Workshop beruht, widmet sich einer Fragestellung, die auf den ersten Blick etwas aus der Zeit gefallen zu sein scheint. In den zurückliegenden beiden Jahrzehnten suchte die deutsche und polnische Forschung, wenn man vom Zweiten Weltkrieg absieht, doch eher nach Kontakten zwischen den beiden Nationen; Stichworte wie "Akkulturation", "Lernen vom Gegner" oder "Verflechtungsgeschichte" prägten den Diskurs. Dass sich die Beiträge dem "Einfluss von Nationalismus und nationalistischer Politik auf die Geschichte der Beziehungen zwischen Deutschen und Polen" (7f.) widmen, könnte mit der politischen Entwicklung im 21. Jahrhundert zusammenhängen, wie der Herausgeber in seiner Einleitung andeutet: Es sei zum Beispiel nach möglichen nationalistischen Ressentiments in der polnischen Bevölkerung unter der Regierung Jarosław Kaczyńskis zu fragen.
Nun liegt Kaczyńskis Regierungszeit schon einige Jahre zurück, und die Autorinnen und Autoren der zwölf chronologisch angeordneten Beiträge streben auch nicht gezielt danach, Parallelen zwischen der Tagespolitik und der vielschichtigen deutsch-polnischen Vergangenheit zu ziehen. Der Band wirkt in der Gesamtschau eher wie ein Handbuch, das in fünf Abschnitte untergliedert einen Überblick über zwei Jahrhunderte deutsch-polnischen Gegen- und Miteinanders geben will. Diesen Eindruck unterstreichen Beiträge zu allgemeineren Themen, insbesondere die von Christoph Kleßmann und Frackowiak zur Polenpolitik des Kaiserreichs, von Uwe Müller zu den entsprechenden wirtschaftlichen Maßnahmen vor 1918 oder von Markus Roth zur nationalsozialistischen Besatzungspolitik. Hier schöpfen die Verfasser, ohne wirklich neue Erkenntnisse vorlegen zu wollen, aus ihrer breiten Literatur- und Quellenkenntnis. In dem recht allgemein geratenen Fazit von Kleßmann und Frackowiak, "auf historische Perspektiven und Analysen zurückzugreifen, auch wenn sich daraus keine einfachen Lehren für politische Probleme ziehen lassen" (38), wird dann aber doch auf eine mögliche tagespolitische Relevanz der untersuchten Fragestellung Bezug genommen. Der fünfte und letzte Abschnitt zum Zeitraum seit 1989 enthält nur einen einzigen Beitrag, in dem sich Tytus Jaskułowski mit den Ressentiments im deutsch-polnischen Verhältnis beschäftigt. Zwar ist es in konzeptioneller Hinsicht nie überzeugend, durch ein eigenes Kapitel einen Schwerpunkt vorzugaukeln, ohne ihn dann mit einer hinreichenden Anzahl von Beiträgen zu füllen, aber vielleicht lässt sich im vorliegenden Fall daraus auch die Erkenntnis ableiten, dass nationalistisches Denken im 21. Jahrhundert im Rahmen der deutsch-polnischen Beziehungen kein sonderlich ergiebiges Forschungsfeld darstellt.
