Caroline van Eck: Art, Agency and Living Presence. From the Animated Image to the Excessive Object (= Studien aus dem Warburg-Haus; Bd. 16), Berlin: De Gruyter 2015, 274 S., zahlr. Abb., ISBN 978-3-11-034541-4, EUR 89,95
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Auf der Tagesordnung steht die Entmythologisierung der Bildwissenschaft. Der Titel Art, Agency and Living Presence lässt indes etwas anderes erwarten. Den Leser begleiten durch das Buch zwei Grundmythen: Pygmalion und das Haupt der Medusa: die Verwandlung von Marmor in Leben und die Verwandlung von Leben in Stein. Diese beiden Mythen umkreisen die Grundfrage des Buches: Wieso können Kunstwerke für den Betrachter "lebendig" werden?
Caroline van Eck legt ihrer Untersuchung die Anthropologie Alfred Gells zugrunde, der sich innerhalb der anti-semiotischen Kunsttheorien positioniert hat. Im Widerspruch zu Nelson Goodman, in dessen Bildtheorie das symbolische Zeichen dominiert, reduziert Gell die Semiotik auf indexalische Zeichen. Art objects fungieren im sozialen Netzwerk als indexalische Zeichen, die für einen patient auf einen agent verweisen. In diesem sozialen Verweissystem erhalten die Kunstwerke dadurch eine agency, dass sie als Instrumente von Agenten fungieren und als solche von Rezipienten realisiert werden. Sie sind keine self-sufficient agents, sondern nur secondary agents. Sie verfügen nur über eine second-class agency.
Während bei William J. T. Mitchell (What do Pictures Want? The Lives and Loves of Images) oder in der Bildanthropologie Hans Beltings der Animismus zur pseudo-wissenschaftlichen Methode wird, betont Gell, dass er die Belebtheit des Bildes nicht durch einen material-culture mysticism erklären wolle. Er räumt ein, dass die agency von Kunstwerken von zwei Instanzen abhängig ist, von einer Instanz, die das Kunstwerk als "handelndes Instrument" einsetzt und einer zweiten Instanz, die es als solches wahrnimmt.
Hier setzt van Eck an. Sie kritisiert, dass Gell experience und memory des Betrachters ausschließe, der ein Kunstwerk für lebendig halte. Damit öffnet sie wieder das Fenster, das Gell notwendig geschlossen hatte, um die symbolische Kommunikation auszuschließen. Wenn man mit van Eck mit dieser Kritik Distinktionen der antiken Rhetorik verbindet, drückt die "Belebtheit" von Kunstwerken nicht nur eine unmittelbare Erfahrung aus, sondern auch ein gängiges Künstlerlob - damit ist die Reduktion auf indexalische Zeichen hinfällig.
Der Buchtitel verrät nicht genau, was der Gegenstand der Abhandlung ist. Gegenstand des Buches sind verschiedene Formen der Täuschung, ein Kunstwerk für lebendig zu halten, die die Literatur seit dem Humanismus bis zu Aby Warburg diskutiert hat: agency in der Rhetorik, der Wahrnehmungstheorie und in der Diskussion der Idolatrie. Kunstwerke für lebendig zu halten, ist immer ein "mistake, delusion, projection, expression of idolatry, fetishism, magical thinking or hysteria" (53), ist damit immer von der kulturellen Konditionierung des Wahrnehmenden abhängig.
Rhetorische Strategien zielen darauf ab, beim Hörer den Eindruck zu erwecken, eine abwesende Sache sei gegenwärtig. Daher kann die Illusion der Lebendigkeit, die Statuen oder Bilder beim Betrachter erzeugen können, selbst mit rhetorischen Begriffen beschrieben werden. Der Wahrnehmungstheorie des Jesuiten Sforza Pallavicino (1607-1667) zufolge jedoch gehört der Eindruck von einem Kunstwerk, als wäre es lebend, der prima apprehensione an. In dieser ersten Wahrnehmung findet die emotionale Reaktion statt. In der zweiten Wahrnehmung, die mit dem giudicio verbunden ist, machen wir uns klar, dass das Kunstwerk kein Leben hat. Während in der aristotelischen Tradition die Täuschung insbesondere der phantasía angehört, übersetzt Pallavicino das in der Antike besonders mit Zeuxis verbundene Malerlob in eine Wahrnehmungstheorie.
In der Idolatrie wird die Repräsentation mit dem verwechselt, was sie repräsentiert. Diesen Gedanken führt François Lemée zu dem Monument Ludwigs XIV. auf der Place des Victoires aus. In diesem Monument würde wie auch in Berninis Büste des Königs nicht länger auf rhetorische Weise die Illusion der Lebendigkeit erzeugt werden. Das Monument ziele auf die Vertauschung von figurant mit figuré, um Ludwig als Unsterblichen erscheinen zu lassen.
