Tobias Huff: Natur und Industrie im Sozialismus. Eine Umweltgeschichte der DDR (= Umwelt und Gesellschaft; Bd. 13), Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2015, 470 S., ISBN 978-3-525-31717-4, EUR 49,99
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In den letzten Jahren melden sich immer häufiger Stimmen zu Wort, die danach fragen, ob die DDR ausgeforscht ist. Für die ostdeutsche Umweltgeschichte trifft das gewiss nicht zu. Zwar sind hierzu nach 1990 einige Veröffentlichungen erschienen. Diese fokussieren aber oftmals einseitig das Scheitern der Umweltpolitik in den 1980er Jahren oder die Repressionen der SED gegenüber der oppositionellen Umweltbewegung.
Diesen problematischen Forschungsstand nimmt auch Tobias Huff zum Ausgangspunkt für seine Dissertation, die im Rahmen des DFG-Projektes "Grenzüberschreitendes Waldsterben" an der Universität Freiburg entstanden ist. Der Autor macht es sich zum Ziel, vorherrschende defizitäre Wahrnehmungs- und Interpretationsmuster zu durchbrechen. Diesen vielversprechenden Ansatz versucht Huff methodisch durch eine ausgedehnte vertikale und horizontale Analyse der ostdeutschen Umweltpolitik umzusetzen, mit der neue Handlungsebenen unterhalb der SED-Führung sowie ein weiter zeitlicher Untersuchungskontext erschlossen werden sollen. Untersuchungsgegenstand ist aus verschiedenen Gründen der Wald und dessen Schädigung durch Schwefeldioxid: Erstens verfügte die DDR mit der forstwissenschaftlichen Fakultät Tharandt über eine Forschungseinrichtung, die eine lange Tradition auf dem Gebiet der Rauch- und Waldschadensforschung besaß. Zweitens entwickelte sich entlang grenzüberschreitender Schwefeldioxidemissionen seit den 1970er Jahren eine Umweltdiplomatie, die auch Einfluss auf die ostdeutsche Umweltpolitik hatte. Und drittens ermögliche das Waldsterben, so Huff, das Verhältnis von Realpolitik und Ideologie in der DDR zu überprüfen.
Der Studie liegt die Frage zugrunde, "warum die Waldschäden in den beiden deutschen Staaten eine extrem unterschiedliche politische und gesellschaftliche Resonanz erzeugten". (18) Die daraus abgeleiteten, vertiefenden Fragenkomplexe untersucht Huff mit Hilfe eines chronologischen Aufbaus, gegliedert in Jahrzehnte. Mit dieser Herangehensweise aus einer gesamtdeutschen Perspektive heraus erhebt er den Anspruch, einen "Blick auf die Umweltgeschichte der DDR in ihrer Gesamtheit" eröffnen zu können. (23f.)
Im ersten Kapitel über die 1950er Jahre stehen zwei Wissenschaftler im Mittelpunkt: Am Beispiel der "Pioniere" Reinhold Lingner, der für die Durchführung einer frühen Umweltbestandsaufnahme verantwortlich war, und Erich Zieger, der methodisch daran anknüpfend die Rauchschadensforschung in Tharandt maßgeblich prägte, veranschaulicht Huff die beachtliche Offenheit akademischer Diskussionen über Umweltprobleme in den Aufbaujahren der DDR. In der Wissenschaft entstanden demnach nicht nur neue Konzepte zur Erfassung und Eindämmung von Umweltschäden. Die Wissenschaftler Lingner und Zieger versuchten ebenso durch ihre Forschung und ihr persönliches Engagement Einfluss auf politische Entscheidungen zu nehmen, wenngleich diese Versuche erfolglos blieben.
Die Fokussierung der hier beschriebenen "Pioniere" bringt eine Reihe neuer Erkenntnisse hervor. Allerdings trägt sie auch zu einer Verengung der Perspektive bei: Denn tatsächlich waren in den 1950er Jahren einige politisch einflussreichere Akteure darum bemüht, eine Neuregelung des Umgangs mit der natürlichen Umwelt zu erreichen. Die Luftreinhalteproblematik selbst geriet spätestens seit Beginn der 1960er Jahre unter den Einfluss des Gesundheitsschutzes und erhielt dadurch eine weitere Bedeutungsdimension. Die enge und einseitige Konzentration auf die Tharandter Waldschadensforschung lässt hier wichtige Aspekte der Debatte über Luftverschmutzung in der DDR in den Hintergrund geraten.
Daran anknüpfend nimmt Huff die 1960er Jahre in den Blick: Der Tod des Protagonisten Zieger 1960 und der Bau der Mauer ein Jahr darauf führten demnach zu einem Umbruch in der Rauchschadensforschung. Auf den bürgerlichen, aber dennoch politisch gut vernetzten Wissenschaftler Zieger folgte mit Hans-Günther Däßler ein neuer Forschertypus, dem der Zugang zu diesen Netzwerken verwehrt war. Der Mauerbau wirkte in diesem Zusammenhang einerseits hemmend auf die Wissenschaftswelt, da die SED den sozialistischen Umbau an den Universitäten weiter vorantreiben konnte. Andererseits eröffneten die bald darauf einsetzenden ökonomischen Reformen, mit denen eine Aufwertung wissenschaftlicher Expertise einherging, auch neue Handlungsspielräume für die Rauchschadensforschung.
