Andrea Pelizza: Riamessi a respirare l'aria tranquilla. Venezia e il riscatto degli schiavi in età moderna (= Memorie; Vol. CXXXIX), Venedig: Istituto Veneto di Scienze, Lettere ed Arti 2013, XXII + 579 S., 28 Farbabb., ISBN 978-88-95996-44-8, EUR 48,00
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Spätestens seit die zwei großen Mittelmeer-Monografien von Peregrine Horden und Nicholas Purcell im Jahr 2000 und von David Abulafia 2011 eine neue Ära der Mittelmeerstudien eingeläutet haben und Meere und Gewässer als historische Räume ganz allgemein stärker ins Blickfeld der Geschichtswissenschaft gerückt sind, hat die Erforschung von Piraterie, Kaperei und Kriegsgefangenschaft im frühneuzeitlichen Mediterraneum ungeahnte Aufmerksamkeit erfahren. [1] Über einen Zeitraum von rund 250 Jahren nämlich, von etwa 1530 bis 1780, wurden Christen und Muslime gleichermaßen dies- und jenseits des Mittelmeers von Schiffen und Küstenregionen geraubt und in komplizierten Lösegeldverhandlungen zwischen dem Osmanischen Reich, den Barbareskenstaaten und den verschiedenen europäischen Seemächten wieder freigekauft oder der Sklaverei überlassen. Dabei ist in den letzten Jahren viel gestritten worden um einen erweiterten Sklavereibegriff und die Abgrenzung des Phänomens der Beutesklaverei im Kontext von Piraterie und Kaperei von dem der Lösegeldsklaverei im Zusammenhang mit Krieg und Kriegsgefangenschaft.
Die an der Universität Bologna entstandene Dissertation von Andrea Pelizza verortet sich in diesem Forschungsfeld. Jedoch liegt der spezifische Beitrag der Arbeit dezidiert nicht in einem pointierten Diskussionsbeitrag zu einer gegenwärtig international heftig geführten Debatte um Sklaverei und andere Formen persönlicher Unfreiheit. Vielmehr liefert Pelizza eine nüchterne Fallstudie, deren Materialdichte ihresgleichen sucht. Es handelt sich um eine institutionsgeschichtliche Untersuchung zu Venedig, die anhand einer Fülle unpublizierten Archivmaterials der Frage nachgeht, wie der Freikauf von Kriegsgefangenen und Beutesklaven konkret organisiert und durchgeführt wurde. Dabei erweist sich Venedig einerseits als ein besonders gut dokumentiertes Fallbeispiel, an dem europäisch-christliche Mechanismen und Logiken der mediterranen Lösegeldsklaverei anschaulich gemacht werden können. Andererseits erscheint der venezianische Weg zum Freikauf ("la via veneziana al riscatto") im innereuropäischen Vergleich auch als Sonderfall. Anders als in anderen europäischen Städten oder Staaten oblag die Zuständigkeit für den Loskauf nicht entweder religiösen Institutionen und Bruderschaften wie im Fall von Neapel, Rom oder Palermo oder aber einer weltlichen Behörde wie etwa in Genua. Vielmehr agierten hier obrigkeitliche Institutionen mit laikalen und religiösen Gemeinschaften über zweihundert Jahre hinweg Hand in Hand.
So gab es erstens eine staatliche Einrichtung, die sogenannten Provveditori sopra ospedali e luogi pii e al riscatto degli schiavi, die sich nach der Eroberung Zyperns durch die Osmanen 1570/71, bei welcher mehr als 10.000 Venezianerinnen und Venezianer in Kriegsgefangenschaft gerieten, zum Ziel setzte, die Lösegeldverhandlungen und den Fluss der Freikaufsummen zu koordinieren. Dieser Behörde, die ihre Arbeit im Jahr 1588 aufnahm und bis zum Ende der Republik Venedig bestehen blieb, standen drei adlige Ratsmitglieder vor. Zweitens gründete sich 1604 ausgehend von der Kirchengemeinde Santa Maria Formosa und auf Initiative von Cesare Rinaldino die sogenannte Scuola della santissima Trinità, eine Laienbruderschaft. Ihre Ziele und Absichten deckten sich weitgehend mit denjenigen der Provveditori sopra ospedali e luogi pii e al riscatto degli schiavi, allerdings war die Bruderschaft stärker für die direkte Interaktion mit den gefangenen Landesgenossen zuständig. Dieser Bruderschaft zur Seite gestellt war drittens ab dem frühen 18. Jahrhundert der Trinitarierorden, der zudem mit einem neuen Vokabular auftrat. Während die staatliche Behörde stets vom "riscatto degli schiavi" (Loskauf der Sklaven) sprach, war die Selbstbezeichnung der Aktivitäten der padri Trinitari als "redenzione dei cattivi" (Erlösung der Gefangenen) religiöser gefärbt.
