Rezension über:

Charlotte Denoël / Maxence Hermant / Marie-Emmanuelle Meyohas: Le sacramentaire de Drogon (= Collection «Cartel»), Paris: Bibliothèque nationale de France 2022, 63 S., 40 Farb-Abb., ISBN 978-2-7177-2898-9, EUR 9,00
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Rezension von:
Martin Büchsel
Goethe-Universität, Frankfurt/M.
Redaktionelle Betreuung:
Philippe Cordez
Empfohlene Zitierweise:
Martin Büchsel: Rezension von: Charlotte Denoël / Maxence Hermant / Marie-Emmanuelle Meyohas: Le sacramentaire de Drogon, Paris: Bibliothèque nationale de France 2022, in: sehepunkte 24 (2024), Nr. 2 [15.02.2024], URL: https://www.sehepunkte.de
/2024/02/38376.html


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Charlotte Denoël / Maxence Hermant / Marie-Emmanuelle Meyohas: Le sacramentaire de Drogon

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Das Drogosakramentar ist in verschiedener Hinsicht eine besonders wichtige frühmittelalterliche Handschrift: Es dokumentiert die Entwicklung eines der karolingischen Zentren, nachdem die Aachener Hofkapelle ihre Bedeutung, die sie unter Karl dem Großen hatte, eingebüßt hatte. Es zeigt, dass die Liturgie nach ihrer an Rom orientierten Vereinheitlichung unter Karl dem Großen noch unter Ludwig dem Frommen nicht eine eingeübte feststehende Regel war, sondern bewusst propagiert wurde. Es zeigt auch, dass um die christologische Interpretation der Liturgie gerungen wurde, die besonders mit dem Namen Amalarius verbunden ist.

Drogo, illegitimer Sohn Karls des Großen, war zwischen 823 und 855 Erzbischof von Metz, eines der wichtigsten westfränkischen Zentren. Obwohl er 835 zum Erzkaplan der Hofkapelle des Kaisers ernannt worden war, hinderte diese neue Funktion ihn nicht daran, ein eigenes Scriptorium in Metz zu gründen bzw. mit Aufträgen zu versehen. Prachthandschriften enthielten neben Miniaturen und aufwendig ausgeführten Initialen auch prächtig ausgestaltete Bucheinbände. Ein solches Beispiel ist das vielleicht zwischen 827 und 836 entstandene Drogosakramentar. Nicht nur die Ausstattungen des Textes zeigen die Verbindung von Decorum und Liturgieinterpretation, sondern auch die Elfenbeine des Einbandes.

Der hier zu besprechende Libellus ist keine eingehende Studie zum Drogosakramentar. Auf die Untersuchung ist dennoch hinzuweisen, weil sie die Ergebnisse der Restaurierung des Einbandes, die 2018/2019 durchgeführt wurde, dokumentiert. Diese Ergebnisse haben offenbar die Bibliothèque nationale veranlasst, diesen Schatz der Bibliothek in einer kleinen Schrift zu würdigen. Die Restaurierung konnte die ursprüngliche Anordnung der Elfenbeintafeln klären und damit eine lang anhaltende Diskussion beenden.

Charlotte Denoёl, Maxence Hermant und Marie-Emmanuelle Meyohas wiederholen die Vermutung, dass die Buchmaler selbst die Elfenbeine geschnitzt haben. Die unter Drogo angefertigten Elfenbeine wurden durch Adolph Goldschmidt seinerzeit unter der Rubrik 'Ältere Metzer Schule' zusammengestellt. Die Elfenbeinproduktion dieser Schule orientierte sich nicht nur an Buchmalerei, sondern auch an frühchristlichen Elfenbeinen. Als das Drogosakramentar angefertigt wurden, standen offenbar nur die Buchmaler als Schnitzer zu Verfügung. Es sind hier noch keine frühchristlichen Elfenbeine als Vorlagen zu erkennen.