Insgesamt liegt hier also eher ein Sammelband im klassischen Sinne vor. Die Mehrzahl der Zeitabschnitte wird durch Fallstudien repräsentiert, wobei zwei Beiträge nicht nur durch ihren größeren Umfang, sondern auch dadurch hervorstechen, dass sie neues Quellenmaterial erschließen und nicht, wie einige andere Aufsätze dieses Bandes, auf bereits veröffentlichten Qualifikationsschriften beruhen: Mike Schmeitzner nimmt die politischen Aktivitäten des an der Königlichen Akademie in Posen lehrenden Historikers Alfred Herrmann in den Blick. Herrmann engagierte sich seit Ende 1918 sowohl in der linksliberalen Deutschen Demokratischen Partei als auch an der Spitze des Deutschen Volksrates, der sich als Selbstverwaltungsorgan der Deutschen in der vom Zerfall bedrohten Provinz Posen verstand. Indem Schmeitzner detailliert Herrmanns Lavieren zwischen Annäherungsversuchen an die im Entstehen begriffene polnische Staatsgewalt und polenfeindlicher Propaganda schildert, führt er beispielhaft vor Augen, dass nationalistisches Gebaren, sei es von deutscher oder von polnischer Seite, fast immer auch von einem gegenläufigen, auf Verständigung oder gar Versöhnung abzielenden Verhalten aus demselben nationalen Lager flankiert wurde, gegen das es sich ebenso richtete wie gegen das nationale Gegenüber. Im Zweiten Weltkrieg hingegen, das zeigt der ausführliche Beitrag von Frackowiak zur Deutschen Volksliste, war zwar keinerlei Verständigung mehr vorgesehen, aber es gelang den Besatzern auch nicht, die Diskriminierung einheitlich durchzuziehen: Während im Reichsgau "Wartheland der Kreis der Einzudeutschenden deutlich enger gezogen" worden sei (209), hätten die Verantwortlichen des Reichsgaues Danzig-Westpreußen eine "inklusivere, an die frühere preußische Assimilationspolitik erinnernde Germanisierungspolitik" betrieben (206). Mit seiner geplanten Monografie zu dieser Thematik hat der Verfasser eine eklatante Forschungslücke aufgegriffen.
In dem zweiten anzuzeigenden Band spielt der Zweite Weltkrieg keine Rolle. Zwar liegen auch den hier behandelten Themen Konflikte und Ressentiments zugrunde, doch nähern sich die Herausgeber ihrem Gegenstand von der entgegengesetzten Seite und nehmen die Gemeinsamkeiten zum Ausgangspunkt ihrer Einordnung. Sie sehen den "Komplex aus Sprache und Kommunikation, entweder über Grenzen oder über Grenzen hinweg", sowie die maßgebliche Rolle von "individuellen und kollektiven Akteuren" (6) als die verbindenden Elemente der lediglich sechs Beiträge, die Jan Kusber in einem abschließenden Kommentar resümiert. Dieses Raster ist natürlich ziemlich grob. Die Herausgeberin Lisa Bicknell und der Herausgeber Benjamin Conrad weisen dann auch einleitend darauf hin, dass die Konzipierung des Bandes praktischen Überlegungen folgte: Im September 2011 fand in Mainz die Zweite Tagung Deutsche Polenforschung statt, und der Arbeitsbereich Osteuropäische Geschichte, dem die Autorinnen und Autoren mehrheitlich angehören, steuerte hierzu ein Panel bei, aus dessen Beiträgen der Band besteht. Der im Untertitel angedeutete Aspekt des Transnationalen dient nicht als methodische Klammer und wird in der Einleitung (6) nur ganz am Rande erwähnt. Das ist konsequent, denn weder in den Beiträgen noch in Kusbers Kommentar wird näher auf "Transnationalität" eingegangen. Letztlich geht es um zwischenstaatliche, grenzüberschreitende und nationsübergreifende Kontakte und Kooperationen zwischen dem 19. und 21. Jahrhundert, die man bis vor einigen Jahren unter der Beziehungsgeschichte subsummiert hätte. Insofern wäre es ehrlicher gewesen, im Titel ganz auf das Transnationale zu verzichten.
Da eine enger gefasste übergreifende Fragestellung fehlt, ergeben die Beiträge ein äußerst breites Spektrum an Themen. Nur zwei der Beiträge hängen thematisch und chronologisch enger zusammen: Bicknell untersucht den Dialog zwischen Marion Dönhoff, Herausgeberin von Die Zeit, und Mieczysław Rakowski, Chefredakteur der Polityka, seit den 1960er-Jahren. Dabei interessiert sie insbesondere, wie sich deren Position "als führende Journalisten ihres jeweiligen Landes" (116) angesichts der in Polen und Deutschland ganz unterschiedlich vorhandenen Meinungsfreiheit darstellte. Hans-Christian Petersen beschäftigt sich mit den von der bisherigen Forschung kaum beachteten Lindenfelser Gesprächen. Dieses 1964-1979 existierende Gesprächsforum führte erstmals nach dem Zweiten Weltkrieg bundesdeutsche und exilpolnische Historiker zusammen und bildete so einen wichtigen Vorläufer der deutsch-polnischen Schulbuchgespräche. Die ungezwungene Atmosphäre und der konservative Grundkonsens zwischen allen Beteiligten trugen dazu bei, dass die insgesamt neunmal zustande gekommenen Gespräche insbesondere auch für kontroverse Debatten innerhalb der polnischen Teilnehmer genutzt wurden.
