Cameron Sutt: Slavery in Árpád-era Hungary in a Comparative Context (= East Central and Eastern Europe in the Middle Ages, 450-1450; 31), Leiden / Boston: Brill 2015, 241 S., ISBN 978-90-04-24833-5, EUR 124,00
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Diese Rezension erscheint auch in der Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung.
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Cameron Sutt tritt in große Fußstapfen: In seinem vorliegenden Buch geht es im Kern um die seit Marc Bloch ausgiebig diskutierte Abgrenzung zwischen Sklavenwirtschaft und Leibeigenschaft sowie um die Frage, wann und weshalb das eine System das andere ablöste. Dabei wählt Sutt allerdings eine ungewöhnliche Perspektive: Er erörtert abhängige Arbeit im Mittelalter anhand eines umgekehrt diachronen Vergleichs. Ausgangspunkt und Zentrum der Untersuchung bildet das spät christianisierte Reich der Árpáden und nicht, wie sonst üblich, das frühmittelalterliche Westeuropa. Vom Spezialfall Ungarn (11.-13. Jahrhundert) aus werden interessante Vergleichsperspektiven auf das Europa der Karolinger (9. Jahrhundert) entworfen, die sich dem traditionellen Modernisierungsnarrativ entziehen, welches osteuropäische Entwicklungen üblicherweise entlang eines westlichen Modells erzählt. Dabei schlägt der Verfasser außerdem eine wichtige Brücke zwischen der Feudalismusforschung einer westeuropäisch dominierten Mediävistik und einer international und epochenübergreifend organisierten Sklavereiforschung. In der gegenwärtigen Debatte um die Vielgestaltigkeit von Sklaverei und die unzähligen Grauzonen zu anderen Formen unfreier Arbeit positioniert sich Sutt mit einem Plädoyer für klar abgegrenzte Analysekategorien und stellt seiner Untersuchung eine eigene Definition von Sklaverei voran: Sklaven gehörten im Unterschied zu Leibeigenen zum persönlichen Besitz ihres Herrn, waren ausschließlich von dessen Willen abhängig, hatten jedwede Form von Arbeit zu entrichten und konnten weder dauerhaft geschützte Eheverbindungen eingehen noch die Weitergabe von Land, Recht und Besitz an ihre Nachkommen sicherstellen.
Auf der Basis von Gesetzestexten und Rechtsurkunden wird sodann, quellennah und thesenfreudig zugleich, den servi der Árpádenzeit (11.-13. Jahrhundert) nachgegangen. Die aratores (Bauern) des 11. Jahrhunderts waren allesamt servi, die nicht mit dem Boden, den sie bewohnten, sondern mit dem Pflug, den sie bedienten, assoziiert wurden. Dabei konnten diese Bauernsklaven jederzeit für jede Art von Arbeit herangezogen werden. Nur die Klöster mit ihren großen Ländereien differenzierten früh zwischen denjenigen, die in der Nähe der Abtei lebten und für jedwede Arbeit zur Verfügung standen, und solchen, die in großer räumlicher Distanz lebten und klar definierte Aufgaben und Abgaben zu entrichten hatten. Erst im 13. Jahrhundert, in einer Zeit massiven Arbeitskräftemangels, begannen auch die weltlichen Landbesitzer, die gegenüber den von Andreas II. angeworbenen Siedlern (hospites) aus dem Westen unter Druck geraten waren, einen Teil ihrer Sklavenfamilien (meist die Frauen) freizulassen (libertini) und nach dem Vorbild der servi ecclesiae mit klar definierten Aufgaben zu betrauen. Mit dem Aufstieg der Dorfgemeinschaft vollzog sich schließlich an der Wende zum 14. Jahrhundert der Wechsel vom Landgut (praedium) zum Lehen (bei Sutt "serf-plot"). Der auf einem Grundstück ansässige Bauer wurde nun mit dem von ihm zu bearbeitenden Boden zusammengedacht, den er jetzt ohne die Zustimmung seines Herrn verkaufen, verpachten und vererben konnte. Aus den servi waren, auch im Wortgebrauch, iobagiones geworden.
Das Bild, das hier gezeichnet wird, setzt sich in vielerlei Hinsicht ab von etablierten Forschungsnarrativen: Weder dem neuen Menschenbild der Kirche noch dem rebellischen Verhalten der unterdrückten Bauern, weder der vermeintlich unökonomisch gewordenen Wirtschaftsform Sklaverei noch den Invasionen der Mongolen wird hier das Wort geredet. Vielmehr sei es zum einen die hohe Abwanderungsrate der servi in die benachbarten Ländereien der Klöster und Siedler und zum anderen das steigende Bedürfnis weltlicher Landbesitzer nach Münzgeld für Kornhandel und Söldnerwesen gewesen, was schließlich den Wandel gebracht habe.
Sutts Studie kommt in der zunehmend transkulturell und epochenübergreifend geführten Diskussion um eine "New History of Work" zur rechten Zeit. Sie bietet wertvolle Vergleichsmöglichkeiten für die Figur des Sklaven als "cross-cultural category" und das Phänomen der Sklaverei als "cognitive process of labeling" (23). Bedauerlich blass bleibt für solche Transfers der Eintritt der servi emptitii in den Status des Sklaven. Auch wird man den Verdacht nicht los, dass eine selbst gebastelte Vorabdefinition das Abgrenzungsproblem zur Leibeigenschaft nicht wirklich löst. Zielführender wäre es hier wahrscheinlich gewesen, wenn der Verfasser stattdessen die sporadischen Ansätze für eine historisch-semantische Erfassung des Phänomens zum methodischen Ausgangspunkt gemacht hätte. Die Bedeutung dieser Fallstudie zu einem gemeinhin als Sklavenreservoir deklarierten Raum steht damit aber nicht in Frage.
Juliane Schiel