Die Diskussion der Idolatrie mündete in die Untersuchung des Ursprungs der Bildsprache. Guillaume-Alexandre de Méhégan (1724?-1766) zieht Parallelen zwischen "the origins of pictorial language, the cult of hieroglyphs, the figurative use of language by orators, and the mechanism of personification which transformed stones into divinities - and by implication, princes into gods" (105). Charles de Brosses und Ottavio de Guasco betrachten die Kunst nicht als Gegenstand des ästhetischen Gefallens, sondern als Teil der religiösen, politischen und moralischen Entwicklung einer Gesellschaft. Die Verehrung von Statuen sei nicht Ausdruck einer primitiven Kultur, "but of superstition, of misdirecting veneration for the god to his representation" (110). Weitergeführt wurde diese Argumentation als "Priestertrugstheorie", die großen Einfluss auf die französische Aufklärung gewann. Namen wie Paul Thiry d'Holbach könnten genannt werden. Quatremère de Quincy lehrt in Jupiter Olympien, dass erst die Kunst die Götter geschaffen habe.
Es bleibt am Ende die Frage, inwiefern und in welcher kategorialen Gestalt die Täuschung der Lebendigkeit in eine kritische Kunstgeschichte eingehen kann. Es verwundert, dass die Kunsthistoriker nicht das Fragment 23 (Diels / Kranz) von Gorgias zitieren, das berichtet, dass der Sophist zur Tragödie gesagt habe: ἣν ὅ τ' ἀπατήσας δικαιότερος τοῦ μὴ ἀπατήσαντος, καὶ ὁ ἀπατηθεὶς σοφώτερος τοῦ μὴ ἀπατηθέντος. Wenn also Gorgias feststellt, dass derjenige, der täuscht, mehr im Recht sei als derjenige, der nicht täuscht, und dass der Getäuschte verständiger sei als derjenige, der sich nicht täuschen lasse, dann beschreibt er nicht nur die suggestive Wirkung der Darbietung eines literarischen Stoffes, sondern auch den Anspruch des Interpreten, klüger zu sein, wenn er der suggestiven Wirkung erlegen ist. Dieser besonders bei den Bildwissenschaftlern der deutschen Kunstgeschichte lebhaft spürbare Wunsch hat jedoch sein Ziel verfehlt - zumindest, wenn man die Priestertrugstheorie für aktuell hält. Durch Hypostasierung des Bildes zum Vorsemantischen, durch metaphysische Inversion der Bildsprache, durch Subjektverlagerung in das Bild (vgl. die Kritik von Lambert Wiesing, Sehen lassen. Die Praxis des Zeigens; Martin Büchsel, Das Ende der Bildermythologien. Kritische Stimmen zur deutschen Bildwissenschaft) wird eine Übermacht des Bildes geschaffen, die die Gestalt der Überlegenheit des inspirierten Interpreten annimmt und jedes methodisch geregelte wissenschaftliche Verfahren als unzulänglich erscheinen lässt.
Von solchen irrationalen Tendenzen hält sich van Eck fern. Besonders Aby Warburg attestiert sie, ein großes Verständnis für die agency der Kunst aufgebracht zu haben. Sie zitiert nicht nur dessen anthropologische Untersuchung zum Schlangenritual der Pueblo-Indianer, sondern möchte die Theorie der Pathosformeln und der Mnemosyne mit der Einfühlungstheorie Friedrich Theodor Vischers verschränken. Auch die "Gefühlsbindung" von Kleinkindern an Gegenstände, wie sie in der Psychoanalyse thematisiert worden ist, scheint ihr hier relevant zu sein. Marx und Freud definierten den Fetichismus "as a matter of excess, attributing more value or emotional power to an object than its material or use value warrants" (202). Warburg habe die Kunstgeschichte als Kulturwissenschaft oder, was das gleiche sei, als "historical psychology of art" begründet und damit eine durch Kant geprägte formalistische Kunstgeschichte überwunden. Die Kantkritik, auch wenn sie sich auf David Freedberg und William Pietz berufen kann, ist verfehlt und beruht auf der Verwechslung von Aussagen über ein Objekt mit Aussagen über Aussagen über ein Objekt. Die Berufung auf Kant hieße vielmehr in diesem Kontext: Alles, was ein Interpret zu einem Kunstwerk sagt, ist ein "Urteil" und muss als solches untersucht werden. Urteile sind aber nicht notwendig propositionale Aussagen. Wer behauptet, agency sei eine ontologische Qualität des Bildes, fällt ein Urteil, das einer Überprüfung nicht standhält, sonst nichts.
Martin Büchsel