Christopher Phillips: Everyday Arab Identity. The Daily reproduction of the Arab World (= Routledge Studies in Middle Eastern Politics; 47), London / New York: Routledge 2013, XVI + 207 S., ISBN 978-0-415-68488-0, GBP 90,00
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Das auf der Doktorthese von Christopher Philipps basierende Werk Everyday Arab Identity - The Daily Reproduction of the Arab World geht davon aus, dass der Arabismus seit seiner Begriffsschaffung immer existierte. Dabei formuliert der Autor Kernfragen, die er anhand der Länderbeispiele Syrien und Jordanien überprüft: Wieso werben herrschende Regierungen mit Arabismus und behalten ihn bei? Wie interagieren arabische und nationalstaatliche Identität? Durch welche Mechanismen und Prozesse werden Arabismus und staatlicher Nationalismus hervorgebracht?
Mit dieser Ausgangsproblematik geht Philipps auf ein aktuelles Problem für Akademiker, Kommentatoren und Politiker ein, das bisher von der Forschung nicht eindeutig geklärt werden konnte: den Widerspruch zwischen dem angeblichen Niedergang einer arabischen Identität seit den 1970ern einerseits und dem häufigen Auftreten von Begriffen wie arabische Welt andererseits. Konkret beabsichtigt Philipps herauszuarbeiten, welche Bedeutung der Terminus Arabismus/arabische Welt heute für die Araber beinhaltet und wie sich darüber Reaktionen über Kriege und Unruhen innerhalb der arabischen Welt - vor allem der Arabische Frühling - erklären lassen, die deutlich schwächer ausfallen, wenn es um nicht arabisch muslimische Länder geht.
Zu diesem Zweck greift Philipps auf die Basis der Nationalismustheorie zurück, die bisher in der arabischen Welt vernachlässigt wurde. Insbesondere baut der Autor auf dem neuen Konzept des Alltagsnationalismus auf, welches Michael Billig 1995 in seinem Werk "Banal Nationalism" für die westliche Welt am Beispiel Großbritanniens entwickelt hat. Philipps lehnt sich dabei methodisch in seiner Feldforschung 2007-2010 an die Forschungsansätze von Billig an. Dabei passt Philipps die erweiterte Diskursanalyse von "Banal Nationalism" an sein Explorationsfeld an und ergänzt sie außerdem durch eine weitere Methode, das ethnographische Interview. Außerdem bezieht der Autor durchgängig den Forschungsstand zum Arabismus mit ein, indem er jeweils zu Kapitelbeginn die herrschenden Postionen von führenden Forschern wie Fouad Ajami, Khalil Rinnawi, Nazih Ayubi, Lisa Wedeen, Lila Abu Lughood und Salamdra vorstellt und diskutiert.
Das erste Kapitel "Defining Arabism - Contemporary Arab identity and the state" (8-40) stellt zunächst die Diskussion um den Terminus Arabismus in der Forschung vor und differenziert zwischen Arabismus und arabischem Nationalismus. Dabei setzt der Autor arabischen Nationalismus mit "Old Arabism" als einer speziellen politischen und kulturellen Ideologie aus der Zeit des ägyptischen Präsidenten Gamal Abd al-Nasser gleich. Im Gegensatz dazu betrachtet er den gegenwärtigen Arabismus aufbauend auf Benedikt Andersons Idee der Nation als "imagined community" als einen Überbegriff, welcher ein Gefühl von politischer und kultureller Identität beinhaltet. Unter Hinweis auf die mangelnde theoretische Basis und Genauigkeit verwendet Philipps im Folgenden den Begriff "New Arabism", den Shibley Telhami 1999 mit folgendem Ziel entwickelte: "to describe the manner in which, 'intellectual elites have found a way of asserting their political power independently of the state', using satellite television and offshore newspapers to bolster international identity as an independent transnational movement."(14) Nach dieser Definition des neuen Arabismus als politisch, kulturelle Bewegung mit Ausrichtung auf die Masse ohne Streben nach politischer Einheit der arabischen Staaten ordnet der Autor diesen Terminus dem Bereich des supra-Nationalismus zu.
