Thorsten Eitz / Isabelle Engelhardt: Diskursgeschichte der Weimarer Republik, Bd. 1. Mit einem Vorwort von Georg Stötzel, Hildesheim: Olms 2015, X + 526 S., div. Abb., ISBN 978-3-487-15188-5, EUR 34,00
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Thorsten Eitz / Isabelle Engelhardt: Diskursgeschichte der Weimarer Republik, Bd. 2. Mit einem Vorwort von Georg Stötzel, Hildesheim: Olms 2015, X + 415 S., ISBN 978-3-487-15189-2, EUR 34,00
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Sprache und Diskurse der Weimarer Republik sind seit einiger Zeit vermehrt ins Blickfeld der historischen und linguistischen Forschung gerückt. [1] In diesen Trend reiht sich das zweibändige Werk von Thorsten Eitz und Isabelle Engelhardt ein, das im Rahmen eines interdisziplinären DFG-Projekts entstanden ist. Die beiden Germanisten aus Trier beschäftigen sich darin mit zentralen politischen und gesellschaftlichen Diskussionsthemen der Zeit 1918 bis 1933. Ihr Ziel ist es, "in der Analyse der kontrovers diskutierten Weimarer Diskurse die vielfältigen [...] Beiträge der damals an den jeweiligen Diskursen beteiligten unterschiedlichen Parteien und gesellschaftlichen Gruppen, ihre [...] Sprachgebräuche, semantische Strategien, Argumentationen etc. zu dokumentieren" (I 9). Lisa Konietzni und Christian Kreuz steuerten zum Thema Antisemitismus den einzigen Gastbeitrag bei.
Methodisch ordnet sich die Studie in die Tradition der von Georg Stötzel begründeten "Düsseldorfer Schule" ein, die eine "praktisch angewandte [...] empirische [...] Diskurslinguistik" (I 9) betreibt. Von Stötzel stammt sodann auch das in hohem Maße selbstreferenzielle Vorwort, das wie die Einleitung jeweils in beiden Bänden abgedruckt ist. Die Weimarer Republik sei, so betonen Eitz und Engelhardt zu Recht, mit Ausnahme der nationalsozialistischen und nationalkonservativen Sprache linguistisch bislang nur wenig untersucht worden. Analog zur neueren Weimar-Forschung in der Geschichtswissenschaft sind die Autoren bestrebt, die Zeit zwischen 1918 und 1933 als "eigenständige" (I 25) Epoche ernst zu nehmen und nicht als bloße Vorgeschichte zur NS-Zeit zu betrachten.
Eitz und Engelhardt greifen für ihre Studie auf ein ungewöhnlich großes Textkorpus zurück. Es umfasst nicht weniger als 19 Tageszeitungen, ferner Zeitschriften, Parlamentsprotokolle, Handbücher und Lexika, zeitgenössische Literatur sowie in geringerem Umfang auch Archivalien. Als zentrale Diskurse in der Weimarer Republik machen Eitz und Engelhardt die Themen Reichsfarben, Staatsform, Militär, Wirtschafts- und Sozialpolitik, Europa, Frauenberufstätigkeit, Antisemitismus, Abtreibungsverbot (§ 218), Ehe- und Partnerschaftsethik, Strafbarkeit von Homosexualität (§ 175), Schund- und Schmutz-Literatur sowie Schulreform aus. Ihnen widmen sie jeweils ein umfangreiches Hauptkapitel. Die in der Weimarer Republik so folgenschweren Diskussionen über den Versailler Vertrag und die Kriegsschuld des Deutschen Reichs werden überraschenderweise von den Autoren nicht eigens behandelt; allenfalls in den Abschnitten über die republikanische Staatsform, die Reichsflagge und die Reichswehr schimmern sie durch.