Das Verhältnis der drei Einrichtungen untereinander erscheint dabei insgesamt als ein komplementär-kooperatives. Zwar standen insbesondere die Scuola della santissima Trinità und die padri Trinitari zuweilen auch in einem Konkurrenzverhältnis zueinander. So warfen sich um die Mitte des 18. Jahrhunderts etwa beide Seiten vor, die ausgehandelten Loskaufsummen künstlich in die Höhe zu treiben. Gleichzeitig setzten sich die Lösegelder selbst - es sei denn es handelte sich um hohe Militärs oder staatliche Würdenträger - bei jedem Freikauf aus staatlichen Mitteln, gesammelten Spenden der religiösen Orden und Bruderschaften und Mitteln der betroffenen Familien zusammen. In den Verhandlungen selbst nahmen die drei Institutionen zudem jeweils unterschiedliche Rollen wahr, je nach dem, ob es sich beim Gegenüber um das Osmanische Reich und dessen Unterhändler in Konstantinopel oder um Vertreter der nordafrikanischen Barbareskenstaaten handelte, denen die Serenissima im Gegensatz zu anderen europäischen Akteuren lange Zeit diplomatische Verhandlungen und Tributzahlungen für eine sichere Seefahrt verweigert hatte.
Insgesamt kommt Pelizza - auch durch die genaue Rekonstruktion der staatlich inszenierten Prozessionen der zurückgekehrten Freigelassenen in Venedig - zu dem Urteil, dass im venezianischen Freilassungshandel ökonomische und politische Interessen gegenüber religiösen und humanitären Motiven klar überwogen.
Der Autor erzählt die Geschichte der venezianischen Lösegeldverhandlungen und Freikäufe entlang dieser drei Einrichtungen in chronologischer Abfolge und bettet die verschiedenen Phasen der Institutionen in eine größere venezianische Verwaltungsgeschichte ein. So erscheinen die beiden großen Verwaltungsreformen des späten 16. Jahrhunderts und der 1720er- und 1730er-Jahre auch für die venezianische Freikaufpolitik als zentrale Einschnitte, bevor die Zahl der gefangenen Venezianerinnen und Venezianer ab der zweiten Hälfte des 18. Jahrhundert stetig abnahm und auch die zuständigen Behörden und Gruppierungen zunehmend an Bedeutung verloren.
Das besondere Verdienst dieser Arbeit liegt zweifellos in der akribischen Aufarbeitung bislang unbekannten Verwaltungsschriftguts, das sowohl qualitativ als auch quantitativ ausgesprochen gründlich ausgewertet worden ist. Darüber hinaus wurde diese Institutionengeschichte jedoch stets angereichert und ergänzt durch eine Fülle komplementärer Überlieferung wie etwa Predigten, historiografischen und bildlichen Darstellungen, Egodokumenten und Zeugnissen aus Literatur und Theater bis in die Moderne hinein. Pelizza hat damit eine exzellente Fallstudie zu Venedig vorgelegt, der nun weitere Fallstudien zu anderen Akteuren der frühneuzeitlichen Beute- und Lösegeldsklaverei folgen müssen, damit die phänomenologischen und definitorischen Debatten der gegenwärtigen Sklavereiforschung an empirischer Tiefe gewinnen.
Anmerkung:
[1] Peregrine Horden / Nicholas Purcell: The Corrupting Sea. A Study of Mediterranean History, Oxford 2000; David Abulafia: The Great Sea. A Human History of the Mediterranean, London 2011.
Juliane Schiel