Im Folgenden begründet Philipps seine Wahl von Jordanien und Syrien als Orte seiner Feldforschung zum einen aufgrund ihrer gemeinsamen historischen Vergangenheit als Provinz des Osmanischen Reiches zum anderen dadurch, dass beide Staaten (zum damaligen Zeitpunkt 2007-2010) repräsentativ für typische Systeme der arabischen Welt waren und somit geeignet zur Prüfung der Eingangsthese einer vermuteten staatsübergreifenden arabischen Identität. Nun geht Philipps detailliert darauf ein, warum er auf die Theorie und Vorgehensweise von Billig aus "Banal Nationalism" als geeignete Methode zurückgreift. Dabei betont der Autor, dass diese Theorie nicht an einen demokratischen Staat gebunden ist und weitet das Modell auf andere Staatstypen aus. Die Analyse von dem Massenmedium Staatsfernsehen und Satellitenfernsehen anstelle der von Billig genutzten Zeitungen begründet Philipps mit der höheren Präsens dieses Massenmediums in seinem Untersuchungsgebiet. Er fügt als ergänzende Methode das qualitative ethnographische Interview hinzu, um seine Analyse der Massenmedien zusätzlich zu validieren. Philipps eröffnet damit eine neue Dimension bezogen auf den Forschungsstand, er grenzt seine Methode klar von bisherigen Vorgehensweisen ab, zeigt sich aber gleichzeitig selbstkritisch gegenüber den Schwachstellen seiner Methodik.
Bevor Philipps Staatsfernsehen und Satellitenfernsehen im Hinblick auf die Förderung von einer supra-nationalen arabischen Identität prüft, befasst er sich zunächst im zweiten Kapitel mit der Schaffung von Arabismus im Rahmen der syrischen und jordanischen Identitätsbildung. Im Kern der Diskussion steht dabei die Frage, wie und warum sich in beiden Staaten eine Identität auf mehreren Ebenen ergibt. Aus historischer Perspektive zeigt der Autor als erstes, wie Hafez al-Assad und König Hussein nationale und ethnische Identität zur Schaffung von politischer Stabilität instrumentalisierten. Dabei geht Philipps jeweils auf die konkreten Probleme beider Staatsoberhäupter ein und legt offen, dass beide konkrete rote Fäden bei ihrer Identitätsschaffung verfolgten, die sie teilweise an äußere Umstände anpassten. Die anschließende Analyse von Reden und Bildern beider Staatsoberhäupter zeigt, wie die gewünschte Identität der Öffentlichkeit vermittelt wurde. Der Autor stellt heraus, dass in beiden Fällen neben der Betonung der national-staatlichen Identität vor allem der Arabismus als Identitätsfaktor genannt wird, während der Islam weniger berücksichtigt wird. Auch verdeutlicht Philipps, dass die Unterschiede in beiden Identitätsdiskursen sich eindeutig lokal begründen lassen, so die Nutzung der beduinischen Kultur allein im jordanischen Identitätsdiskurs. Im Hinblick auf Bashar al-Assad und König Abdullah II. als Amtsnachfolger weist das Werk nach, dass beide den Identitätsdiskurs ihrer Väter mit nur minimalen Veränderungen beibehalten und belegt dadurch ebenfalls, dass es eine 40 jährige Präsens des neuen Arabismus in Syrien und Jordanien gibt.
Die beiden folgenden Kapitel drei und vier untersuchen nun die Verbreitung von nationalem bzw. transnationalem Arabismus als supra-nationale Identität zunächst durch das Staatsfernsehen seit den 1970er Jahren und anschließend über das Satellitenfernsehen seit den 1990ern. "National Arabism- Flagging identity on state television" (72-100) verwendet dabei ein einwöchiges Sample (19.02.2009-25.02.2009) von Videoaufnahmen der Hauptsendezeit der beiden Staatssender Syria TV bzw. Jordan TV und analysiert detailliert je zwei Nachrichtensendungen aus beiden Staaten im Hinblick auf Themen der Berichte, die Reihenfolge sowie Schlagzeilen. Im Ergebnis stellt Philipps fest, dass in beiden Fällen die nationale Berichterstattung immer an erster Stelle steht, worauf die arabische Welt folgt. Als wesentlichen Unterschied zwischen beiden Staaten weist er auf die höhere Repräsentanz von Nachrichten aus der nicht arabischen-muslimischen Welt sowie dem Westen bei Syria TV hin. Auch seine Analyse von Wetter- und Sportberichten sowie dem Unterhaltungs-TV zeigt in beiden Staaten eindeutig die Nutzung des Fernsehens zur Formung nationaler Identität, wobei in Diskussions- und Talkshows zusätzlich auch die supra-nationale arabische Identität gefördert wird.