Das Drogosakramentar, das 1802 in die Bibliothèque nationale kam, hatte schon zuvor seine Verzierung mit Goldblech und Edelsteinen verloren, die noch ein älteres Dokument belegt. Als das Buch 1567 Kardinal Charles de Lorraine anvertraut wurde, damit es nicht durch die Religionskriege in Mitleidenschaft gezogen werde, war von einer solchen Verzierung die Rede. Zudem vermerkt auf fol. 129r eine Handschrift aus dem 10. Jahrhundert, dass 68 Steine fehlen. Andere ebenfalls unter Drogo angefertigte liturgische Bücher machen es möglich, sich vorzustellen, wie etwa der Einband des Drogosakramentars ausgesehen haben muss. Heutzutage sitzen die Elfenbeintafeln in einer silbernen Montur aus dem 18. Jahrhundert Die Restaurierung konnte drei spätere Eingriffe in den Bucheinband feststellen. Besonders einschneidend war die zweite Kampagne, in der die heutige Anordnung der Elfenbeine festgelegt wurde. Aber nicht nur die Anordnung wurde verändert, sondern es wurden auch die Tafeln beschnitten. Die neue Montierung führte zudem zu einzelnen Verletzungen.

Anhand von Markierungen auf den Rückseiten der Tafeln konnte die ursprüngliche Anordnung rekonstruiert werden. Die Publikation dokumentiert photographisch diese Rückseiten. Ursprünglich setzte auf dem Vorderdeckel im oberen Register die Darstellungen mit der Taufe Christi ein, gefolgt von der Erscheinung des auferstandenen Christus, schließlich ein Bild einer mystischen Vereinigung Christi mit den Aposteln, die nicht direkt auf eine Stelle aus den Evangelien zurückgeht: Es sind sechs Apostel zu sehen, die Christus verehren, der selbst seine Arme über sie ausgebreitet hat. Die Publikation siedelt diese Vereinigung der vegetabilen Elemente wegen, die aber auch bloß dem horror vacui geschuldet sein könnten, an einem paradiesischen Ort an. Im zweiten Register folgte auf die Segnung des Chrisams, die Segnung des Taufbeckens, schließlich die Taufe selbst. Im unteren Register reihte sich an eine Darstellung, die hier als Segnung der Neugeborenen verstanden wird, die Ordination der Diakone, dann der Ritus der Kirchweihe.

Auf dem Rückdeckel waren im oberen Register der Eintritt des Bischofs, dann die Verehrung des Altars und der Friedenskuss zu sehen. Im mittleren Register folgten der Kuss des Evangeliars am Altar, das Singen von Kyrie eleison und Gloria in excelsis vor der Kathedrale und eine Darstellung, die die Publikation als Epistellesung bezeichnet. Im unteren Register gibt es zu dem aktuellen Zustand keine Veränderung. Es ist die Abfolge von Offertorium, Canon Missae und Kommunion zu erkennen. Auffällig sind die zahlreichen 'Nebenszenen', die den Eindruck erwecken, dass die Darstellungen möglichst viele Informationen zur Messe mitteilen sollen, die aber mitunter die Identifikation erschweren, die auch noch nicht abschließend geklärt ist.

Da nun die Reihenfolge der Darstellungen feststeht, bleibt abzuwarten, ob damit auch eine neue Beschäftigung mit den Liturgiedarstellungen angeregt werden wird. Charlotte Denoёl hat jedenfalls auf dieser Grundlage die ikonographische Diskussion schon eröffnet. [1] Wie die Publikation feststellt, ist wie in anderen karolingischen Handschriften das christologische Verständnis der Liturgie kennzeichnend. [2] Erstaunlich bleibt, dass das Sakrament der Taufe christologisch überhöht wird, nicht aber die Eucharistie durch das Bild des Gekreuzigten. Das ist bemerkenswert, weil zu karolingischer Zeit die Kreuzigung als eucharistisches Bild geprägt und ausgeformt worden ist.


Anmerkungen:

[1] Charlotte Denoёl: Les plaques d'ivoire du Sacramentaire de Drogon (Paris, BnF latin 9428): nouvelles perspectives iconographiques, in: Revista di storia della miniatura 25, 2021, 20-36.

[2] Celia Chazelle: The Crucified God in the Carolingian Era: Theology and Art of Christ's Passion, Cambridge 2001; Tobias Frese: Aktual- und Realpräsenz. Das eucharistische Christusbild von der Spätantike bis ins Mittelalter (= Neue Frankfurter Forschungen zur Kunst, 13), Berlin 2013.

Martin Büchsel