Die einzelnen Kapitel zeichnen den jeweiligen Diskurs nach und listen die darin vorkommenden Wortverwendungen und Alternativbezeichnungen inklusive der Fundstellen akribisch auf. Dies erschwert zwar den Lesefluss, erlaubt es aber späteren Forschern, alle einschlägigen Semantiken aufzufinden. In ihrer Untersuchung bleiben die Autoren in der Regel nahe an der Ereignisgeschichte und verzichten auf weiterreichende Überlegungen. Analysekategorien wie semantischer Kampf, Fahnen- und Stigmawort finden zwar mitunter Anwendung, Gründe dafür, warum ein Wort von einer Diskurspartei verwendet oder nicht verwendet wurde, bleiben jedoch meistens ungenannt. Ebenso bleibt in der Regel eine Einordnung der Wortverwendungsweise in den breiteren historischen Kontext aus. Aus sprachwissenschaftlicher Sicht mag diese dokumentarische Herangehensweise üblich sein, gleichwohl würde sich der Historiker an vielen Stellen einen stärker synthetisierend-analytischen Zugriff und mehr Mut zur These wünschen. Der einzige Gastbeitrag in den beiden Bänden, der Aufsatz über den Antisemitismusdiskurs von Konietzni und Kreuz, zeigt demgegenüber nicht zuletzt in seinen einordnenden und zusammenfassenden Zwischenfazits sowie dem Gesamtfazit beispielhaft auf, welche Erkenntnisse eine tiefere Analyse auch bei den übrigen Diskursen mit sich hätte bringen können. Des Weiteren fallen der nach geschichtswissenschaftlichen Maßstäben unkritische Umgang mit rückblickenden Wertungen (vgl. z.B. I 38, I 65) sowie die undifferenzierte Nebeneinanderstellung von Forschungs- und Quellentexten (vgl. z.B. I 33, I 178, I 314) ins Auge. Mitunter bleibt gar unklar, ob eine Aussage als gesichert angesehen werden kann oder ob lediglich eine zeitgenössische Behauptung unhinterfragt übernommen wurde (vgl. I 240).
Leider bleibt das zweibändige Werk ohne ein abschließendes, die Einzeldiskurse verbindendes Fazit. An dieser Tatsache zeigt sich einmal mehr die Absicht der Autoren, keine geschichtswissenschaftliche Analyse, sondern eine linguistische Dokumentation vorzulegen. Nichtsdestoweniger stehen die Kapitel zu den einzelnen Diskursen dadurch etwas verloren nebeneinander - zumal nicht einmal alle Themenabschnitte über eine abschließende Bilanz verfügen. Einem Fazit am nächsten kommt ausgerechnet der Klappentext, der "viele der damals umstrittenen Diskurse angesichts drängenderer Probleme bereits vor dem Untergang der Weimarer Republik in den Jahren der Weltwirtschaftskrise" und nicht etwa 1933 "abgebrochen" sieht. Das ist in der Tat eines der "verblüffenden Ergebnisse der Studie" - insofern, als die Grundlegung dieses Resümees zwischen den Buchdeckeln leider ausbleibt (I und II Klappentext).
Trotz dieser Kritik an der Form der Darstellung gilt es festzuhalten, dass die Studie von Eitz und Engelhardt einige bislang - auch in der Geschichtswissenschaft - kaum beachtete Diskurse während der Weimarer Republik beleuchtet. Debatten wie diejenigen über die Rolle der Frau, über Ehe und Partnerschaft oder über die Strafbarkeit von Abtreibung und Homosexualität geben Auskunft über das gesellschaftspolitische Klima in der Weimarer Republik und zeigen die (zumeist gescheiterten) liberalen Reformbemühungen auf. Zudem wird etwa in der Abtreibungsdebatte deutlich - worauf die Autoren zu Recht hinweisen (vgl. II 119, II 143) -, dass sich die in Weimar und in der Bundesrepublik diskutierten Themen und die dabei verwendeten Semantiken mitunter ähnelten, ja teilweise gar glichen. Einzelne Argumentationslinien lassen sich selbst in aktuellen gesellschaftlich-politischen Diskussionen wiederfinden: etwa diejenige vom Abstandsgebot zwischen Ehe und unehelichen Partnerschaften (vgl. II 177), die sich in der Debatte um die völlige Gleichstellung von homosexuellen Lebenspartnerschaften mit der (heterosexuellen) Ehe spiegelt. Dem Leser bietet das zweibändige Werk von Eitz und Engelhardt, das auf einer beeindruckenden Rechercheleistung beruht, somit zwar wenig analytische Deutung, dafür aber durchaus überraschende und interessante Erkenntnisse nicht nur zur Diskursgeschichte Weimars.
Anmerkung:
[1] Vgl. beispielhaft: Heidrun Kämper u.a. (Hgg.): Demokratiegeschichte als Zäsurgeschichte. Diskurse der frühen Weimarer Republik, Berlin 2014; Susanne Wein: Antisemitismus im Reichstag. Judenfeindliche Sprache in Politik und Gesellschaft der Weimarer Republik, Frankfurt am Main u.a. 2015.
Jörn Retterath