Karl M. Kapp / Lucas Blair / Rich Mesch: The Gamification of Learning and Instruction Fieldbook. Ideas into practice, Hoboken, NJ: John Wiley & Sons 2014, XXXVIII + 441 S., einige s/w-Abb., ISBN 978-1-118-67443-7, EUR 62,00
Inhaltsverzeichnis dieses Buches
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Diese Rezension erscheint auch in KUNSTFORM.
Martin Dresler (Hg.): Neuroästhetik. Kunst - Gehirn - Wissenschaft, Leipzig: E. A. Seemann Verlag 2009
Winfried Menninghaus: Wozu Kunst? Ästhetik nach Darwin, Frankfurt/M.: Suhrkamp Verlag 2011
Eva Streit: Die Itten-Schule Berlin. Geschichte und Dokumente einer privaten Kunstschule neben dem Bauhaus, Berlin: Gebr. Mann Verlag 2015
Spiel und Lernen - haben diese Bereiche etwas gemeinsam? Normalerweise wird Lernen als eine ernste Sache angesehen, wohingegen das Spiel mit Spaß assoziiert wird. Spiel und Lernen scheinen voneinander getrennt zu sein. Ihr Zusammenhang wird höchstens in Bezug auf Kinder akzeptiert. Doch für institutionelle Lernprozesse - noch dazu für Erwachsene oder gar im akademischen Bereich, scheinen sich Gemeinsamkeiten von Spiel und Lernen auszuschließen. Doch ist das wirklich so?
Anlass über die Verbindung zwischen Spielen und Lernen nachzudenken, ist das Buch "The Gamification of Learning and Instruction Fieldbook" von Kapp / Blair / Mesch.
Der Begriff "Gamification" bezeichnet die Verwendung von spieltypischen Elementen, wie das Erreichen von Punkten oder Ranglisten in spielfremden Bereichen. Hierbei werden zwei Bereiche, die zunächst nichts miteinander zu tun haben miteinander in Verbindung gebracht: Dies ist z.B. eine (Lern-)Aufgabe, die zu erfüllen ist und die jetzt mit Elementen des Spiels angereichert wird.
Um zunächst zu verstehen, welches Ansehen und welche Bedeutung das Spiel in der Geistesgeschichte hat, sei die Aussage Schillers: "[...] der Mensch spielt nur, wo er in voller Bedeutung des Worts Mensch ist, und er ist nur da ganz Mensch, wo er spielt," [1] zitiert. Sie zählt zu den kulturphilosophisch-anthropologischen Betrachtungen des Spielgedankens, der das Spiel als ganzheitliches Kulturphänomen darstellt. Schiller zeigt damit auf, dass über das zweckfreie Spiel Lernen und (ästhetische) Bildung möglich werden. Diese wiederum bilden ihrerseits die Grundlage für die Entwicklung von Gesellschaft und Kultur. [2]
Johan Huizinga, ein weiterer Vertreter der kulturphilosophischen Sichtweise, stellt den spielenden Menschen (homo ludens) im Rang neben den schaffenden Menschen (homo faber). Des Weiteren sind Spiele nach Huizinga geprägt von Freiwilligkeit, Wiederholbarkeit, Ungewöhnlichkeit, Begrenztheit auf Zeit und Raum, Regelhaftigkeit, Zielbewusstheit, sowie Spannung und Freude. [3] An diese Merkmale kann pädagogische Arbeit angeschlossen werden, und somit steht der Einsatz von Spielen und Gamifizierung in der institutionellen Bildung auf einem festen kulturphilosophischen Fundament. [4]
Die Weiterentwicklung der beschriebenen Ausgangspunkte fand u.a. im aktuellen handlungstheoretischen Ansatz der Spielepädagogik ihren Fortgang und auch die Gehirnforschung untermauert den Zusammenhang zwischen Spiel und Lernen, begrenzt sie doch den Begriff des Lernens nicht auf schulische Kontexte, sondern erweitert ihn. Lernen findet statt, wenn wir "empfinden, erfahren, denken, fühlen, entscheiden und handeln. Denn wann immer wir unser Gehirn gebrauchen, ändert es sich." [5] Spiel und Lernen gehören zusammen. Etwas Abweichendes kann man hier nicht konstatieren.