Die übrigen vier Beiträge weisen einen stärkeren Bezug auf einzelne (Groß-)Regionen auf. Benjamin Conrad beschäftigt sich mit der Ostpolitik Józef Piłsudskis 1918-1920 und kommt zu dem Ergebnis, dass dieser - anders als vielfach behauptet - keineswegs eine Föderation mit den östlichen Nachbarn Polens, sondern eine "Institutionalisierung der polnischen Vorherrschaft mittels Schaffung eines Gürtels von Satellitenstaaten" (289) angestrebt habe. Steffi Marungs anschließender Beitrag über die Rolle Polens in der Politik der EU gegenüber Osteuropa, insbesondere der Ukraine, beruht auf ihrer 2013 publizierten Dissertation. [2] Er ist im Frühjahr 2014 vor dem Hintergrund des ukrainisch-russischen Konfliktes natürlich von besonderem Interesse - dass "die Verschiebung und Neudeutung 'zivilisatorischer' Grenzen zwischen Ost und West als eines der erfolgreichsten Projekte polnischer Europa- und Ostpolitiker gelten" kann (58f.), mag man derzeit nicht wirklich glauben.
Die Beiträge von Daniela Druschel und Justyna A. Turkowska schließlich beschäftigen sich mit zwei klassischen Schauplätzen der deutsch-polnischen Beziehungsgeschichte. Anhand von Galizien betreffenden Gesetzestexten und Verordnungen fragt Druschel nach der innerbehördlichen Kommunikation und den Beziehungen zwischen Zentrale und Peripherie in der Habsburgermonarchie. Turkowska analysiert die Bekämpfung der Tuberkulose vor dem Hintergrund nicht nur der deutsch-polnischen Spannungen in der Provinz Posen, sondern auch des zeitgenössischen Hygienediskurses. Anders als man es im Rahmen dieses Bandes vielleicht erwarten würde, kommt die Verfasserin zu dem Schluss, dass die Problematisierung der Tuberkulose "weniger einer ethnisch/nationalen und stärker einer wissenschaftlich fundierten Kodierung" unterlegen habe; sie sei "entlang sozial-politischer Deutungen - Tuberkulose als Krankheit der städtischen Arbeiter und Armen - ausgetragen" worden (100).
Nicht nur Turkowskas Beitrag zeigt, dass die Geschichte der deutsch-polnischen Beziehungen nicht zwangsläufig als eine Konfliktgeschichte geschrieben werden muss. Durch die seit jeher enge territoriale Verflechtung der beiden Nationen lassen sich in diesem Zusammenhang nach wie vor höchst interessante Fragestellungen auf einer breiten Quellenbasis erforschen. Die beiden Sammelbände liefern hierzu einige gelungene Fallstudien. Es zeigt sich aber auch, dass weder die deutsch-polnischen Beziehungen selbst noch allgemeine methodische Konstrukte wie "Nationalismus" oder "Transnationalität" ein hinreichend präzises Raster darstellen, das vergleichende Erkenntnisse zwischen den einzelnen Beiträgen ermöglichen und so die Texte zu einer in sich schlüssigen Einheit formen würde.
Anmerkungen:
[1] Dieter Bingen / Hans-Jürgen Bömelburg u.a. (Hgg.): WBG Deutsch-polnische Geschichte, Darmstadt 2014.
[2] Steffi Marung: Die wandernde Grenze. Die EU, Polen und der Wandel politischer Räume, 1990-2010, Göttingen 2013.
Christoph Schutte