Nachdem Philipps den Forschungsstand zur Rolle des transnationalen Fernsehens bei der Identitätsförderung sowie die Möglichkeit einer Bedrohung des nationalen Staatsfernsehens durch das breitere Meinungsspektrum des Satellitenfernsehens diskutiert hat, analysiert er zunächst die Darstellung von Arabismus in vier Genren des Satellitenfernsehens. Philips zeigt, dass sowohl Reality TV als auch Musiksender grundsätzlich in ihren Wettbewerben eine konkrete Arena schaffen, in welcher die Konkurrenten gegeneinander antreten: die arabische Staatenwelt. Innerhalb dieser arabischen Welt gilt, so das Ergebnis von Philipps, dass sowohl Solidarität als auch Konkurrenz zugelassen sind, ebenso wie die Präsentation der eigenen Nation oder der Religion in einem Liedtext. Diese Förderung einer alltäglichen arabischen Identität im Satellitenfernsehen veranschaulicht Philipps auf den Seiten 119-127 anhand einer Fallstudie zur Berichterstattung der Olympischen Sommerspiele von Peking 2008 durch al-Jazeera. Er weist nach, dass alle Athleten aus verschiedenen Staaten der arabischen Welt für das Publikum als Repräsentanten eines arabischen Teams dargestellt wurden. Abschließend stellt Philips damit fest, dass der neue Arabismus Diskurs im Satelliten-TV dem Publikum die Identifizierung mit dem eigenen Staat zugesteht, solange die supra-nationale arabische Arena den Hauptorientierungsrahmen für die national-staatliche Identität bildet.
Das fünfte Kapitel "Receiving Arabism - Everyday opinions from Syria und Jordan" (131-161) überprüft in 51 ethnografischen Interviews (29 aus Syrien und 22 aus Jordanien), inwieweit die in den Kapiteln zwei bis vier vorgestellten Identitätsdiskurse von den jeweiligen Staatsbürgern tatsächlich wahrgenommen werden und welche Wertigkeit nationale, arabische und islamische Identität für Syrer und Jordanier haben. Philipps zeigt, dass sich bei der Mehrheit der syrischen Interviewten (26) ein starkes arabisches Identitätsgefühl wiederfindet, wobei dieses sich jedoch nicht auf die gesamte arabische Welt erstreckt, sondern vor allem auf die direkten Nachbarstaaten. Dies gilt in geringerem Maße auch für die jordanischen Befragten. Des Weiteren weist Philipps nach, dass in beiden Staaten das Staatsfernsehen vor allem für lokale Nachrichten sowie im Falle der Ausstrahlung beliebter Dramen genutzt wird, während die Befragten ansonsten auf die verschiedenen Satellitensender zurückgreifen, da ihnen die Grenzen der nationalen Berichterstattung (Zensur) bewusst sind. Hier weist der Autor eine interessante Diskrepanz zwischen politischem Bewusstsein im Hinblick auf staatliche Begrenzungen bei Nachrichten einerseits und dem fehlenden Wahrnehmen vom Personenkult durch Massenaushänge von Bildern der Staatsoberhäupter andererseits hin.
Das abschließende Fazit betont, dass die Verbreitung eines supra-nationalen Arabismus durch das Satellitenfernsehen die Ausbreitung des Arabischen Frühlings erklären kann. Außerdem liefert Philipps hier Hinweise darauf, wie seine Methoden und Forschungsansätze im Rahmen weiterer Studien eingesetzt werden können, z.B. zur Analyse von anderen Supra-Nationalismen oder der Rolle religiöser Identität oder zur Vertiefung der Rolle des Fernsehens als identitätsstiftendes Medium. Damit rundet der Autor sein sowohl für den Laien als auch für den Forscher lesenswertes und hochinformatives Werk ab und gibt zugleich Denkanstöße für weitere Projekte zur Erweiterung des aktuellen Forschungsstandes.
Tonia Schüller