Auch in der Kunstgeschichte wird der Zusammenhang zwischen Spiel und Lernen zunehmend erkannt und genutzt. Beispielhaft sei hier das Projekt über den Garten der Lüste von Hieronymus Bosch aufgeführt. Der Spieler soll mittels attraktiver 3D-Visualisierung und Animationen die Möglichkeit erhalten, seine eigene Interpretation zum Gemälde zu entwickeln und dabei in die Zeit und das Thema eintauchen. Dabei wird ihm zur Gestaltung einer reichhaltigen Spielerfahrung so viel geisteswissenschaftliches Hintergrundwissen wie möglich zur Verfügung gestellt. Eine Testversion soll in Kürze erscheinen. [6]
Ein weiteres Beispiel ist ein seminarbegleitendes "Reacting to the Past"-Rollenspiel, bei dem Studenten der Kunstgeschichte wichtige Begriffe und Methoden des Fachs erlernen. Dies geschieht mittels aktiver Lerntechniken, bei denen die Seminare von Studierenden geführt und von Tutoren begleitet werden. Wissenschaftlich belegt ist, dass Lernen durch Erfahrung die erfolgreichste Lernmethode ist, was sich dieses Spiel, bzw. diese Vorgehensweise, zunutze macht. [7]
Auch bei dem Spiel "Medieval Marketplace" von Anne McClanan werden die Seminarteilnehmer aktiv. Hier handeln sie mit verschiedenen historischen Objekten. Ziel ist es, dabei ihre Fähigkeit auszubilden, Informationen zu finden und diese kritisch zu bewerten. Als positiver Nebeneffekt schult das Spiel die sozialen Kompetenzen der Teilnehmer. [8]
Gamification und Spiele erlangen aber auch zunehmend Bedeutung für Museen. Ein Beispiel dafür ist die Anwendung "My Big Box" des Royal Albert Memorial Museums in Exeter. Hier können Spieler Einblicke in die Arbeit des Museums erlangen. Über das Kennenlernen von Eigenschaften eines ausgewählten Objekts kann der Spieler dieses einer Abteilung des Museums zuordnen oder Fragen zu seiner Lagerung beantworten. [9]
Neugierig macht der Trailer "Murder at the Met" des Metropolitan Museum of Art, New York. Bei diesem Detektivspiel suchen Museumsbesucher per Tablet oder Smartphone einen Mörder, der sich in der Ausstellung verbergen soll. Dies ist ein gelungenes Beispiel dafür, wie digitale Medien zur Attraktivität eines Museums beitragen können. Es ist leicht vorstellbar, dass sich auch Besucher, die sonst nicht ins Museum gehen, durch solche Angebote anziehen lassen, um sich dann mit Kunst auseinanderzusetzen. [10]
Die vorliegende Publikation "The Gamification of Learning and Instruction Fieldbook" könnte als Einführung für Geisteswissenschaftler in das Thema Gamification dienen. Sehr ausführlich werden zu Beginn Überlegungen, denen sich Verantwortliche vor der Durchführung eines solchen Projekts stellen sollten, sowie zu beachtende Faktoren, ausgeführt. Es folgt ein kurzes Kapitel über Tools und Technologien, die für die Umsetzung eines Projekts in Frage kommen könnten, bevor das Buch mit acht Fallstudien, die die praktische Realisierung verschiedener Typen von Anwendungen aufzeigen, abschließt.
Der Inhalt des Buches ist stark strukturiert, was in technischer Literatur durchaus üblich ist. Durch die Art der Gliederung soll dem Leser ermöglicht werden, schnell einen Überblick über Inhalte zu erlangen und ebenso schnell im Bedarfsfall darauf zuzugreifen. Hier jedoch wirken die einzelnen Kapitel wie Schablonen, in die der Text zwanghaft gegossen wurde. Zudem ergeben sich bei den Inhalten der verschiedenen Kapitel, die von insgesamt 15 Autoren verfasst wurden, teilweise Überschneidungen.
Zusätzlich zum Buch kann weiterer Inhalt über die Verlags-Homepage heruntergeladen werden. Es handelt sich dabei um Informationen, die bereits teilweise im Buch abgedruckt sind, wie z.B. die Tabelle "Games and Psychomotor Skills". Die heruntergeladene Tabelle verfügt über eine weitere Spalte, die im Buch nicht dargestellt ist. Diese Abweichungen wirken irritierend. Darüber hinaus stehen durchaus relevante Informationen wie "Best Practices" des Kapitels 10 nicht im Buch, sondern sind nur im Download-Bereich verfügbar. Dadurch entsteht der Eindruck, dass Korrekturen und Updates nicht in das Buch eingearbeitet wurden, sondern der Einfachheit halber dem Leser als digitaler Zusatz zur Verfügung gestellt wurden.
Trotz der geschilderten Schwächen dürfte das Buch für Novizen, die noch kein Software-Projekt durchgeführt haben, in Teilen informativ sein. Die Bezeichnung "Fieldbook" erscheint durchaus passend, handelt es sich hier doch um ein Werk, das mit der Absicht zusammengestellt wurde, den Leser bei der praktischen Arbeit zu unterstützen. Wer ein wenig Einblick in die Durchführung von Software-Projekten hat, dem reicht es, die "Key Takeaways" am Ende eines jeden Kapitels zuzüglich einiger recht nützlich erscheinender Check-Listen zu lesen.
Anmerkungen:
[1] Friedrich Schiller: Über die ästhetische Erziehung des Menschen, 15. Brief.
[2] Sabine Döring: Lernen durch Spielen. Spielpädagogische Perspektiven institutionellen Lernens, 36-39.
[3] Johan Huizinger: Homo Ludens. Vom Ursprung der Kultur im Spiel, Zitat: 57.
[4] Siehe Anmerkung 2.
[5] Manfred Spitzer: Das Wahre, Schöne und Gute. Brücken zwischen Geist und Gehirn, Stuttgart 2009, 41.
[6] Elizabeth Goins: The Garden: Welcome to Hell [31.08.2015] in: Lost Worlds: Explorations in Digital Humanities Game Design, http://explorelostworlds.blogspot.de/2015/08/the-garden-welcome-to-hell.html (25.09.2015).
[7] Keri Watson: There's a Game for That: Teaching Art History with "Reacting to the Past", http://arthistoryteachingresources.org/2015/04/theres-a-game-for-that-teaching-art-history-with-reacting-to-the-past/ (25.09.2015).
[8] Anne McClanan: Game-Based Learning and Gamification in Art History, https://sites.google.com/a/pdx.edu/mcclanan-online/gamification (25.09.2015).
[9] Memorial Albert Museum, Exeter: http://bigbox.rammuseum.org.uk/ (25.09.2015).
[10] The Metropolitan Museum of Art, New York: http://www.metmuseum.org/metmedia/video/news/murder-at-the-met (25.09.2015).
Sabine Scherz