Wichtige Akteure der Debatte über Luftreinhaltung tauchen in diesem Kapitel jedoch nicht auf: Die für das Zusammentreffen von Politik und Wissenschaft bedeutende Kommission "Reinhaltung der Luft" beim Forschungsrat der DDR sowie die Hygieneinspektionen, die bis in die 1980er Jahre maßgeblich für die Emissionskontrolle verantwortlich waren, werden im ohnehin vergleichsweise kurz gehaltenen Abschnitt vernachlässigt. Mit Blick auf die im folgenden Kapitel fokussierten internationalen Bezüge bleibt außerdem unklar, warum Huff die seit 1962 regelmäßig von den RGW-Staaten veranstalteten Expertentreffen zu Fragen der Luftreinhaltung nicht berücksichtigt hat.
Im dritten Kapitel vollzieht Huff einen deutlichen Bruch mit der bisherigen Erzählstruktur. Nicht mehr die Wissenschaft mit ihren Debatten und Initiativen, sondern die staatliche Umweltpolitik steht im Mittelpunkt. Huff begründet das mit dem relativen Bedeutungsverlust wissenschaftlicher Experten in Folge des Machtwechsels von Ulbricht zu Honecker. In den Blick geraten jetzt vor allen Dingen Umweltminister Hans Reichelt, den der Autor auch als Zeitzeugen interviewen konnte, und die internationale Debatte über Luftverschmutzung. Huff zeichnet knapp wesentliche Entwicklungen aus der zweiten Hälfte der 1960er Jahre nach, die zur Implementierung einer Umweltpolitik in der DDR geführt haben. Der Blick bleibt hier aber trotz eines Bezuges zur Rauchschadenssituation im Erzgebirge auf die internationale Bühne gerichtet: Die UN-Umweltkonferenz in Stockholm, die Auseinandersetzung mit der ČSSR über Emissionen aus dem böhmischen Industrierevier und die Verhandlungen im Vorfeld der Genfer Luftreinhaltekonvention sind die zentralen Themenfelder.
Im letzten Kapitel zu den 1980er Jahren rückt der nationale Kontext wieder in den Fokus - jetzt vor allen Dingen vor dem Hintergrund der bundesdeutschen Waldsterben-Debatte. Das eigentliche Thema Waldschäden wird aber insbesondere in den im Gesamtkonzept etwas fremd wirkenden Ausführungen zu den kirchlichen und unabhängigen Umweltgruppen nicht stringent verfolgt. Ein im Verhältnis zu anderen Abschnitten recht langer Exkurs zur Friedensbewegung untermauert diesen Eindruck. Huff schreibt hier die eingangs kritisierten defizitären Wahrnehmungs- und Interpretationsmuster im Prinzip fort, indem er suggeriert, die gesellschaftliche Umweltbewegung in der DDR sei ausschließlich vom Kirchlichen Forschungsheim in Wittenberg und einigen unabhängigen Umweltgruppen getragen worden. Das zeitlich früher einsetzende, politisch konforme Umweltengagement in Eingaben und innerhalb der Gesellschaft für Natur und Umwelt vernachlässigt er hingegen.
Alles in allem bleibt ein ambivalenter Leseeindruck zurück: Huff gelingt es nicht, den erhobenen Anspruch einzulösen, einen Gesamtblick auf die ostdeutsche Umweltgeschichte zu eröffnen. Auch der Buchtitel leitet in die Irre, denn die Perspektive der Industrie wird allenfalls am Rande wiedergegeben. Die teilweise recht enge Fokussierung der durchweg männlichen Protagonisten, von denen einige als Zeitzeugen interviewt wurden, ist mitunter problematisch: So erfährt der Leser beispielsweise, dass das Kirchliche Forschungsheim in Wittenberg nach Auskunft von Hans-Peter Gensichen deswegen in Konkurrenz mit anderen Umweltgruppen das Nachsehen hatte, weil die Schwangerschaft einer Sekretärin die Durchführung von Vertretertreffen verhindert habe. Etwas mehr kritische Distanz zu den Interviewpartnern wäre hier wie auch an anderer Stelle durchaus angebracht gewesen.
Demgegenüber gelingt es Huff in den Abschnitten zur Tharandter Rauchschadensforschung sowie zur Dynamisierung der ostdeutschen Auseinandersetzung über Waldschäden durch die westdeutsche Waldsterben-Debatte wichtige neue Erkenntnisse herauszuarbeiten. Auch die von Huff plausibel dargelegte These, Reichelt habe sich vor dem Hintergrund der Umweltaußendiplomatie vom Vorsteher eines "zahnlosen Ministeriums" zu einem "strategischen Spieler" gewandelt, sticht positiv hervor. (249) Die vorliegende Arbeit liefert trotz der genannten Kritikpunkte somit zweifelsohne einen wichtigen Beitrag zur ostdeutschen Umweltgeschichte.
Christian Möller